Gerd Held / 25.04.2024 / 06:00 / Foto: Pixabay / 82 / Seite ausdrucken

Helds Lage der Nation – und was jetzt geschehen muss

Die Situation in Deutschland ist so verfahren, dass es mit einem Regierungswechsel nicht getan ist. Ein bleibendes vierteiliges Essay „Zur Lage der Nation“, das nicht beim Jammern aufhört (1).

Eine fundamentale Entwertung der modernen Zivilisation hat sich in einem längeren Prozess durchgesetzt und erscheint heute übermächtig. Erst in einem größeren Zeitrahmen zeigen sich die Grenzen dieser Macht. Und auch die Kräfte und Hebel für eine Rehabilitierung der modernen Errungenschaften werden dann sichtbar.

Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose für das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2024 von 1,3 Prozent auf 0,2 Prozent gesenkt. Das ist eine krasse Senkung. Für eine Regierungskoalition, die behauptet, dass sie – und sie allein – die Zukunft Deutschlands repräsentiert, ist es eine Bankrott-Erklärung. Ihre Politik der Großen Transformation bringt dem Land alles andere als einen „New Deal“. Und vor dem Hintergrund des stagnierenden Bruttoinlandsprodukts bekommen die rasant steigenden Schulden nun ein viel größeres Gewicht: Zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik ist ihre finanzielle Solidität wirklich erschüttert. Doch die vorherrschende politische Rhetorik tut so, als wäre eine neue Prosperität mit noch mehr Geld auf Pump zu kaufen. Zur Beschreibung der Situation werden nur Konjunktur-Worte angeboten. Alles soll im gewohnten Rahmen von „Rezession“ oder „Aufschwung“ bleiben.

Stets aufs Neue wird der Eindruck erweckt, dass eine Besserung greifbar nah ist und man nur ein bisschen nachhelfen muss. Die Möglichkeit, dass Deutschland sich in eine historische Sackgasse manövriert hat, kann so gar nicht die Worte finden, um zur Sprache zu kommen. Das gilt auch für die ständig wiederholte Redewendung, das Land habe „zu viel Bürokratie“. Ist das Ziel der „Klima-Neutralität“ wirklich ein Bürokratie-Problem? Keineswegs, den für dieses Ziel wird tief in Produktionsprozesse und Infrastrukturen eingegriffen und damit die Wertschöpfung der Betriebe und die Leistungsfähigkeit des ganzen Landes direkt gesenkt.

Es geht nicht um Verwaltungsprozesse, sondern um die Stilllegung von Kraftwerken, um das Verbot von Motoren und Heizungen, um das Brachlegen von Herstellungsverfahren, bei denen fossile Energieträger genutzt werden. Ganze Industriezweige, für die es keine praktikablen technischen Alternativen gibt, werden mit unbezahlbaren Steuern belegt oder gleich zum Abschalten gezwungen. Aber die offizielle Rhetorik spricht bei dieser gezielten Herstellung einer Notlage in Deutschland von „Anreizen“, die zum Erfinden von etwas „ganz Neuem“ führen würde. Doch wissen viele Betriebe, öffentliche Einrichtungen und Haushalte nicht, wie sie das nächste Jahr überstehen sollen. Oder wie sie auch nur über den nächsten Monat kommen sollen.

Auf einmal ist die moderne Zivilisation nichts mehr wert

Deutschland ist zu einem Land geworden, in dem eine – durchaus beträchtliche – Minderheit einer – erheblich größeren – Mehrheit verkündet: Eure Verkehrsmittel sind falsch und Eure Heizungen sind falsch. Ihr arbeitet falsch. Ihr esst falsch und Ihr kleidet euch falsch. Ihr habt die falschen Reiseziele, hört die falsche Musik und richtig lieben könnt Ihr auch nicht. Kurzum: Ihr führt das falsche Leben. Ist es da erstaunlich, wenn in den verschiedensten Bereichen Krisen ausbrechen? Wenn es im Land an allen Ecken und Enden fehlt?

