Richard Wagner / 21.10.2010 / 09:45 / 0 / Seite ausdrucken

Die Gibsons oder Die Banater Schwaben, ihre selbsternannten Sprecher und unser Zwei-Fronten-Krieg

Liebe Leser, ich bitte um Nachsicht wegen meines Ausflugs in die heimatliche Provinz, den ich heute hier vor habe. Selbst wer nicht die Sehnsucht verspürt, sich unter sein Niveau zu begeben, kann sich der Sache kaum entziehen. Die Heimat macht ihn mürbe, sie schafft es. Sie schafft uns. Womit man sich von der Welt kaum herausfordern ließe, die Heimat macht es möglich. Plötzlich ist das Bedürfnis da, einiges richtig zu stellen, was man sonst, der Einfachheit halber, liegen ließe.

An die Heimat wird man nicht nur durch die Ereignisse und Erfahrungen aus der Vergangenheit erinnert, sondern, wie jetzt wieder, durch die diversen Äußerungen zum Drum und Dran der frühen Jahre, die von Zeitzeugen, wie sie sich gerne selbst bezeichnen, verstärkt zu Papier gebracht werden. Es sind in der Regel Leute, die meinen, sie müssten sich in Erinnerung rufen. Und warum? Weil sie zu kurzgekommen seien. Und warum sollten sie zu kurzgekommen sein? Weil sie angeblich nicht paktiert haben, nicht kollaboriert, sich nicht mit den Kommunisten gemein gemacht hätten. Was unser aller Goethe noch im Mantel des Konjunktivs ansprach, sie sind es längst, edel, noch was, und gut.

Meine Landsleute, die Banater Schwaben, waren immer schon dafür bekannt, dass sie sich mehr dem Haben zuneigten als dem Sein. Deswegen ist auch nicht viel übrig von einer eventuellen geistigen Disputation, die ihre und meine Geschichte hätte begleiten können. Stattdessen hat man in dieser Bevölkerungsgruppe schon seit längerem eine ganz andere Strategie. Wer die geistige Traufhöhe überschritten hat, dem wurden zunächst einmal die Leviten gelesen, und danach wurde er der Kritik der Gemeinschaft unterzogen. Um es kurz zu machen, am Kommunismus störte sie nicht die eingeschränkte Freiheit, sondern die Enteignung.

Wahr ist, dass das Privateigentum eine Voraussetzung für die individuelle Freiheit darstellt, aber wahr ist auch, dass die Freiheit eines geistigen Horizonts bedarf. Es ist bis heute so, dass der kritische Schriftsteller, der sich unpassend über die Gemeinschaft geäußert hat, nicht nur kein gutes Ansehen genießt, sondern auch mit einem regelrechten Sündenregister behaftet wird. Sowohl die Aktionsgruppe, unsere literarisch-politische Vereinigung der Siebziger- und Achtzigerjahre, als auch Herta Müller, könnten ein Lied davon singen, wenn sie singen wollten.

Unsere Landsleute nahmen uns recht früh zur Kenntnis, und damit zur Brust. Zum einen suspektierten sie unsere Neigung zur Pop-Kultur, zum anderen unsere Forderung nach der Aufarbeitung der Banater NS-Vergangenheit. Dadurch waren wir in den Augen dieser Landsleute pro sowjetisch und pro amerikanisch zugleich, und was davon in ihren Augen schlimmer war, bleibe dahingestellt.

Jedenfalls ließen sie damals schon, und auch später, kaum eine Gelegenheit aus, uns Mithilfe ihrer Landsmannschaftslogistik schlecht zu machen. Der Vorsitzende der Landsmannschaft in den Achtzigerjahren war ein ehemaliges Mitglied der Volksgruppenführung von 1944, der Redakteur des Mitteilungsblattes „Banater Post“ hingegen war ein ehemaliges KP-Mitglied, und außerdem war er IM „Filip“, also Informant der Securitate.
Dass die, die uns verleumdeten, eine erstaunliche Nähe zu den Interessen der Securitate erreichten, und auch pflegten, schien sie weder damals, noch scheint es sie heute zu beschäftigen. Während wir, solange wir in Rumänien waren, immerhin dafür sorgten, das eine zeitgemäße, westlich geformte Literatur in deutscher Sprache erscheinen konnte, die sich zugleich kritisch mit den Gegebenheiten der lethargischen Gesellschaft des Ostens auseinander setzte, saßen sie lastenausgeglichen in München und bezeichneten uns von ihren Balkonen aus als Kollaborateure, Agenten, Kommunisten und Rolling- Stones-Fans.

