Annette Heinisch / 03.01.2024 / 14:00 / Foto: achgut.com / 40 / Seite ausdrucken

Gibt es ein Recht auf Fahnenflucht?

Die Ukraine will auch im Ausland lebende wehrfähige Männer einziehen. Während Justizminister Buschmann sich gegen die Ausweisung solcher Personen ausgesprochen hat, finden andere, sie hätten Kriegsdienst zu leisten. Wie sieht es rechtlich aus?

Aktuell plant die Ukraine, bis zu 400.000 Männer zu rekrutieren, entsprechende Gesetzentwürfe liegen dem Parlament zur Entscheidung vor. Der Beginn des Reservistenalters soll von 27 auf 25 Jahre herabgesetzt werden, so dass zwei weitere Jahrgänge eingezogen werden können. Bereits ausgestellte Wehrdienstuntauglichkeitsbescheinigungen sollen überprüft werden. Männer im wehrpflichtigen Alter wären zukünftig verpflichtet, sich in einem Wehrregister eintragen zu lassen und diese Daten regelmäßig zu erneuern. Musterungs- und Einberufungsbescheide sollen elektronisch zugestellt werden, so dass im Ausland lebende Ukrainer eingezogen werden können.

Diese Nachricht hat in Deutschland zu einer Kontroverse geführt. Justizminister Buschmann hat sich gegen eine Ausweisung von wehrfähigen Ukrainern ausgesprochen, wofür er durchaus Verständnis erntete. Der Herausgeber der Welt, Stefan Aust, meinte dazu:

Das heißt de facto: Während die Bundesrepublik der Ukraine Waffenlieferungen in Milliardenhöhe finanziert, subventioniert sie gleichzeitig die ukrainischen Kriegsdienstverweigerer. Eine Ausweisung ins Kriegsgebiet kommt verständlicherweise nicht infrage. „Dass wir nun Menschen gegen ihren Willen zu einer Wehrpflicht oder zu einem Kriegsdienst zwingen, das wird nicht der Fall sein“, erklärte dazu Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), was böse Zungen auch als heimliche Unterstützung Putins anprangern könnten.“ 

Demgegenüber wies Reinhard Müller, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung darauf hin, dass es „kein Recht auf Fahnenflucht“ gebe.

Rechtliche Situation

Männlichen ukrainischen Staatsbürgern im Alter von 18 bis 60 Jahren ist seit der Generalmobilmachung die Ausreise aus der Ukraine verboten. Weitere Staatsangehörigkeiten der Betreffenden werden von den ukrainischen Behörden in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt.“ So schildert das Auswärtige Amt zutreffend die Rechtslage.

Bei Vorliegen von Ausnahmetatbestände, wenn beispielsweise jemand im Ausland noch die Schule oder Universität besucht oder sich in einer Ausbildung befindet, ist eine Ausreise zulässig. Eine Wehruntauglichkeitsbescheinigung allein erlaubt hingegen nicht die Ausreise aus dem Land. Es gibt zahlreiche notwendige Tätigkeiten, die nicht unmittelbarer Kriegsdienst sind und keine besondere körperliche Tüchtigkeit erfordern, die aber sowohl zur Aufrechterhaltung des normalen Lebens wie auch zur logistischen Unterstützung der Verteidigung notwendig sind und von als untauglich Gemusterten erledigt werden können. 

Hinzu kommt, dass die Wehruntauglichkeit auch durch korrupte Mitarbeiter der Rekrutierungsbehörden rechtswidrig bescheinigt wurde, weshalb Präsident Selenskyi im Sommer 2023 sämtliche regionalen Leiter der Rekrutierungsbüros entlassen hat. Da nicht nur Bestechlichkeit, sondern auch Bestechung strafbar ist (sowohl hier wie in der Ukraine), liegen insoweit kriminelle Delikte vor.

Bereits an diesem Punkt dürfte deutlich sein, dass sich männliche Ukrainer in dem fraglichen Alter häufig rechtswidrig in Deutschland aufhalten und auszuweisen wären. Es dürfte sich in der Regel auch nicht um Kriegsdienstverweigerer handeln, wie Aust sie bezeichnet. Eine Verweigerung aus Gewissensgründen setzt einen entsprechenden Antrag in der Ukraine und Anerkennung voraus. Andernfalls handelt es sich um Fahnenflucht.