Inzwischen ist viel von einer Regierungskrise die Rede, und manche setzen darauf, dass ein rascher Regierungswechsel die Dinge zum Guten wenden könnte. Aber das Problem liegt tiefer: Dieses Land ist auf einen Konfrontationskurs mit der modernen Zivilisation geraten. Dieser Kurswechsel geht nicht auf einen einsamen Entschluss von ein paar Super-Reichen und Super-Mächtigen zurück. Es gab keine plötzliche „Machtergreifung“, sondern einen breiteren und längeren sozialen Prozess. Aber dieser Prozess wird nicht von „der Gesellschaft“ als Ganzer getragen, sondern von einem bestimmten Sektor der Gesellschaft, der sich aus mehreren Schichten und Milieus zusammensetzt. Dieser durchaus beträchtliche und einflussreiche Sektor hat sich von der modernen Zivilisation entfremdet. Von den Knappheiten der realen Welt hat er gar keine Vorstellung mehr. Mit wirklicher Arbeit, die wirkliche Knappheiten mildert, hat er keine Erfahrung – weder mit ihren Mühen noch mit der Befriedigung und Würde, die in dieser Arbeitswelt zu finden sind.

Gegenüber dieser arbeitenden Moderne fühlt sich der „postmoderne“ Sektor zu Höherem berufen. Deshalb nimmt er die Zerstörungen und Opfer, die jetzt im Lande stattfinden, gar nicht als solche wahr. Die rasant steigende Verschuldung des Landes ist für ihn kein Problem. In diesem Sektor wird einfach von einer „schlechten Vergangenheit“ und einer „ganz neuen Zukunft“ fabuliert. So werden die schlechten Zahlen einfach zum Erlöschen gebracht. In der Welt dieses Sektors ist alles eine Frage der richtigen „Erzählungen“. Auf dieser Basis wurden in Deutschland Machtpositionen in Staat und Wirtschaft besetzt und Positionen zerstört, von denen die Realitätstüchtigkeit dieses Landes abhängt. Deutschland ist ein anderes Land geworden.      

Eine kurze Geschichte der Bundesrepublik  

Die Aufgabe ist also, den allmählichen Prozess zu beschreiben, der Deutschland an diesen Punkt gebracht hat. Das sollte nicht in dem Sinn verstanden werden, dass es sich nur um ein „deutsches Problem“ handelt. In etlichen anderen Ländern der westlichen Welt gibt es vergleichbare Prozesse. Es geht also nicht um einen deutschen „Sonderweg“.

Es geht aber auch nicht darum, gleich die ganze Moderne zu Grabe zu tragen. Es genügt, von einem bestimmten Zeitabschnitt in der Gesamtgeschichte der Moderne zu sprechen. Dieser Zeitabschnitt lässt sich in verschiedene Phasen unterteilen: Zunächst entsteht eine zivilisationsferne Parallelwelt, dann wird diese Parallelwelt dominant und schlägt in ein Negativprogramm um – in eine Zerstörung tragender Säulen der modernen Zivilisation.

Das aber bedeutet nicht das Ende der Geschichte, denn auf dem negativen Höhepunkt dieser Zivilisationsabkehr zeigt sich eine fundamentale Schwäche des „postmodernen“, „postindustriellen“ und „postkolonialen“ Sektors. Ihm fehlt es an Zugriff auf die Realität. Das Verdrängte erweist sich als unersetzlich und kehrt zurück. Doch der Reihe nach: Vor der eigentlichen Krisengeschichte muss eine gelungene Phase der deutschen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg beschrieben werden, die immerhin drei Jahrzehnte dauerte.

Das 1. Kapitel: Ein industrielles Land und eine ziemlich krisenfeste Demokratie

Die 30 Jahre vom Ende der 1940er Jahre bis zum Ende der 1970er waren durch eine Prosperität geprägt, die sowohl Wohlstandsgewinne als auch eine Senkung der Schuldenquote ermöglichte. Dabei handelte es sich nicht nur um eine Phase des „Wiederaufbaus“ nach dem Zweiten Weltkrieg und auch nicht nur um das Ergebnis eines „Förderprogramms“ mit Dollar-Milliarden („Marshall-Plan“). Die eigentliche Grundlage war ein industrieller Produktivitätssprung, wie er in der Geschichte nur selten auftritt. Große, langlebige Konsumgüter wurden erstmals in großer Serie kostengünstig herstellbar (Haushaltselektronik, Automobile, Medien, Ton- und Bildträger, Eigenheime). Hohe Unternehmens-Investitionen ins Betriebskapital, die Zunahme und Verbesserung der Arbeitsplätze, staatliche Investitionen zur Erweiterung der technischen Infrastruktur (der Energie- und Verkehrsträger) und des Standort-Angebots in Stadt und Land gingen sichtlich Hand in Hand. Das begünstigte sozialpartnerschaftliche Lösungen. Das war auch die Grundlage, auf der die SPD mit dem Godesberger Programm (1959) ihren Frieden mit dem Kapital schließen konnte.      

