Stefan Frank / 26.05.2016 / 11:35 / 1 / Seite ausdrucken

Reinhard Baumgarten - Ruhanis williger Helfer

Reinhard Baumgarten arbeitet für den SWR als Korrespondent in Teheran. Er leidet an einer Berufskrankheit: übermäßiger Faszination für das Studienobjekt. So, wie mancher Virologe ins Schwärmen gerät, wenn er von der Wunderwelt der Viren und deren verblüffenden Fähigkeiten spricht, so findet Baumgarten, wann immer er das Ayatollah-Regime unter seinem Elektronenmikroskop betrachtet, ständig neue, bislang unbekannte Demokratiemoleküle, Freiheitspartikel und Pluralismusproteine, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat und die ihm das Gefühl geben, auf wichtiger Mission zu sein: das Image eines antisemitischen Folter- und Mordregimes aufzupolieren.

Der unsichtbare Reformismus

Reinhard Baumgarten ist ein Entdecker; seine politischen Berichte aus dem Iran ähneln den Romanen von Jules Verne. Zwar sind sie weniger exakt, doch was ihm an Wissenschaftlichkeit und Wissen abgeht, macht er durch Phantasie wieder wett. Vor wenigen Monaten, wir erinnern uns, beschrieb Baumgarten das imposante Naturphänomen der iranischen Wahlen. Diese sind, erfuhren seine Zuhörer, „bedingt demokratisch“. Anders als in manch europäischem Land bekämen die „Hardliner“ im Iran bei Abstimmungen nie einen Fuß auf den Boden, seit Jahren schon eilten die Softliner von Erfolg zu Erfolg.

Die Hardliner nämlich sind ganz schön dumm: Obwohl sie im Iran scheinbar jede Haarsträhne und jeden Urankern kontrollieren, sitzen „gemäßigte Konservative und reformorientierte Kandidaten“ insgeheim an den Hebeln der Macht und drehen ihnen eine lange Nase. Quo vadis, theokratische Diktatur? So wird das nichts mit der Wiederkunft des Mahdis.

Holocaust? Heikel.

Zeit, einmal einen Blick auf die vibrierende iranische Kulturszene zu werfen. Schon vor ihrer Eröffnung konnte Baumgarten einen Blick auf die neueste Holocaustkarikaturenausstellung werfen. Darum interviewte ihn letzte Woche der NDR, den die Frage umtrieb, was Kunst dürfe. Damit ist das Diskursfeld abgesteckt: Wer antisemitische Karikaturen zeichnet, ist in jedem Fall ein Künstler.

„Was darf Kunst? Eine Frage, die immer wieder – vor allem wenn es um Satire und Karikaturen geht – gestellt wird. In Teheran wird nun zum zweiten Mal ein Karikaturenwettbewerb zum Thema Holocaust veranstaltet. Eine heikle Angelegenheit.“

Heikel, ja. Wie leicht kann man sich an der Tür zum Krematorium die Finger verbrennen – und hat das iranische Regime nicht einen Ruf zu verlieren? Kennt die Welt es nicht als moderat, besonnen, stets darauf bedacht, keines Menschen Gefühle zu verletzen? Das ist zumindest das Bild, das ARD und ZDF gerne zeichnen: der Iran, ein Baumgarten Eden der Bürgerrechte.

Garten Eden der Bürgerrechte

Wenn da nun eine heikle Ausstellung stattfindet, ist es gut, einen Spezialisten vor Ort zu haben, der in der Lage ist, den Subtext zu lesen und die drolligen Auschwitzbilder ins rechte Licht zu rücken, ein pluralistisches Helldunkel, in dem alle neunschwänzigen Katzen grau sind, Ajatollah Khamenei nichts gegen Juden und „der Westen“ wie immer Unrecht hat. – Doch spannen wir die Leser nicht länger auf die Folter und hören, ob Baumgarten findet, dass es sich lohnt, die Holocaustkarikaturenausstellung zu besuchen:

NDR Kultur: Herr Baumgarten, können Sie kurz beschreiben, was in der Ausstellung zu sehen ist? Was sind das für Arbeiten?

Reinhard Baumgarten: Man sieht zum Beispiel Netanjahu, den israelischen Regierungschef, und aus seinem Kopf heraus wächst ein Kopf von Adolf Hitler. Oder man sieht Bahngleise, die in Richtung Lager Auschwitz führen, oben drüber steht ‚Arbeit macht frei‘, und unter den Schienen liegen Menschen aus Syrien, aus dem Irak, aus dem Gaza-Streifen. Eine andere Karikatur zeigt diese Trennmauer, die Israel errichtet hat, oben drüber wieder der Spruch des Lagers Auschwitz: ‚Arbeit macht frei‘. So ist der Versuch eine Verbindung herzustellen zwischen dem Unrecht der Nazis und den Juden mit dem Unrecht, das den Palästinensern widerfahren ist.“

Man kann nur raten, welches Unrecht den Palästinensern widerfahren sein mag, merkt aber, dass der Versuch, eine Verbindung zu den Nazis herzustellen – die, wir erinnern uns vage, auch mal Unrecht hatten –, bei diesem Probanden bereits geglückt ist. Die „Trennmauer“, die Israel von Terroristen trennt, ist wie die Schwarze Wand von Auschwitz, und dass Netanjahu Iraker und Syrer in Viehwaggons pfercht, ist für Baumgarten so klar wie das Gewissen eines iranischen Reformers. Hier geht es weiter.

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Johannes Reh / 26.05.2016

Eine Studienkollegin kommt aus Teheran. Sie erzählt, ihr regierungskritischer Onkel wurde dort vor nicht allzulanger Zeit entführt, niemand wusste wo er verblieben war, ob er vielleicht noch lebt und im Gefängnis steckt . Immer wieder hatte die Familie nachgeforscht, wo er geblieben ist. Als die Tante sich zuletzt an die BBC wenden wollte um internationalen Druck auszuüben, bekam sie einen Brief oder Besuch, genau weiss ich es nicht mehr. Ihr wurden Fotos von dem Onkel gezeigt, die kurz nach seinem Tode aufgenommen wurden, auf denen grausamste Folterspuren zu sehen waren (abgeschnittene Ohren, etc). Dazu kam die deutliche Warnung besser die Klappe zu halten, sonst wäre der Rest der Familie als nächstes dran. An die BBC hat sie sich die Tante dann nicht mehr gewendet.

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