Bewertung Ukrainer vs. Russen

Dem wird entgegengehalten, dass man sie nicht zum Kriegsdienst zwingen dürfe und ihnen Schutz gewähren müsse. Diese Aussage stimmt in dieser Form nicht mit der Rechtslage überein. Diese wird bei Wikipedia zutreffend dargestellt :

„Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) legte im März 1995 die Auffassung dar, dass Wehrdienstverweigerern und Deserteuren zwar nicht generell Flüchtlingsschutz zukommt, dass sie aber sehr wohl unter bestimmten Umständen Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sein können. Dies treffe zu, wenn ihnen aus dem Grunde Strafe droht, dass sie sich weigern, an militärischen Aktionen teilzunehmen, die von der internationalen Gemeinschaft verurteilt werden oder durch schwere oder systematische Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gekennzeichnet sind. Ähnliches legt auch das Handbuch des UNHCR für eine Weigerung der Teilnahme an einer militärischen Aktion fest, die von der internationalen Gemeinschaft als gegen die Grundregeln menschlichen Verhaltens verstoßend verurteilt wird.

In der Europäischen Union sagt Artikel 9e der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) denjenigen Schutz zu, die sich völkerrechtswidrigen Handlungen oder Kriegen entziehen und deshalb Bestrafung fürchten müssen.

In einzelnen Mitgliedstaaten, so auch in Deutschland, wird dies streng ausgelegt. Wer den Kriegsdienst verweigert und in Deutschland Asyl beantragt, muss sehr restriktiven Auflagen genügen (Nachweise der Einberufung sowie der Einsatzbefehle mit Aufforderungen zu völkerrechtswidrigen Handlungen; außerdem müssen Asylsuchende bereits im eigenen Land einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt haben).“

Diese völkerrechtliche Bewertung besagt also, dass Ukrainer, die sich dem Kriegsdienst entziehen, keinen Schutz genießen. Die Ukraine befindet sich vielmehr in der Verteidigung gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff. Anders könnte sich die Rechtslage für russische Soldaten darstellen:

„Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 verwies Deutschland zunächst auf Einzelfallprüfungen für russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer. Nach der russischen Teilmobilisierung im September 2022 drängten einige EU-Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Linie für den Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigerern; die politischen Positionen hierzu liegen jedoch weit auseinander. Die EU-Kommission wurde aufgefordert, die Leitlinien zur Visavergabe „unter Berücksichtigung der Sicherheitsbedenken der Mitgliedstaaten zu überprüfen, zu bewerten und gegebenenfalls zu aktualisieren“.

Von Kriegsbeginn bis Herbst 2023 haben etwa 3.500 russische Männer im wehrfähigen Alter in Deutschland Asyl beantragt, und über mehr als die Hälfte dieser Anträge wurde entschieden. Nur in 92 Fällen wurde Schutz bewilligt.“

Zur Vervollständigung sei darauf hingewiesen, dass auch in Deutschland Fahnenflucht gem. § 16 Wehrstrafgesetz (WStG) strafbar ist. Wer eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle verlässt oder ihr fernbleibt, um sich der Verpflichtung zum Wehrdienst dauernd oder für die Zeit eines bewaffneten Einsatzes zu entziehen oder die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zu erreichen, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Selbst das unerlaubte Entfernen von der Truppe ist gem. § 15 WStG mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht. Dieses umfasst die (auch fahrlässige) Abwesenheit von der Truppe von mehr als drei Tagen selbst dann, wenn keine Absicht der Fahnenflucht vorliegt.

 

Annette Heinisch hat Rechtswissenschaften in Hamburg studiert, Schwerpunkt Internationales Bank- und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Sie ist seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.

Foto: achgut.com

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Burkhart Berthold / 03.01.2024

Es ist sicher nicht Sache Deutschlands, Ukrainer für die Ukraine zu rekrutieren. Allerdings mag man sich wundern, weshalb so viele Ukrainer ihre Heimat verlassen. Um einen harmlosen Vergleich zu nehmen: Es ist nicht überliefert, dass anno 14/18 eine nennenswerte Zahl von Franzosen Frankreich verlassen hätte.

Wolfgang Janßen / 03.01.2024

Die Bundesregierung hofft doch, die Ukraine in die EU oder nach dem Krieg sogar in die Nato aufnehmen zu können. Daher müssen alle wehrfähigen Männer zu ihrem Dienst in der Ukraine expediert werden. Was sollen wir später mit einem militärischen Verbündeten, dessen potentiellen Soldaten wir die Fahnenflucht gestattet haben? Wie verlässlich wären diese Leute im Falle eines Falles???

Rainer Irrwitz / 03.01.2024

für das eigene Land kämpfen ist ja das Eine, aber wenn das Land Blackrock oder dem Bidenclan gehört?