In dieser Phase erreichte die Zahl der Industriebeschäftigten ihren historischen Höhepunkt. Sofern man von einer Mitte der Gesellschaft sprechen konnte, wurde sie von den Facharbeitern geprägt. Dazu gehörte auch das hohe Ansehen der dualen Berufsausbildung im Bildungssystem. Der Anteil der höheren Bildungsabschlüsse stieg zwar ab Mitte der 1960er Jahre an, aber er war noch nicht sozial maßgebend. In der deutschen Gesellschaft dieser Jahre war nicht der „Aufstieg“ in höhere Bildungs- und Berufskarrieren das Maß aller Dinge, sondern eine Lebensleistung als Facharbeiter oder Fachangestellter galt schon als wertvoll und würdig. An den Hochschulen spielten die wissenschaftlich-praktischen Fächer eine starke Rolle. In dieser Zeit wuchs auch eine Nachfolgegeneration heran, die noch bis in die 1990er und 2000er Jahre hinein die Exporterfolge des Automobilbaus, des Maschinenbaus oder der Chemieindustrie sicherte.

Man könnte einwenden, dass in diese Phase doch schon die „68er“ auftauchen und in Politik und Kultur mancherlei „Revolutionen“ ausgerufen wurden. Aber ihr Einfluss in Wirtschaft und Staat war gering. Auch die Massenmedien spielten noch nicht die Rolle einer 4. Gewalt von eigenen Gnaden. Angesichts von Bedrohungen erwies sich die Republik als wehrhaft und klug. Kernenergie und Wehrdienst wurden von starken Mehrheiten gestützt. Dem Druck des RAF-Terrors wurde nicht nachgegeben. Auch der NATO-Nachrüstungsbeschluss wurde von einer standhaften Bevölkerungsmehrheit getragen. Es ist also nicht die völlige Abwesenheit von Krisen, die diese ersten 30 Jahre der Bundesrepublik auszeichnet, sondern die Fähigkeit zur wehrhaften Reaktion und auch zur Anpassung an Veränderungen.  

Das 2. Kapitel: Eine postindustrielle und postmoderne Parallelwelt bildet sich

Wenn man eine zweite Phase der Entwicklung Deutschlands wiederum mit 30 Jahren ansetzt, würde diese vom Ende der 1970er Jahre bis zum Ende der 2000er Jahre reichen. In dieser Zeit fand tatsächlich ein erheblicher Wandel statt. Neben der Welt, die noch fortbestand und sich – nun langsamer – weiterentwickelte, bildete sich ein Sektor heraus, der durch seine Größe und Stellung eine eigene Welt mit eigener Legitimation bilden konnte. Dabei spielten drei Bereiche, die zunehmend miteinander verknüpft waren, eine Schlüsselrolle: Erstens die Dienstleistungen, die stark wuchsen, wobei die gehobenen, mit der Beratung und Leitung von Menschen befassten Tätigkeiten eine Schlüsselrolle spielten. Zweitens die Wissenschaft und, damit verbunden, die höheren Bildungsgänge. Deren Anteil an einem Bildungsjahrgang überschritt in Deutschland die 50-Prozent-Marke und nähert sich heute den 60 Prozent. Bei diesem Wissenschafts-Wachstum dominierten nicht die anwendungsbezogenen, technisch-harten Fächer, sondern die theoretischen, kommunikativ-weichen Fächer.

Drittens die Kultur, womit ein sehr weitläufiger und diffus schillernder Bereich besetzt wurde. Die neue Konjunktur des Kulturellen beruhte nicht auf einer neuen Kunstepoche, sondern auf einer stärkeren Betonung von Stil und Lebensstil. Neben die Aufmerksamkeit für die Effizienz der Herstellung und den Gebrauchswert von Gütern trat nun stärker die Aufmerksamkeit für die Schönheit, Erhabenheit oder Frivolität eines Gegenstandes, eines Ortes, einer Situation. Das wurde nicht nur in der Zunahme von Theatern, Konzerthäusern und Museen sichtbar, sondern auch im Straßenbild, in Schaufenstern, in Fassaden, in Märkten und Cafés. Das war durchaus ein Gewinn. Manche vorschnelle, platte „Modernisierung“ wurde revidiert und aufgebrochen.

