Peter Grimm / 14.05.2024 / 11:00 / Foto: Olaf Kosinsky / 132 / Seite ausdrucken

Demokratie gefährdendes Irrlicht nach dem AfD-Urteil

Was bedeutet es, wenn ein CDU-Politiker wie Marco Wanderwitz (Foto) erklärt, eine „bedrohliche“ Partei nicht mehr „auf politischem Weg kleinbekommen“ zu können und deshalb nach einem Verbot ruft?

Das gestrige Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster darüber, ob es zulässig ist, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall behandeln darf, war so erwartbar wie die anschließenden Kommentare. Die Richter hatten im Prinzip eine Wahl, die keine war. Hätten sie für die AfD entschieden, wäre ihnen aus Politik und den meisten Redaktionen vorgeworfen worden, sie würden der AfD damit ausgerechnet vor wichtigen Wahlen eine Art Unbedenklichkeitserklärung ausfertigen. Die jetzige Entscheidung hingegen erlaubt dem Verfassungsschutz den hinreichenden Verdacht, um die AfD zu überwachen. Es ging aber nicht um eine bereits erfolgte Erklärung, die Partei wäre „gesichert rechtsextrem". Darum geht es in Sachsen und Thüringen, wo die Landesverfassungsschutzämter die jeweiligen AfD-Landesverbände als solche klassifiziert haben, was die Partei dort auch nicht hinnehmen will. Die Begründungen für diesen Schritt, die die Landesämter der Öffentlichkeit verrieten, waren allerdings – zurückhaltend formuliert – eher faktenarm. 

Im letzten Jahr schrieb Felix Perrefort hier zu dieser Verfassungsschutzeinstufung in Thüringen:

„Je schwerwiegender die Vorwürfe, desto schwerer wiegt auch die Beweislast. Auf elf Seiten (ca. 4.500 Wörter) sucht der Verfassungsschutz sie zu stemmen. Es mag durchaus sein, dass es solche Beweise gibt, der Verfassungsschutz ist aber offenbar nicht in der Lage, sie zu präsentieren."

Und Stephan Kloss wollte im Januar wissen, wie die sächsischen Verfassungsschützer ihre Einstufung begründen: 

Die Pressemitteilung ist auf der Seite des sächsischen LfV abrufbar. Darin wird im ersten Absatz, Zeile 7, darauf hingewiesen, dass ein 134-seitiges Gutachten existieren soll. Auf dessen Grundlage sei die Einstufung des AfD-Landesverbandes Sachsen als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ erfolgt. Der Autor bat beim LfV um eine Kopie des Gutachtens. Die Behörde teilte mit:

‚Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass das Gutachten nicht öffentlich zugänglich ist ... Das Gutachten ist ein als Verschlusssache eingestuftes Dokument, das ausschließlich intern verwendet wird.‘“

„Brand oder Rauch um nichts?“

Dafür, dass die jeweils umfragestärksten Parteien in diesen Ländern amtlicherseits zu Verfassungsfeinden erklärt wurden, erscheint die öffentliche Beweisführung einigermaßen unzureichend. Aber darum ging es in Münster noch nicht, sondern darum, ob der Verfassungsschutz den Verdacht erklären und ermitteln darf, wie u.a. die taz berichtet:

„Richter Gerald Buck brachte es am Ende auf ein praktisches Bild: ‚Die Polizei darf eine Wohnung betreten, in der ein Rauchmelder vernehmbar Alarm gibt, man also einen Brand vermuten muss, und niemand öffnet‘, sagte er. Stelle sich dann heraus, dass es sich nur um einen Fehl­alarm handele, ändere das am Verdachtsmoment nichts – ‚die Polizei hat dann aber die Wohnung wieder zu verlassen‘, so Buck, Vorsitzender Richter des 5. Senats am Oberverwaltungsgericht Münster.

In dem riesigen Verfahren mit Tausenden Aktenseiten und Hunderten Schriftsätzen ging es darum, ob der tatsächliche Verdacht besteht, dass die AfD die Demokratie anzünden will. Und dafür sieht das Oberverwaltungsgericht wie bereits schon das Verwaltungsgericht Köln 2022 ausreichende Anhaltspunkte: Der Senat hat am Montag die Klage der AfD gegen ihre Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zurückgewiesen.

