Ulli Kulke / 28.06.2023 / 06:05 / Foto: Persiflage/Achgut.com / 166 / Seite ausdrucken

Weidels Tagebücher entdeckt

Fast hatten wir schon wieder vergessen, dass wir dieses Jahr den 40. Geburtstag der Veröffentlichung der Hitlertagebücher im Stern feiern durften, im April. Das Jubiläum begeht der Stern würdig mit einer in Fraktur gedruckten Titelzeile zu Alice Weidel.

Fast hatten wir schon wieder vergessen, dass wir in diesem Jahr den 40. Geburtstag der Veröffentlichung der Hitlertagebücher im Stern feiern durften, im April. Aber der Stern ist jetzt so freundlich und erinnert uns erneut an diese seine größte Sternstunde. Und zwar wieder durch eine Blamage, diese Woche, wieder mit dem Nazi-Thema, wieder geht es um gedruckte Buchstaben, wieder in Frakturschrift.

Auf dem Titel der Ausgabe dieser Woche schaut uns die AfD-Vorsitzende Alice Weidel an, die das Blatt zum Interview gebeten hatte und die man darin – so lesen wir vorne drauf – offenbar mit der Frage konfrontierte: „Was können Sie eigentlich außer HASS, Frau Weidel?“. Ich weiß nicht, was sie darauf geantwortet hat, hatte keine Lust, den Stern zu kaufen. Vielleicht hat sie ja zu den Reportern gesagt: „Tja, wie Sie sehen, kann ich zum Beispiel meine Partei in Umfragen auf 20 Prozent bringen, jetzt haben wir sogar einen Landrat bei einer Wahl durchgebracht. Und das Tollste, Sie werden lachen, indem ich gar nichts gemacht habe. Wir alle mussten nichts machen. Alle anderen Parteien haben uns durch ihre Einheitspolitik a la Blockflöten an die Spitze getrieben. Und es geht weiter.“ Vielleicht hat sie das gesagt, vielleicht auch nicht. Doch darum geht es mir gar nicht.

Mir ist aber aufgefallen, dass die Stern-Redaktion gemeint hat, es sei klug, jetzt, da es – wie vor 40 Jahren – wieder um „Nazis“ geht, das Schlüsselwort wieder in Fraktur zu drucken. In diesem Fall: „HASS“. Fraktur, Nazi-Schrift pur, so haben die in Hamburg wohl gedacht. So sollte es jedenfalls rüberkommen: Altdeutsch = Nazi, sowieso. Das isses doch auch, was wir letztlich rüberbringen wollen, oder, Kollege?

Ist die Chefredaktion an ihren Asservaten-Tresor gegangen?

Es kann sein, dass das vor 40 Jahren in dem allgemeinen Trubel untergegangen war. Aber die Frakturschrift haben die Nazis damals schon kurz nach 1933 ausdrücklich abgelehnt und ab den 40er-Jahren sogar untersagt. Sie bezeichneten sie als „Judenschrift“. Irgendjemand dürfte 1983 deshalb die Sternredaktion nach der Tagebuch-Veröffentlichung sicher auf die Merkwürdigkeit hingewiesen haben, dass angesichts des Fraktur-Verbotes durch die Nazis ihr Adolf auf seinem Tagebuch bis zum bitteren Ende seine Initialen selbst in Frakturschrift stehen hatte. Kann natürlich sein, dass das auch deshalb untergegangen ist, weil bei jenen Initialen Hitlers auf dem Stern-Titel nicht nur die Schrifttype falsch war, sondern auch das „A“ von Adolf. Das war nämlich ein „F“, wie fast jeder Blinde hätte sehen können.

Gerd Heidemann, der das damals mitgekriegt haben muss, hätte das jetzt der Stern-Redaktion sicher sagen können, aber der Draht ist wahrscheinlich nicht mehr so eng. Und Konrad Kujau ist tot. Hitler selbst ja auch, aber vielleicht ist die Chefredaktion ja an ihren Asservaten-Tresor gegangen und hat noch mal in dessen Tagebücher geschaut. Und Hitler hat es in seinem Tagebuch anders geschrieben, und das mit dem Fraktur-Verbot war nur ein Missverständnis… Oder wie auch immer.

Wenigstens steht jetzt auf dem Titel „HASS“ und nicht in großen Lettern „HFSS“. Hätte ja passieren können. Aber das immerhin hat man gelernt.