Bis heute wird einigen von uns, jenen, die die Kämpfe gegen Zensur und Personenkult, gegen Manipulation und Willkür geführt haben, unter anderem auch mir, vorgeworfen in der Partei gewesen zu sein. Mich hat man inzwischen sogar zum „Parteifunktionär“ gemacht, zuletzt im August in einer Zeitschrift mit dem schönen Titel „Deutscher Ostdienst“. Es handelt sich um eine Publikation aus dem Hause Steinbach. Der Mann, der das im letzten August geschrieben hat, und mich damit posthistoire-adäquat zum Apparatschik mit Privilegein und Macht ausstattete, ist ein zu kurzgekommener Schriftsteller aus Siebenbürgen, namens Ingmar Brantsch. Er hat Herta Müller jahrzehntelang mit Invektiven der schlimmsten Sorte verfolgt, um, nach dem Nobelpreis für die Autorin, und vor allem nach ihrer Auszeichnung durch das Haus Steinbach mit dem Werfel-Preis, eine hymnische Rezension zu verfassen. Seither beschimpft er, der in seiner Jugend gelegentlich auch Parteigedichte verfasste, wieder verstärkt mich und die Aktionsgruppe. Ich bin wahrscheinlich das einzige Ex-Mitglied einer KP, das seine kommunistische Karriere nicht im Kommunismus sondern mit der polemischen Darstellung des Kommunismus im Westen gemacht hat. Die Geschichtsschreibung konkurriert nicht nur mit der Geschichte, sie macht sie mundtot. Im Übrigen war ich in der Zeit, in der ich in der Partei war, bei der Securitate in der Rubrik „Deutsche Nationalisten und Faschisten“ eingetragen. Ich war also Kommunist, Nationalist und Faschist.

Aber von dem frustrierten Brantsch wollte ich hier gar nicht berichten, es geht vielmehr um einen anderen geistigen Vertreter meiner Landsleute, den ich gelegentlich als Philosophen von Bad Mergentheim bezeichnet habe. Dieser Mann, namens Carl Gibson - er hat wie die meisten Dichter und Denker aus diesen Landstrichen aus dem K in seinem Vornamen ein C gemacht - war bis vor drei oder vier Jahren selbst Insidern kein Begriff. Er ist in seiner Jugend 1980 aus dem rumänischen Banat ausgereist, nachdem er in einer krawalligen Unterschriften-Aktion die Ausreise, die seine Familie lange davor beantragt hatte, beschleunigen konnte. Er machte sich erfolgreich zum Trittbrettfahrer einer kurzlebigen, freien Gewerkschaftsgründung. Dazu kann man nur sagen: clever. Danach hat man nichts mehr von ihm gehört. Das kommt vor.

Dann, vor einigen Jahren, passierte etwas, worüber man zwar spekulieren kann, aber damit nicht allzu weit kommen wird. Irgendwie regte sich Carl Gibson darüber auf, dass Herta Müller und ich das Securitate- Thema wieder einmal aufs Tapet gebracht hatten, und das aus Anlass der Teilnahme von zwei notorischen Informanten an einer Tagung des rumänischen Kulturinstituts in Berlin. Die Affäre ist bekannt, sie ging durch die Medien. Interessant ist, das Carl Gibson, ganz in der Tradition seiner landsmannschaftlichen Vorgänger, uns angriff, und nicht die Securitate-Bagage. Angeblich hatten wir nicht das moralische Recht, uns zu äußern, weil wir kollaboriert hätten. Der Zusammenhang ist ungefähr so aufschlussreich, wie die Logik, die in ihm steckt.