Heißt: Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall beobachten und die Öffentlichkeit darüber informieren. (…)

Denn das Gericht betonte ausdrücklich, dass es lediglich über die Einstufung als Verdachtsfall entschieden habe. Daraus leite sich kein Automatismus für eine Einordnung als ‚erwiesen extremistische Bestrebung‘ ab – dafür bedürfe es mehr. Näheres wolle man im schriftlichen Urteil darlegen.

Richter Buck gab dem Bundesamt aber gewissermaßen Hausaufgaben mit auf den Weg: Das Bundesamt müsse nun weiter prüfen. Um im Bild zu bleiben, sagte er: ‚Der Rauchmelder des Verfassungsschutzes schrillt, ist das ein Brand oder nur Rauch um nichts? Das zu erhellen, ist Aufgabe des Verfassungsschutzes.‘“

Jetzt kann man dies zum Anlass nehmen, wie oben geschehen, auf die diesbezüglich offenen Fragen an die Landesverfassungsschutzämter in Sachsen und Thüringen hinzuweisen und ansonsten gelassen auf das schriftliche Urteil warten, um sich dessen Begründung genauer anzuschauen. Doch dann gab es da doch eine Politiker-Reaktion auf dieses Urteil, die man nicht umkommentiert lassen sollte. 

„Keine Illusionen“

Eigentlich waren auch alle Reaktionen im Prinzip erwartbar, beispielsweise, dass all jene, die schon länger ein AfD-Verbot forderten, das Urteil nun zum Anlass nehmen, diese Forderung erneut medienwirksam zu präsentieren. Doch dann gab es in diesem Reigen einen bezeichnenden Satz des sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten und früheren Ost-Beauftragten der Bundesregierung Marco Wanderwitz in Zeit-Online: Die AfD ist eine große Bedrohung. Man muss sich keine Illusionen machen. Gerade im Osten bekommt man die Partei auf politischem Weg nicht mehr klein“.

Was macht der Herr Wanderwitz doch gleich beruflich? Er ist Politiker. Wenn er meint, eine Partei, die er für eine „große Bedrohung“ hält, auf „politischem Weg nicht mehr klein“ bekommen zu können, dann stellt er sich damit selbst ein vernichtendes Zeugnis aus und sollte vielleicht über eine berufliche Neuorientierung nachdenken. Bedeutend weniger witzig ist, dass hier ein Politiker, der sich selbst wohl für einen Demokraten hält, tatsächlich glaubt, er würde die Demokratie verteidigen, indem er die in manchen Ost-Ländern nach Umfragen stärkste Partei verbieten lässt. Man könnte die AfD auf politischem Wege sehr wohl schwächen, man hätte auch in den Jahren zuvor ihr Entstehen und Wachsen verhindern können, wenn man sich dafür interessiert hätte, was die meisten AfD-Wähler mit ihrer Stimme sagen wollen. 

Sie wollen – vor allem in den Bereichen Massenmigration, Wirtschafts-, „Klima“- und Energiepolitik – ein Umsteuern, weg von einem irrationalen und ideologiegetriebenen Kurs und weniger Bevormundung. Und das geht nicht nur den AfD-Wählern so. Das hört man auch von etlichen Bürgern, die die AfD trotz der eigenen Unzufriedenheit für unwählbar halten. Oder müsste man sagen: noch für unwählbar halten? Sie alle erleben regierende Politiker, die lieber die Bürger zu ihrem Kurs umerziehen wollen, als den eigenen zu korrigieren. Und wenn es jetzt heißt, man müsse die Partei verbieten, die die Proteststimmen der Unzufriedenen am erfolgreichsten einsammelt, weil man sie im demokratischen Wettbewerb um Wählerstimmen nicht mehr schlagen könne, dann ist das keine Rettung der Demokratie, sondern ein lebensgefährlicher Anschlag auf die Demokratie. 