Man denke nur an die Rehabilitierung des baulichen Erbes in Stadt und Land. Und diese Rehabilitierung war Teil einer Verfeinerung und Differenzierung unterschiedlicher Lebensformen. Das war eine Bereicherung der modernen Zivilisation, und daran hatten auch die wachsenden Bereiche der Dienstleistungen und der Wissenschaft ihren Anteil. So wehte in dieser zweiten Phase der Geschichte ein gewisser Zauber und eine Leichtigkeit durchs Land, zumindest in den 1980er Jahren und dem Beginn der 1990er Jahre.   

Selbstabschließung in einer eigenen Welt

Allerdings gab es von Anfang an einen Konstruktionsfehler dieser Leichtigkeit. Sie wurde von einem bestimmten sozialen Sektor, der in dieser Zeit rasch wuchs, besetzt und als Gegenwelt zur industriellen Welt verstanden. Sie wurde deshalb auch mit einer Abwertung der ersten Phase der Bundesrepublik verbunden. Das war keineswegs gerecht und notwendig, denn die industrielle Welt war nicht eine totalitäre Gleichschritt-Welt, wie sie Orwell in seiner finsteren Utopie „1984“ ausmalte. Vielmehr hatte diese Welt im Laufe des 20. Jahrhunderts selbst ihre Spielräume, ihre Lockerungen und ihren „Swing“ hervorgebracht. Diese Entwicklungslinie der modernen Zivilisation hätte man also fortsetzen können. Auch in Deutschland.

Doch ein zunehmender Teil der Bevölkerung kannte die Industrie nur noch vom Hörensagen und brachte auch kein größeres Interesse für diese Welt auf. Das Wachstum des industriefernen Sektors hatte jene kritische Schwelle überschritten, jenseits der es möglich wird, sich in einer Binnenwelt weitgehend abzuschließen. Dazu trug auch die zunehmende Digitalisierung bei. Gewiss kann die Digitalisierung hilfreich sein, wenn sie in bestehende Arbeitsprozesse eingefügt wird. Aber wenn es eine Tendenz zur Selbstabschließung gibt, kann die Digitalisierung auch eine geschlossene Binnenwelt suggerieren. Genau das geschah, als im Namen der Digitalisierung eine ganz neue Industriewelt (Industrie 2.0, 3.0, 4.0…) oder eine ganz eigene „erweiterte Realität“ („augmented reality“) ausgerufen wurde.

Die Tendenz zur Selbstabschließung ist nicht von der Digitalisierung erfunden worden, sondern schon in den 1980er Jahren. Hier, am Beginn der zweiten Entwicklungsphase der Bundesrepublik, wurde der Beginn einer neuen „postindustriellen“ und „postmodernen“ Ära verkündet. In der Politik wurde von einer „Neuen Mitte“ gesprochen, von „New Labour“ oder auch von einer „Neuen Urbanität“. Nicht mehr der Facharbeiter sollte die Mitte sein, sondern eine gehobene Mittelklasse, besserwissend, besserverdienend und in den großen Städten bestens ausgestattet mit Sozial-, Bildungs- und Kultur-Einrichtungen. Sie verstand sich immer mehr als tonangebend für das ganze Land – oder sie wähnte sich als „Weltbürger“ in ganz anderen Sphären. Man blickte wie gebannt auf die „Weltstädte“ und glaubte, dass sie bald die territorial verfassten Nationalstaaten zweitrangig machen würden.

Die Parallelwelt treibt ganze Länder in eine Schieflage

Dass die Bereiche der Dienstleistungen, der Wissenschaft und der Kultur in vielen modernen Ländern schneller wuchsen als die Industrie, war schon in den 1960er und 1970er Jahren sichtbar geworden. Aber zunächst gingen Beobachter ganz unterschiedlicher Couleur (wie Jean Fourastie, Daniel Bell oder Helmut Schelsky) noch davon aus, dass dieses Wachstum nur vorstellbar war, wenn es eine hohe industrielle Produktivität gab. Diese Proportionalität war das Band, das die Ausdehnung von Dienstleistungen, Wissenschaft und Kultur noch mit der Entwicklung der Industrie verkoppelte. Doch dieses Band wurde im Laufe der zweiten Phase immer schwächer und zerriss schließlich in immer mehr Ländern. Eine Entkopplung fand statt. Die Wortbildung mit „post“ zeugt davon. Und diese Entkopplung wurde zu einer folgenreichen Realität. In vielen Ländern wies die volkswirtschaftliche Gesamtbilanz immer kleinere Produktivitäts-Fortschritte auf. Hier zeigte sich, dass der Sektor für sich genommen auf schwachen Füßen stand und die industriellen Überschüsse nicht mehr für eine Querfinanzierung reichten.

