Thomas Rietzschel / 15.03.2016 / 14:58 / 9 / Seite ausdrucken

Die Hochzeit zu Hannover

Als die Kanzlerin im vorigen Sommer über Land fuhr, um mit „den Menschen“ zu sprechen, sprach sie gern von der „Bereicherung“ unseres Lebens durch die „Flüchtlinge“. Schließlich wiege dieser kulturelle Zugewinn allemal auf, was an Problemen möglicherweise auf uns zukommen könnte.

Und tatsächlich wird niemand bestreiten wollen, dass es in Deutschland heute mehr zu erleben gibt als noch vor zwei oder drei Jahren. Bunter und aufregender geht es über Tische und Bänke. Action, wohin man schaut, am vergangenen Wochenende sogar in Hannover an der Leine. Über 300 Männer, Frauen und Kinder hatten sich anlässlich einer Hochzeit versammelt. Zu fortgeschrittener Stunde krachten fünf Schüsse, eine junge Frau fiel zu Boden, tödlich getroffen, wie sich später herausstellte. Messer blitzten, die Schlägerei begann. Die Hochzeit zu Hannover war in vollem Gange.

Allein, wer waren die Gäste, wer hatte sich mit wem vermählt? Der Bericht, mit dem SPIEGEL-ONLINE noch in der Nacht über das Geschehen informierte, gab darüber so wenig Auskunft wie die Reportage des NDR am Morgen danach. Selbst heute, zwei Tage später, gibt sich das „Darmstädter Echo“ in einem längeren Artikel zu der  „großen Hochzeitsparty“ verschwiegen. Kein Wort über die Herkunft jener, die da so ausgelassen feierten.

Dabei ist mangelnde Recherche gewiss das Letzte, was man den Kollegen vorwerfen könnte. Denn einigen anderen Blättern ist immerhin, versteckt im dritten oder vierten Absatz, zu entnehmen, dass es sich bei dem Veranstaltungsort, das „Star Event Center“, um eine „Location“ handelt, die „bei türkischen und kurdischen Hochzeitsgesellschaften beliebt“ sein soll, wie etwa  „Die Welt“ schrieb. Noch einen Schritt weiter wagte sich FOCUS Online vor mit dem Satz: „Bei der Veranstaltung soll es sich um eine kurdische Hochzeit gehandelt haben, zu der mehrere Personen geladen waren.“ Wow! Überbieten konnte das bloß noch die FAZ, die auf ihrer Seite „Deutschland und die Welt“ links unten eine dpa-Meldung druckte, in der wiederum „ein Polizeisprecher“ mit der Vermutung zitiert wurde: „Eventuell könnte der kulturelle Hintergrund eine Rolle gespielt haben.“

Korrekt ist das alles nicht. Geht es doch weit über das hinaus, was der Deutsche Presserat für angemessen hält. Seinem Kodex zufolge soll von der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit in Verdacht geratener Personen, möglicher oder überführter Täter kein Aufhebens gemacht werden, wenn das zum Verständnis der berichteten Vorfälle nicht unbedingt nötig ist. Und ganz offensichtlich war das nach Ansicht der verantwortungsbewussteren Journalisten des Spiegel, des NDR und anderer mehr bei der Berichterstattung über die Feier in Hannover nicht der Fall.

Wie denn auch? Kommt es doch hierzulande alle Tage vor, dass wenigstens 300 Menschen bei einer Hochzeit zusammen laufen, fröhlich herumalbern und einander an den Kragen gehen. Oder geschieht das in Deutschland eher selten, eigentlich gar nicht mehr? Ist es womöglich schon Teil jener kulturellen „Bereicherung“, die uns die Kanzlerin zuversichtlich in Aussicht stellte, als sie den Bürgern riet, doch etwas offener für das Fremde zu sein?