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Lars Bäcker / 28.06.2023

Tiefer kann Journalismus kaum mehr sinken…

Albert Pelka / 28.06.2023

Viele hier fragen sich, warum, man sich denn für solchen hundsfotzigen Möchtegern-“Entlarvungs”-Tschurnalismus-“Hailaitz” von ausgewiesenen Medien-Antifaüberfallkommandos zur Verfügung stellt von Seiten der AfD.  Ganz einfach: Weidel spielt hier über Bande, und richtig erfolgreich. Sie mobilisiert so ganz unmittelbar allerlei Anschauungsmaterial über deren intendierten und praktizierten Totalitarismus.  Die Systemlinge gehen dadurch sozusagen sich selbst auf den Leim.  Und so wie sie nunmal gestrickt sind, so von allem Anstand und aller Bildung ungetrübt und so selbstverliebt wie sie sind, tappen sie damit prompt in die Falle ihrer eigen Entlarvung. Wer wäre denn sonst so dumm, mit so einer vermeintlichen Vernichtungs-Frage aufzulauern - um nicht zu sagen -  zu wegelagern mit so einem dampfenden Mist-Haufen an narzisstischen Größenwahn,  ob Weidel noch anderes als “Hass” drauf habe? Ich an Weidels Stelle hätte da zurück gefragt, ob ich vielleicht im Fach “Hetze” ihrer Meinung nicht doch noch eine Umdrehung mindestens superber sei, wenigstens werde mir das von allen Gleichschaltungs-Journaillen ihrer Gesinnungs- respektive Haltungs(-form) wöchentlich gleich mehrfach bescheinigt.

Gerhard Schmidt / 28.06.2023

Wenigstens durfte Frau Weidel das Oberteil anbehalten, anders als die meisten Frauen auf Stern- Tit(t)telblättern…

K.Schönfeld / 28.06.2023

Danke dafür, dass sich Achgut durch die Schuddelecke deutscher Schreiberlinge quält Dafür gibt es ja Geld von den Spendern. Da brauchen die den Mist nicht kaufen und werden trotzdem über die Abgründe des Homo sapiens journallus informiert.

B. Kurz / 28.06.2023

@David Vincent: Ihr gelungener Beitrag wurde schon von einigen Mit-Foristen gewürdigt. Ich muss sagen, eigentlich gefällt er mir nur tw., denn Ihr Aufsatz-Stil erinnert doch sehr an “Was war mein schönstes Ferienerlebnis”. Dessen ungeachtet haben mich aber Ihre Beobachtungen zu Gesichts- und Tonmelodien von AfD-Politikern fasziniert. Könnten Sie bitte auch Vertreter unserer Ampelkoalition derart analysieren? Danke.

Martin Schott / 28.06.2023

Herr Kulke, warum wundert Sie beim “Stern” eigentlich überhaupt noch was? Das gleiche Blatt hat in diesem Frühjahr auch behauptet, dass der Gardasee bis auf 38% seines Volumens verdunstet sei. “Stern”-Redakteure stammen wohl aus einem Paralleluniversum, in dem Fraktur tatsächlich die Schrift der Nazis ist. (Das manchmal als “deutsche Schrift” bezeichnete Sütterlin kennt heute ohnehin kein Mensch mehr.) Statt um Inhalt geht es dem “Stern” nur noch um Etiketten - egal wie sinnfrei sie auch sind. Siehe Weidels “Kopftuchmädchen” und “Messermänner” oder Merzens “Sozialtouristen”. Was daran dran ist, interessiert nicht.

Dieter Kief / 28.06.2023

Ohhh - - - die Schlagzeile “Alice Weidels Tagebücher entdeckt” - - .u.n.d. das Stern-Logo in Runenschrift sind .t.o.p.! - - Meine Vereherung!

Dr. Klaus Jürgen Bremm / 28.06.2023

Jetzt haben wir schon Tag 4 nach Sonneberg und es wird immer noch darüber geschrieben, anstatt einfach zur Tagesordnung überzugehen und die Wahl in Vergessenheit geraten zu lassen. Unter normalen Umständen wäre es das Klügste. Wenn es trotzdem nicht passiert, gibt es zwei Erklärungen. Unsere Feinde sind entweder saudumm oder sie wollen, was ich eher befürchte, auch unsere Meinungen beherrschen. Sie streben also die totale Kontrolle an und verbergen dies nicht einmal mehr. Die Lösung ist allerdings - wie schon seit Jahren - recht einfach und hat drei Buchstaben. Wohlan! Ihr Thüringer.

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