So wurde die Schuldenlast wieder größer. Die Schuldenquote (das Verhältnis von Schuldenwachstum und Produktivitätswachstum), die in der ersten Phase kontinuierlich gesenkt worden war, stieg in der zweiten Phase wieder an. Zu Beginn der 2000er kam es zu einer heftigen Krise der Digital-Ökonomie, weil sie ihr hochfliegendes Produktivitäts-Versprechen nicht halten konnte. 2009 kam dann in verschiedenen Ländern eine große Schuldenkrise. Spätestens an diesem Punkt war nicht mehr zu übersehen, dass „der Westen“ – mit den USA als Führungsmacht – etwas Wesentliches verloren hatten. Er war nicht mehr der Ort, der früher durch die Kraft seiner Industrie und die Ausstrahlung seiner Zivilisation ein so faszinierendes Vorbild gewesen war. In Deutschland waren Politik und Öffentlichkeit zu Beginn der 2000er Jahre noch in der Lage, die Bedrohung des Industriestandortes Deutschland ernst zu nehmen und sich auf die „Agenda 2010“ zu einigen. Das zeigte, dass hierzulande die industrielle Moderne noch eine recht starke Position hatte. Auch in den USA wäre denkbar gewesen, dass es an diesem Punkt zu einer Rückbesinnung auf alte Stärken gekommen wäre.  

Aber so ist es nicht gekommen. Die Zivilisationskrise entwickelte sich weiter. Bestand sie in der Phase vom Ende der 1970er Jahre bis zum Ende der 2000er Jahre in der Abkopplung und Ausdehnung einer Parallelwelt, so wurde diese Parallelwelt in der folgenden Phase dominant und schlug in zerstörerische Angriffe auf grundlegende Errungenschaften des gesamten Landes um. Dieses Zerstörungswerk setzte in Deutschland – im Vergleich zu anderen Ländern – mit Verspätung ein, um dann aber mit besonderer Radikalität verfolgt zu werden. Damit sind wir bei der dritten Phase in der Geschichte der Bundesrepublik, in der wir uns gegenwärtig noch befinden. Wir kommen damit aber auch der Frage näher, wie eine neue Phase beschaffen sein müsste und könnte, in der dieses Land aus seiner Krise herausfindet.  

In der nächsten Folge lesen Sie morgenVon der „Großen Transformation“ ist nur noch eine Negativ-Agenda übriggeblieben, die Katastrophenszenarien und Feindbilder beschwört, um dann tragende Säulen von Marktwirtschaft und Republik zu opfern. 

Dr. rer. pol. Gerd Held, geb. 1951, studierte Sozialwissenschaften sowie Sozialphilosophie und promovierte und habilitierte an der Universität Dortmund, wo er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Privatdozent tätig war. Von 2008 bis 2015 war er Leitartikler und Essayist bei der Tageszeitung „Die Welt“. Seit 2016 war er als freiberuflicher Publizist tätig. Er lebt in Berlin. 

Foto: Pixabay

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Wolfgang Richter / 25.04.2024

“Deutschland ist zu einem Land geworden, in dem eine – durchaus beträchtliche – Minderheit einer – erheblich größeren – Mehrheit verkündet: ” - Verbote des Bisherigen, ohne brauchbare Alternativen anzubieten. Aber was will man auch von Leuten erwarten, die zu einer Generation gehören, deren “Ahnen” sie im Wohlstand haben aufwachsen lassen -Kinderarbeit zum Selbstverdienen von Taschengeld ist ja schon länger verpöhnt, hat “man” auch nicht nötig- , um sich sodann “auszuprobieren”, angefangen nach der Schule mit einer “Auszeit” in Australien oder Neuseeland, vielfach sodann keine Ausbildung abzuschließen / eines oder mehrerer Studiengänge mit “was Sozialem oder mit Medien”, sodann auf der den persönlichen Bedürfnissen entsprechenden “Balance mit möglichst wenig Work” zu bestehen. Also keine Ahnung von nix, außer dem Klickern in “sozialen Medien”, aber die Welt mit utopischen Rettungsideen belästigen und drangsalieren. Das kann nur schief gehen, denn das Geld kommt so wenig aus dem Automaten wie der Strom aus der Steckdose, wenn man nicht für entsprechenden “Input” sorgt.

