Gastautor / 25.06.2024 / 14:00 / Foto: Peter Hemmelrath / 42 / Seite ausdrucken

Gerichtsreport: Nachsicht für „Scheich Ibrahim”

Von Peter Hemmelrath.

Der als „TikTok-Salafist" bekannte Influencer El Azzazi traf in Essen auf einen ungewöhnlich nachsichtigen Richter.

Ibrahim El Azzazi wurde am Montagnachmittag vom Landgericht Essen wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von insgesamt 4.500 Euro verurteilt. Der 1996 in München geborene und ägyptischstämmige El Azzazi hatte bereits zugegeben, seine Frau im November 2021 mit einem bei Amazon gekauften Kubotan - einem kurzen als Schlüsselanhänger konzipierten Stock, der üblicherweise als Schlagverstärker eingesetzt wird - an der Hand verletzt zu haben.

Vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner Frau wurde El Azzazi jedoch freigesprochen. Sein Anwalt Roland Rautenberger hatte bereits vor dem letzten Verhandlungstag angekündigt, dafür einen Freispruch zu fordern. Kurz vor seinem Plädoyer setzte Rautenberger dem noch eins drauf und beklagte, die Presseberichterstattung über den Prozess, bei dem sein Mandant von mehreren Springer-Blättern sowie der Jungen Freiheit unverpixelt gezeigt wurde, sei bereits „Strafe genug" und damit ein Grund, von weiterer Strafe abzusehen. Die Staatsanwaltschaft hatte eine „vollstreckungsfähige Freiheitsstrafe" gefordert, also eine Haftstrafe, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

El Azzazi gilt als einer der derzeit einflussreichsten Salafisten-Prediger Deutschlands. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen predigt er jedoch eher selten in Moscheen. Stattdessen ist er auf fast allen sozialen Netzwerken als „Scheich Ibrahim" präsent, was ihm die Bezeichnung „TikTok-Salafist" einbrachte. Dort beantwortet er Fragen zum Islam im Sinne einer fundamentalistischen Religionsauslegung. Die Zahl seiner virtuellen Anhänger wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt.

Seine Tiraden etwa gegen „menschengemachte Gesetze", den „Staat, der nicht die Interessen des Islam vertritt" sowie gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau brachten ihm bereits vor Jahren die Aufmerksamkeit des bayerischen sowie des baden-württembergischen Verfassungsschutzes ein. Nach einem Umzug nach Gelsenkirchen wurde er zum Beobachtungsobjekt des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. El Azzazis Positionen „beinhalten einen klaren politischen Herrschaftsanspruch und richten sich direkt gegen Staat und Gesellschaft, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den säkularen Rechtstaat. Sie legen das Fundament für eine islamistische und jihadistische Radikalisierung und Rekrutierung durch Terror-Organisationen wie al-Qaida oder den sogenannten Islamischen Staat", warnte dieser zuletzt in seinem „Lagebild Islamismus" .

Ungewöhnliche Nachsicht des Richters

Vom Essener Landgericht wurde El Azzazi jedoch ungewöhnlich nachsichtig behandelt. So durfte er etwa seine Kufiya - besser bekannt als „Palästinenser-Tuch" - während der ganzen Verhandlung auf seinem Kopf behalten. Üblicherweise sind Kopfbedeckungen wie auch politische Symbole bei Gerichten verboten. Auch widersprach der Vorsitzende Richter Martin Hahnemann El Azzazis Verteidiger nicht, als dieser dessen unverpixelte Bilder in den Medien beklagt hatte. Üblicherweise werden prominente und im Internet aktive Salafisten-Prediger von Gerichten als sogenannte öffentliche Personen eingestuft, womit es Journalisten erlaubt ist, diese mit vollem Namen zu nennen und deren Bild unverpixelt zu zeigen.

Stattdessen ging Hahnemann erst auf die Presseberichterstattung ein, als er die Strafmilderungsgründe im Falle der beiden Körperverletzungen erläuterte. Im Endergebnis gelangte der Richter zu 90 Tagessätzen - und damit exakt zu jener Anzahl von Tagessätzen, bis zu der eine Verurteilung zwar im Bundeszentralregister, aber nicht im polizeilichen Führungszeugnis aufgeführt wird.

Und auch bei der Bemessung der einzelnen Tagessätze zeigte sich der Richter großzügig: So bildete er nach El Azzazis Darstellung, er verdiene „mit der Organisation von Mekka-Pilgerreisen zwischen 2.000 und 5.000 Euro im Monat", keinen Mittelwert - sondern setzte nur 2.000 Euro monatlich an und zog davon auch noch 500 Euro für Miete und andere Ausgaben ab. Laut eines Urteils des Oberlandesgerichts Hamm aus dem letzten Jahr sind derlei Kosten jedoch "grundsätzlich nicht abzugsfähig", da die spürbare Sanktion einer Geldstrafe damit "entwertet" würde.