Der Mergentheimer aber wurde zum großen Sprecher aller Gegner und Gegnerschaften, die uns am Zeug flicken wollen. Er sprach das aus, was viele ehemalige Securitate-Leute denken,  die Ex-Nomenklatura, der jetzige Geheimdienst, und wer sich sonst noch auf den Schlips getreten fühlt. Wie die Landsmannschaft der Banater Schwaben, und auch einige frustrierte Kollegen, so genannte Schriftsteller. Nicht ohne sich beizeiten zum Unverstandenen zu erklären, hat der mit Hilfe von Wikipedia und über ein paar weiträumige Links zum Schwabensohn avancierte Gibson seine Verschwörungsthesen zu Herta Müller und dem Rest durch alle Blogs der Welt gejagt, die Endlosschleife seiner Blogorrhoe verstopft mittlerweile große Teile der einschlägigen Datenbahnen. Er hat nicht nur Thesen aberwitziger Natur aufgestellt, er hat sich auch immer mehr hinein gesteigert, so dass man es nur noch bleiben lassen könnte, ihn zu korrigieren. Es hatte und hat keinen Sinn. Gibson hält wahrscheinlich einen einzigartigen Rekord im heutigen Deutschland. Er ist wohl der aus den meisten Blogs Ausgeschlossene.

Eine Zeit lang war nichts mehr von ihm zu hören. Man hätte schon denken können, er habe sich beruhigt, oder vielleicht ein anderes Hobby gefunden. Dem aber ist nicht so. Gibson ist wieder da. Er schreibt in einem so genannten Banatblog (http://www.banatblog.eu) unter dem nichtigen Namen Anonymus, zitiert sich aber im Text selbst als aktenkundigen Gibson. Was aber hat er uns diesmal mitzuteilen? Nach der Vorlage der Gesamtpartitur des Bisherigen, wie man es von ihm kennt, folgt eine neue Lieferung von Drohungen. So erklärt er uns, er habe in Bukarest bei der rumänischen Birthlerbehörde CNSAS seine eigene Akte in Augenschein genommen. Und was unsere Akten angeht, werde nach deren wissenschaftlicher Auswertung, so seine Überzeugung, einwandfrei hervorgehen, dass wir nichts anderes als Kollaborateure gewesen seien, die Nobelpreisträgerin, meine Wenigkeit und die gesamte Aktionsgruppe dazu.

Gibson aber wäre nicht Gibson, und damit nicht der nützlichste aller Idioten, setzte er nicht noch eins drauf. Ich hätte gar keine Akte, sagt er, keine eigene jedenfalls, das Material liege in der Akte von Herta Müller, die erst 1983 angelegt worden sei. Skandal? Spektakel? Nun, in dieser Frage kann ich den Chronisten der Wasserwirtschaft von Bad Mergentheim, den ich fälschlicherweise als Philosophen von Bad Mergentheim bezeichnet hatte, beruhigen. Meine Akte wurde 1979 in Angriff genommen, es geht um jene Akte, die zur Verfügung steht. Das älteste Papier in dieser Akte aber stammt aus dem Jahr 1972. Damals war ich 20 Jahre alt, so alt wie Gibson als er Rumänien verließ. Wie wäre es, wenn der Mann seine Energie für die Aufarbeitung des Kommunismus einsetzen würde, anstatt uns, die Banater Autoren, laufend zu diskreditieren.

Das Problem ist, das die Unterlagen des Auslandsgeheimdienstes und die der Desinformationsabteilung „D“ der Securitate bis heute nicht zugänglich sind. Ihre Öffnung könnte die Lücke schließen, in der sich all die zwielichtigen Figuren der Zeitgeschichte tummeln, Gibson, Brantsch und der Schriftsteller Dieter Schlesak, der uns neuerdings als „Luxusdissidenten“ abqualifiziert. Sie scheuen, warum auch immer, keine Mühe, das Verleumdungswerk der Securitate zu vollenden. Uns aber bleibt nichts anderes übrig, als einen Zwei-Fronten-Krieg zu führen, für die Aufdeckung der Machenschaften der Securitate und gegen die Verleumdungen aus den offenbar immer noch dicht geschlossenen Reihen der Landsleute.

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