A. Ostrovsky / 25.04.2024

Ein Land, das in einer Ideologie lebt, dass nicht die menschliche wertschöpfende Arbeit die Quelle des Reichtum ist, sondern Spekulation, Umverteilung oder sogar die Herstellung von Waffen, kann ihre wichtigste Ressource nicht nutzen. Die wichtigste Ressource ist die menschliche wertschöpfende Arbeit. In der DDR war es ein schwerer Fehler, eine Ideologie zu haben, in der die Menschen nach ihrer Stellung in der Wertschöpfung in KLASSEN unterteilt werden, dann aber Wertschöpfung auf Muskelarbeit zu reduzieren und die in einer technologischen Welt produktivste Ressource (Ingenieure, Wissenschaftler, Techniker) nicht zur “Arbeiterklasse” zu zählen, sondern zur politisch unliebsamen Intelligenz oder “Bourgeoisie”. Vollkommene Verdrehung, aus der die SED-Nachfolgepartei bis heute nicht herausgekommen ist. Im “Westen” hat man schon begriffen, wer die Werte schafft, aber auch, dass die Herrschaft nur von denen profitieren kann, wenn sie sie drücken/entwerten/bis schikanieren. Die bestehende Macht hing davon ab, die produktivste Ressource unter Druck zu setzen, damit sie noch mehr und noch mehr arbeiten, aber um Himmels Willen nicht erkennen, dass der ganze Laden ohne sie zusammenbricht. Für dieses Kunststück war der Sozialstaat da. Einerseits die ständige Drohung mit dem sozialen Abstieg, Einbindung in Kredit-Pflichten, Unterhaltung eines Heeres der “nichtarbeitenden” “Arbeiter”, das zunehmend erodiert wurde und zu nichtarbeitenden Arbeitsunfähigen/Unwilligen wurde. Die Unterhaltung der Nichtarbeiterschaft war teuer und konnte nur durch Umverteilung erreicht werden. Die lange schon bestehende Umverteilung von unten nach oben bekam nun eine Überlagerung durch Umverteilung aus der Mitte nach unten. Und die “Linken” hatten nichts besseres zu tun, ständig die stärkere Teilhabe der Nichtproduktiven am Wohlstand zu fordern. Sie haben aber darüber vollständig die Richtung verloren und wollen Wohlstand für jeden Null-Leister der ganzen Welt. Wir erleben gerade das Maximum.

Klara Altmann / 25.04.2024

@ Rolf Mainz: Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Übergriffe Silvester 2015 auf Frauen in Deutschland durch Migranten eine Zäsur in mehrfacher Hinsicht für mich waren. Zunächst der Schock und die Ungläubigkeit darüber, dass irgendwer es überhaupt wagt, in unserem Land die Rechte der Frauen in solcher Weise zu verletzen und sie in der Öffentlichkeit in solch übler Weise zu missbrauchen und zu erniedrigen. Weiterhin entsetzte mich, dass der Staat nicht sofort die volle Polizeimacht auffuhr, um diese Ereignisse zu unterbrechen und anschließend auch noch mithilfe der meisten Medien versuchte, diese unerträglichen Übergriffe zu verbergen, um das Narrativ des “guten Migranten” nicht zu gefährden. Und als nächstes noch die grausigen Versuche all das kleinzureden, verbunden mit den hohlen Phrasen der Politiker der Altparteien, die nur zeigten, wie zutiefst gleichgültig ihnen die betroffenen Frauen doch waren. Und dann anscheinend die Unmöglichkeit, die Täter zu finden und zu verurteilen, obwohl sonst scheinbar längst alles und jedes überwacht wird. Das waren die Momente, in denen mir klar wurde - dies ist sicher nicht mehr mein Land. Das ist jenes grausige Merkelland, in dem Migranten alles und Frauen nichts sind. Und so ist es seither geblieben. Warum irgendeine Frau, aber auch irgendein Mann als Bürger - denn wir sind ja alles Menschen - danach noch eine jener Altparteien wählte, die diese Zustände verursachten, bleibt mir auf ewig ein Rätsel. Man kann es als grundsätzlichen Bruch zwischen mir und dieser Gesellschaft betrachten, ich bin hier nicht mehr zu Hause, obwohl ich seit meiner Geburt hier lebe. Aber mein Land hat mit der Herrschaft von Merkel aufgehört zu existieren. Warum andere Frauen oder Männer das nicht so empfinden, Herr Mainz, das kann ich ihnen nicht sagen, denn ich verstehe es auch nicht.