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

Foto: Olaf Kosinsky CC BY-SA 3.0 de, Link

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Fred Burig / 14.05.2024

@Gerhard Schweickhardt:....“Die totaltäre, kriegsgeile, durch Frau Merkel, marxistisch transformierte CDU gehört als nachgewiesener Verfassungsfeind sofort verboten.”.... und F. Merz übernimmt die volle Verantwortung ... und fliegt mit seinem Flieger zu seinen Auftraggebern ins rettende transatlantische Ausland ..... Aber das wäre eben sprichwörtlich nur ein “Ausmerzen” auf niedrigster Flamme! Und noch ist fraglich, ob er dort auch sicher landet ...... schließlich muss er schon etwas liefern für seine Millionen, oder? MfG

Else Schrammen / 14.05.2024

Der gute Marco, der wandelnde Witz, hat eine besondere Lebensaufgabe: Einmal wöchentlich ein Parteiverbot der AfD fordern. Der Mann ist anscheinend zerfressen von Hass auf eine demokratische Partei, die seine CDU und der vielgelobten und geliebten Ampel Stimmen kosten wird. Selbst ein “Ossi” hat er es in seiner Zeit als Ostbeauftragter nicht geschafft, seine sturköpfigen Brüder umd Schwestern im Osten auf den rechten (hach, ein Wortwitz) Pfad zu f+hren. Die wollen einfach nicht die Segnungen einer auf Ideologie aufgebauten Politik gutheißen. Und wenn es für den aufrechten Demokraten Wanderwitz auf demokratischem Weg nicht möglich ist. was dann? Schlag ich meinen Nachbaern tot, weil der mich kritisiert, wenn ich am Sonntag den Rasen mähe und er   ganz Demokrat auf Einhaltung von Gesetzen besteht? Oder den Fonanzbeamtwen, weil er meine Steuertricksereien nicht durchgehen lässt? Entweder ist Herr Wanderwitz als Politiker und Demokrat ein absoluter Versager, weil er einer Partei demokratusch nicht mehr beikommtoder muss er sich eingestehen, dass er geistig nicht in der Lage ist, ein Gerichtsurteil nüchtern zu analysieren. Sein erneutes Geschrei nach einem Parteiverbot lässt auf beides schließen.

Fred Burig / 14.05.2024

@Peter Wagner:”.... Auch wegen des Irrlichts Wanderwitz wählen in Sachsen komplette Familien die AFD ...”... Sie sind nicht von hier, oder? Wir Sachsen haben vernünftige Gründe, AfD zu wählen - sie hingegen sind wohl eher oberflächlicher Natur und denken nur in Kategorien zwischen schwarz und weiß .....?! MfG

Didi Hieronymus Hellbeck / 14.05.2024

Prophetische Worte von Walter Ulbricht, sozialistisch-sächsischer Politiker (1893-1973): “Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben!´” Vorschlag einer marginalen (modernen) Anpassung: “Es muss demokratisch und pluralistisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben!‘

E. Wölmer / 14.05.2024

Möge der Herr Wanderwitz doch noch ergänzend mitteilen, was er überhaupt von der Demokratie als konstituierendes Prinzip der Bundesrepublik Deutschland hält, bis zu welchem Punkt er demokratische Prinzipien abzubauen gedenkt und wodurch genau sie ersetzt werden sollen!!

Andreas Rochow / 14.05.2024

Ich nehme mit Gelassenheit ein wildes Um-Sich-Schlagen von Politikern, VS und Qualitätsmedien gegen die AfD wahr. Die Demokratie und der Anstand werden von ihnen mit Füßen getreten. Sie haben in ihrem ideologischen Eifer versäumt, dem Volk aufs Maul zu schauen und dadurch den Kontakt zu ihm verloren. Auf keine legale oder nur halbwegs demokratische Weise werden sie die Regierungskritiker und AfD-Wähler “klein” kriegen. Die Zeiten, in denen sowas ging, sind vorbei, Herr Wanderwitz! Mit Ihrer Vernichtungsphantasie haben sie sich als menschenverachtender Antidemokrat vorgestellt. CDU? Angela “lM Erika” wirkt nach! Die Wähler werden begeistert sein.

Ralf.Michael / 14.05.2024

Fall es tatsächlich zu einem Verbot der AFD kommen sollte ( bei momentan ca. 20% Wählern nicht durchsetzbar ), würde sich sofort eine Nachfolge-Partei etablieren, Diese aber mit noch mehr Wählern, weil man das Spielchen jetzt voll durchschaut. Es könnte dann unangenehm für unsere ” Demokraten werden ! Wer Demokrat ist, bestimmen immer noch Wir !

Peter Wagner / 14.05.2024

Auch wegen des Irrlichts Wanderwitz wählen in Sachsen komplette Familien die AFD - es ist mal Zeit, dem Undemokraten dafür herzlich DANKE zu sagen!

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