Karsten Dörre / 03.01.2024

Während die Ukraine durch den aufgezwungenen Krieg durch Russland geerdet ist (Israels Volk lebt noch einen Zacken gesünder), fachsimpeln Deutsche ihre Gehirnreste weg. Ist die Heimat in Gefahr, wird in Deutschland debattiert, ob man sein Haus schützt oder wegen internationaler Solidarität und Gleichberechtigung Einbrecher, Verbrecher, Zerstörer, Feinde hereinwinkt und machen läßt.

Corinne Henker / 03.01.2024

Wieso sollten ukrainische Kriegsdienstverweigerer anders behandelt werden als syrische oder eritreische? Letztere nehmen wir nahezu bedingungslos in unser Sozialsystem auf und alimentieren sie nicht selten lebenslang. Und ukrainische Männer wollen sie jetzt an die Front schicken, damit sie sich für NATO-Interessen und das korrupte Selenskyj-Regime umbringen oder verstümmeln lassen? Wie würden Sie die Angelegenheit betrachten, wenn es um Ihren Sohn oder Ehemann ginge? Würden Sie ihn für Scholz, Habeck & Co. in den Krieg schicken? Oder wären Sie nicht auch froh, wenn er sich in einem anderen Land in Sicherheit bringen könnte? Ich bin Ehefrau und Mutter und meine Entscheidung wäre in diesem Fall eindeutig.

Peter Holschke / 03.01.2024

Mein lieber Scholli, wo leben wir denn? Selbstverständlich hat jedermann über sein eigenes Leben zu befinden und nicht irgendeine Sklavenregel. Ein Frontensatz kommt häufig einem Todesurteil gleich und alles ist besser als der Tod. Der Deserteur ist der Held, denn er entzieht dem Krieg die Substanz. Warum tobt ist der Ukraine ein Krieg? Weil die ukrainische Führung das Land in die NATO eingliedern wollte, die Russen das als Bedrohung ablehnten? Und dafür verrecken nun die Soldaten? Und was der Flüchtlingskommissar feststellt, ist für niemanden verbindlich. Ein echtes Scheißargument, was die Autorin dort vorträgt. Und zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg: wer sagt das? Wer stellt das Fest? Die Leute die Serbien, Syrien, Irak, Lybien, Afghanistan bombardiert haben?

Rolf Mainz / 03.01.2024

Die Unterscheidung zwischen “Krieg” und “völkerrechtswidrigem Angriff” in dieser Thematik greift nicht. Tatsächlich ist der Wehrdienst im Krisenfall obligatorisch, auch für ukrainische Wehrpflichtige, und auch hierzulande. Dass sich derart viele (und es sind weit, weit mehr als die besagten asylbeantragenden Ukrainer…) dieser Pflicht entziehen konnten, hängt mit den bekannt korrupten Gepflogenheiten in der Ukraine zusammen. Es ist die Rede von einem fünfstelligen Euro-Betrag, gegen dessen Zahlung das Entkommen betreffender Herren zugesichert wurde - ob mit oder ohne offizielles Wissen ukrainischer Behörden, sei dahingestellt. Man mag zu diesem Vorgehen stehen wie man will, man mag es menschlich verstehen oder als feige verachten, fest steht, dass Deutschland mittels Bürgergeld und Verzicht auf notwendigen Asylantrag eine immense Sogwirkung ausgelöst hat. Unvergessen, als Baerbock gleich zu Beginn der Krise - ohne Not - von “wir nehmen sie alle” faselte. Den Ukrainern ist es nicht zu verdenken, solche Präsente anzunehmen. Kommt es doch dortiger Mentalität entgegen und via deutschem Bürgergeld lassen sich Krisenzeiten auch kommod in europäischen Feriendestinationen überleben…

Rainer Niersberger / 03.01.2024

Mit Verlaub, aber ich muss an dieser Stelle wieder einmal den Begriff “ruehrend” hervorholen, wenn hier von einer Rechtslage die Rede ist. Dass sich dieses Regime seit Jahren nicht an Recht und Gesetz haelt bzw vorsaetzlich dagegen verstoesst, wenn es taktisch opportun ist. Den Beginn dieser “Praxis” markierte nicht zufaellig Merkel, aber der Protest verlief seinerzeit kaum hörbar.  Auch von den Liberalkonservativen war und ist da wenig zu vernehmen. Wobei hier das erwähnte Phaenomen hinzukommt, dass einerseits mehrfach bezahlt wird, vom Steuerzahler, die Herren sich auf dessen Kosten einen schlanken Fuss machen. Den “Wertewesten” wollen sie offenbar nicht verteidigen.

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