Dann freilich wäre die zurückhaltende, vermeintlich verantwortungsvolle Berichterstattung vieler Kollegen in Wahrheit geradezu verantwortungslos. Unterschlüge sie doch, wem wir das aufregendere Leben dieser Tage zu verdanken haben: Events wie die Kölner Silvesterfeier und nun auch die Hochzeit zu Hannover.

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Leserpost

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Tomas Reiffer / 16.03.2016

„Eventuell könnte der kulturelle Hintergrund eine Rolle gespielt haben.“ Mein Gott! Ob die das wohl selbst glauben, was sie da verzapfen? Manchmal stelle ich mir vor, wie die Schreiberlinge in ihrem Großraumbüro hocken und dann ganz leicht angetrunken einen lautstarken Formulierwettbewerb abhalten. Die Wahrheit sieht vermutlich düsterer aus. Sie glauben den Quatsch selbst.

Norbert Lange / 16.03.2016

Zu bestimmten Formen von Gewalt und Kriminalität in der Öffentlichkeit bedarf es schon lange keiner Erwähnung des Migrationshintergrundes der Beteiligten mehr, weil jeder der zwei und zwei zusammenzählen kann eh´ weiß, welcher ” Kulturkreis ” uns da gerade einmal wieder ” bereichert ” hat. Die Müllers und die Schmidts prügeln sich halt eher selten in Gruppen von 50 und mehr auf der Straße, ethnische Schweden oder Kanadier treten noch seltener in Gruppen Menschen auf Bahnhöfen den Schädel ein und der deutsche Normalbürger zieht auch nicht wirklich oft sofort das Messer, wenn er sich in seiner ” Ehre ”  gekränkt fühlt.

Karl Baumgart / 15.03.2016

Rietzschel, ich schätze Ihre Beiträge und verschicke sie so gut wie immer an meinen Freundes- und Bekanntenkreis. Aber als Mitglied des ‘Vereins Deutsche Sprache’, dessen Vorsitzender Walter Krämer gelegentlich hier zu lesen ist, lehne ich den von Ihnen verwendeten Ausdruck - und dies sage ich als Englischlehrer a.D. - ‘event’ = Ereignis. Wieso in aller Welt schreiben Sie nicht so, dass auch meine mittlerweile verstorbene Mutter Sie verstanden hätte? Wollen Sie sich durch diesen Ausdruck den Anschein von Weltläufigkeit geben?

Ralf Orth / 15.03.2016

Steht der Kodex des Deutschen Presserats über dem Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit? Wodurch ist der D. Presserat zu irgend einer Vorgabe legitimiert?

Judith Jannach / 15.03.2016

traurig traurig, dass es so weit gekommen ist, dass man unterscheiden muss zwischen staatsmedien und solchen die die wahrheit berichten….

Wolfgang Behr / 15.03.2016

Nur ein Glück, dass kein Alkohol im Spiel war.

Wolfgang Schmid / 15.03.2016

Inwieweit ist es denn für das Verständnis der Geschichte notwendig zu wissen, dass eine Frau erschossen wurde? Und welche Rolle spielt deren Alter? Da gibt es für den Presserat noch viel zu kodifizieren: Als nächstes kommt die genderneutrale und altersegalitäre Berichterstattung!

Paul Siemons / 15.03.2016

Der aufmerksame Leser braucht längst keinen expliziten Hinweis mehr auf kulturelle Hintergründe solcher Ereignisse. Wir sind hier nicht in der Provence, wo, so gehen die Legenden, bei länger anhaltenden Mistral nicht geheiratet wird, da dieser penetrante, kalte Wind selbst die Einheimischen aggressiv machen kann und dann schon mal die Opinelmesser etwas lockerer sitzen. Daher kann es sich hierzulande nur um bedauerliche Einzelfälle im Umfeld kulturell bereichernder Neubürger handeln. Man muss das also genau so wenig erwähnen wie die garantierte Jungfräulichkeit der Braut. Ja, Deutschland wird bunter, Frau Roth und Göring Eckhardt haben es sich voller Freude gewünscht.

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