Sam Lowry / 25.04.2024

Wieviele Jahre wird es wohl dauern, die zerstörten Kraftwerke, die zerstörte Gesellschaft, die zerstörte Infrastruktur, die zerstörte Wirtschaft, die zerstörten Städte und vieles mehr wieder aufzubauen? Ich glaube da gar nicht mehr dran… “finis germania”. Punkt.

A. Ostrovsky / 25.04.2024

@Bernd Neumann : Herr Neumann, bitte schauen Sie mal bei statista punkt com an:  “Zusammengefasste Geburtenziffer*: Entwicklung der Fertilitätsrate in der BRD und in der ehemaligen DDR von 1950 bis 1990”. Da sieht man die Wirkung der Pille, man sieht dass das Problem in der Blütezeit der Achtundsechziger begann, gerade in der Zeit, als in der Bundesrepublik der Wohlstand ausbrach. Man sieht aber auch, dass man im Osten nach einem kurzen Schock politisch gegengesteuert hat. Das Klima, das im Lande herrscht, ist wenigstens 50% des Problems. Ab 1990 waren die Kinder aus dem Osten, die ab 1975 geboren wurden und folglich 1990 gerade mit 15-18 begannen, ins Berufsleben einzusteigen, die erste Einwanderungswelle in die alternde Bundesrepublik. Es waren aber insgesamt nur 16 bis 17 Millionen Ossis, viel zu wenig für die Bundesrepublik, die deshalb unter einem extremen Mangel von Berufseinsteigern litt, weil die Generation der Kriegskinder viel zu wenige Kinder hatte. Aber letztendlich war der ganze Effekt durch politische/fiskalische/kulturelle Ursachen ausgelöst, die in der heutigen “gesamtdeutschen” Bundesrepublik noch immer nicht ernsthaft beseitigt sind. Die Hauptursache ist ein falsches Lohnsteuersystem, verbunden mit den Regelungen des Unterhaltsrechtes. Das Unterhaltsrecht legt fest, dass die Eltern jedem Kind einen bestimmten Betrag an Unterhalt schulden. Dieser Betrag, multipliziert sich mit der Zahl der Kinder. Richtig wäre es, den Unterhaltsbetrag für die Kinder zuerst von dem Bruttoeinkommen des “Verdieners” abzuziehen, weil es NICHT sein Einkommen ist. Es gehört ihm gar nicht. Er erarbeitet dieses Einkommen zwar, aber ein wesentlicher Teil ist bereits verpfändet. Das Einkommenssteuergesetz geht aber umgekehrt ran. Sie versteuern das Bruttoeinkommen. Zwar werden Freibeträge gewährt, aber die werden viel zu langsam angepasst. Die Abgaben KV, RV, PV, ... richten sich nach dem Brutto. Je mehr Kinder, umso mehr bekommt der Staat. Folge “Mangelwirtschaft”.

Lutz Liebezeit / 25.04.2024

Der Autor hat genau da bei DIE WELT als Publizist angefangen, als der Springer-Konzern die konservative Zeitung auf zynisch-neoliberal umgestellt hat. Bis 2006 war es noch möglich, harte Kritik an der EU und ihren Institutionen zu publizieren. “DIE WELT Die Halluzinationen der Euro-Eliten Veröffentlicht am 23.07.2005 | Lesedauer: 4 Minuten Von Daniel Hannan Die EU-Institutionen verhalten sich so, als hätte es die beiden ablehnenden Referenden zur europäischen Verfassung gar nicht gegeben.” Der britische Abgeordnete und EU-Kritiker, Daniel Hannan, bekam in “Die Welt” jahrelang eine wöchentliche Kolumne. Die große Säuberung der “Welt” war wohl 2008 und die Entfernung des bissigen Damiel Hannan. “DIE WELT Warum Europa Israel nicht mag Veröffentlicht am 18.03.2006 | Lesedauer: 3 Minuten Von Daniel Hannan KOLUMNE Die Palästinenser sind in der EU beliebter / “DIE WELT Manuel Barroso weiß es besser Veröffentlicht am 13.05.2006 | Lesedauer: 3 Minuten Von Daniel Hannan Die EU-Kommission will das Rechtssystem zentralisieren - Die Bürger rufen im Kampf gegen Terror und organisiertes Verbrechen nach “mehr Europa”“, sagt der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso. “Es ist unsere Pflicht, diesem Ruf nachzukommen - mit oder ohne eine Verfassung.” Ich kann nicht behaupten, daß ich viele Menschen “mehr Europa” hätte fordern hören, allerdings bewege ich mich auch nicht in denselben Kreisen wie Herr Barroso. Faszinierend an dieser Aussage jedoch ist ihre Annahme, daß EU-Kommissare - die, wir erinnern uns, von niemandem gewählt wurden - den Willen von 400 Millionen Europäer erkennen können.” Der Mann war ein Talent, es gab immer viel zu lachen. Leider ist mit Daniel Hannan auch der Humor aus den deutschen Medien gesäubert worden. Bis auf eine Handvoll sind die meisten Kolumen von Daniel Hannan aus dem Archiv gelöscht worden. Ich war sehr erbost.