Entschädigung für Untersuchungshaft

Im Ergebnis ergab sich damit lediglich ein Tagessatz in Höhe von 50 Euro. Und der dürfte den Prediger kaum schmerzen, denn da er nicht zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, steht ihm im Falle der Rechtskraft des Urteils eine Entschädigung für seine mehr als dreimonatige Untersuchungshaft zu. Diese dürfte bei einer Entschädigungshöhe von 75 Euro pro Tag in der Summe deutlich höher ausfallen als seine Geldstrafe.

Beim Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung argumentiert Martin Hahnemann damit, dass die Angaben von El Azzazis Frau durchaus wahrheitsgemäß sein könnten. Da aber die späte Anzeige der ebenfalls zur Salafisten-Szene gehörenden Frau sowie deren Angst, ihr Mann könnte ihr die Kinder nehmen und mit ihnen nach Ägypten gehen, „Falschbelastungsmotive" nicht ausschließen würden, sei die für eine Verurteilung erforderliche Sicherheit wahrheitsgemäßer Angaben nicht mehr gegeben.

Auffällig war jedoch, dass der Kammervorsitzende den religiösen Kontext des Geschehens bei seinen Ausführungen nahezu vollständig ignorierte. So soll der Salafisten-Prediger auf die sexuelle Verweigerung seiner Frau mit der Feststellung reagiert haben, als muslimische Frau sei sie dazu aber verpflichtet. In seinen Videos hatte er zuvor erläutert, dass eine Ehefrau, die sich dem verweigert, „eine schlechte Frau" sei und „in die Hölle kommen" würde. Bei dieser Sichtweise soll ihm auch „Abu Rumaisa", ein ebenfalls in NRW aktiver und in der Szene entsprechend bekannter Salafisten-Prediger, an den sich beide offenbar ratsuchend gewendet hatten, zugestimmt haben.

Vorwürfe des Richters an die Staatsanwältin

Martin Hahnemann aber stellte mehrfach darauf ab, dass die Frau keinerlei physische Gegenwehr geleistet habe, etwa durch ein Zusammenpressen ihrer Beine. „Sie hätte nur die für ihren Glauben entsprechenden Konsequenzen in Kauf nehmen müssen", sagte er. „Aber sie hätte sich dem entziehen können."

Noch bizarrer wurde es, als Hahnemann die Staatsanwältin am Ende seiner Urteilsbegründung beschimpfte und ihr vorwarf, bei diesem Fall sei nur deswegen mit „besonderem Ermittlungseifer" vorgegangen worden, weil der Angeklagte ein prominenter Salafisten-Prediger sei. Bei einem anderen Angeklagten hätte es keine Forderung nach einer Freiheitsstrafe gegeben, befand der Richter sichtlich verärgert. Faktisch wurde damit aber auch in der Anwesenheit eines „Hardcore-Salafisten" die Frau, die ihn angeklagt hatte, von einem Mann demonstrativ herabgewürdigt - was von einem Islamisten sicherlich nicht als Missbilligung seiner Überzeugungen gewertet werden dürfte.

Stattdessen forderte Hahnemann, dass auch Angeklagte wie El Azzazi vor einem Strafgericht trotz ihrer staatsfeindlichen Aktivitäten „ohne Ansehen der Person" be- und verurteilt werden müssen. Wie das funktionieren soll, wenn eine Person zuerst vor Hunderttausenden Menschen erläutert, unter welchen Voraussetzungen und wie ein Mann seine Frau „züchtigen" darf und was dieser droht, wenn sie ihm Sex verweigert, und diese Person dann plötzlich wegen Vergewaltigung sowie weiterer Gewalt gegen seine Frau angeklagt ist, erläuterte der Kammervorsitzende aber nicht.

 

Peter Hemmelrath arbeitet als Journalist und Gerichtsreporter u.a. für dpa, FOCUS, Junge Freiheit, Nordwest-Zeitung und Bonner General-Anzeiger.

Foto: Peter Hemmelrath

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Sam Lowry / 25.06.2024

Ich bekam für eine Beleidigung im Net 150 Tagessätze. Für eine weitere “persönlich vor Ort im Krankenhaus” nochmal 100 hinterhergeschoben. Danke.

L. Luhmann / 25.06.2024

Vorauseilende Unterwerfung ... und die Mohammedaner wittern schon mehr als nur Morgenluft ind Deutsch-Dodoland.

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