A. Ostrovsky / 25.04.2024

@Fred Burig : >>dann kann ich ihnen nur raten, sich lieber etwas an der “Klima- Apokalypse” aufzubauen. Wahrscheinlich tritt die nämlich eher nicht, zumindest nicht so bald, ein! Ein gesteuerter “Ruin Deutschlands” dagegen, ist schon in naher Zukunft wahrscheinlicher!<< ## Was ist da der Unterschied? Das Elend dieses Landes hat eine und die selbe Ursache, die Macht der Dummheit. Wir können Dummheit nicht verhindern. Selbst mit einem Zero-Dummheit-Programm könnten wir die Dummheit nicht eindämmen. Es ist aussichtslos. Alles was wir tun können, ist die Verhinderung der MACHT der Dummheit. Dazu dürfen wir nicht weiter resigniert abwinken oder sogar unter Zwang die Parolen der Dummheit nachblöken. Wir haben NUR dann eine Chance, wenn wir die Dummen dauerhaft von der Macht weg bekommen. Es gibt ein Recht auf Unbildung, es gibt ein Recht auf Dummheit, aber wer dumm oder ungebildet ist, verwirkt das Recht, zu führen oder Macht auszuüben. Das ist eigentlich selbsterklärend. Die offensichtliche Zunahme der Dummheit “oben”, die hier in allen Variationen beklagt wird, hat eine Ursache. Weil wir es zulassen.

A. Ostrovsky / 25.04.2024

@Bernd Neumann : >>Sie sollten die üble Hinterlassenschaft der Boomer nicht unterschlagen, den Unwillen, verursacht durch Verblendung und gerne geglaubte Lügen des Sozialstaates, Kinder zu bekommen. Schauen Sie sich das Straßenbild einer beliebigen deutschen Großstadt an: Hätten wir nicht den enormen Rückgang an Geburten seit 1969, dann sähen Sie jetzt für nahezu jeden Türken, Araber, Afghanen, Afrikaner, Jugoslawen oder Griechen einen Deutschen.<< ## Ich habe gerade mal den Abakus aus dem Schrank geholt. Also die Boomer waren 1969 noch gar nicht dran mit dem Kinder-Bekommen. Sie verwechseln WIEDER die 68-er mit den Boomern? Die Boomer sind die Kinder der Generationen zwischen 1925 und 1934, die 68-er hatten andere Eltern. In Deutschland ist der Boomer-Zeitraum etwa von 1954 bis 1967. Die sollten also den Niedergang der Geburtenraten ab 1969 aufhalten? Das kann nicht stimmen. Rechnen Sie doch mal zurück, bei einer durchschnittlichen Generationenfolge von 25 Jahren (Männer) und 20 Jahren (Frauen) zur damaligen Zeit. Wenn man von 1969 25 Jahre abzieht, ist man bei 1944. Das sind genau die Leute, die während des WK2 geboren wurden, die man ACHTUNDSECHZIGER nannte und die von Kindern mehrheitlich nichts gehalten haben. Das waren die, die die Freigabe der Antibabypille (auf Krankenschein) durchgesetzt haben, offiziell 1970, inoffiziell früher verfügbar. Das waren auch die, die ein gesellschaftliches Klima erzeugt haben, dass ” jeder selbst die Schuld hat, wenn er Kinder hat”, er hätte ja auch aufpassen können. Die Folge war eine Situation, in der es zunehmend existenzbedrohend war, wenn man mehr als ein Kind hatte. Mehr als zwei Kinder konnten sich häufig nur Besserverdiener leisten. Dann kam die Zeit, wo Bildung entscheidend war für den Lebensstandard, auch für Frauen. Karriere statt Familie. Außer bei denen, die aus anderen Kulturkreisen stammen. Kinderfeindlichkeit plus Pille = Geburtenrückgang. Alles die 68-er.

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