In der Praxis funktioniert die „Anti-Desinformations-Industrie“ oft so: Die Regierung zahlt einer Agentur Geld, damit diese den politischen Gegner schwächt. Das britische Außenministerium zieht nun die Notbremse, im Interesse der Meinungsfreiheit.
Es ist ein Rückschlag für den zensurindustriellen Komplex: Großbritanniens Regierung hat angekündigt, die britische Firma Global Desinformation Index (GDI) nicht mehr länger zu finanzieren. Sie begründete die Entscheidung damit, dass von GDI eine Bedrohung der Meinungsfreiheit ausgehe.
Das Geschäftsmodell von Global Desinformation Index ist das gleiche wie das des NewsGuard-Konzerns. Websites, die aus Sicht des Unternehmens politisch oder gesellschaftlich unerwünschte Inhalte veröffentlichen, landen auf einem Index, ähnlich dem Index librorum prohibitorum, dem weiland von der Katholischen Kirche geführten Verzeichnis verbotener Bücher, deren Lektüre als schwere Sünde galt.
Viele Firmen, die im Internet Werbung schalten, benutzen NewsGuard oder den Desinformation Index, um zu verhindern, dass ihre Werbung auf den gelisteten, vermeintliche „Falschinformationen“ enthaltenden Websites ausgespielt wird. So soll ein Wildwuchs des Pluralismus verhindert werden; missliebige Websites werden von Zahlungsströmen abgeschnitten, mit dem Ziel, sie wirtschaftlich zu ruinieren.
„Dynamische Ausschlussliste“
Anlass für die Entscheidung der britischen Regierung war ein Bericht der populären britischen Website Unherd, die selbst Opfer des Global Desinformation Index geworden war. Nach Darstellung von Freddie Sayers, dem Chefredakteur von Unherd, hatten die Zensoren des Desinformation Index Anstoß daran genommen, dass in einem von Unherd veröffentlichten Beitrag gestanden hatte, es gebe nur zwei biologische Geschlechter. Damit hatte sich die Website angeblich der „transfeindlichen“ „Desinformation“ schuldig gemacht. In einer an Unherd gerichteten E-Mail eines Mitarbeiters von GDI stand:
„Unser Team hat die Domain erneut überprüft, die Bewertung wird sich nicht ändern, da sie weiterhin Anti-LGBTQI+-Narrative enthält... Die Autoren der Website wurden als transfeindlich bezeichnet. Kathleen Stock ist als 'prominente genderkritische' Feministin bekannt.“
Das langt, um in die Verbannung geschickt zu werden. Die Kolumnistin Kathleen Stock, deren Beiträge für den National Press Award nominiert wurden, ist Autorin von Unherd sowie Co-Direktorin von The Lesbian Project, einer Interessenorganisation homosexueller Frauen, die sich durch linksgerichtete LGBTQ+-Gruppen nicht vertreten fühlen. Letztere waren es, aufgrund deren öffentlichen Druck hin Stock 2021 ihren Rücktritt als Professorin der Philosophie an der Universität Sussex in Brighton erklärte – man hatte sie der „Genderleugnung“ bezichtigt, wovon sich ihr Ruf nie wieder erholte. Und weil nun Kathleen Stock Beiträgerin von Unherd ist, landete die Website prompt auf einer so genannten „dynamischen Ausschlussliste“ von Publikationen, die angeblich „Desinformation“ fördern und daher von allen Werbekunden boykottiert werden sollten.
Die wirtschaftlichen Folgen sind gravierend.
Weitere Beispiele, die der Zensor von GDI anführte: Julie Bindel, eine lebenslange Kämpferin gegen Gewalt gegen Frauen, und Debbie Hayton, die transsexuell ist. Beide verbreiten angeblich Falschinformationen darüber, wie viele Geschlechter es gibt. Offensichtlich, so die Redaktion von Unherd, „setzt der Global Desinformation Index ‚genderkritische’ Überzeugungen oder die Behauptung, dass biologische Geschlechtsunterschiede existieren, mit ‚Desinformation‘ gleich – trotz der Tatsache, dass diese Überzeugungen im britischen Recht ausdrücklich geschützt sind und von der Mehrheit der Bevölkerung vertreten werden.“
Was bedeutet das konkret für die Arbeit von Unherd? Ist das Urteil des Global Desinformation Index bloß eine Meinungsäußerung? Oder im schlimmsten Fall eine Schmähung, die man abkönnen muss? Nein, so einfach ist es leider nicht. Die wirtschaftlichen Folgen sind gravierend. Sayers, erklärt:
„Die Urteile von ‚Rating-Agenturen‘ wie dem GDI sind innerhalb der komplexen Maschinerie, die Online-Anzeigen schaltet, ein wenig verstandener Mechanismus zur Kontrolle der Medienkonversation. Im Fall von UnHerd bedeutet das GDI-Urteil, dass wir nur zwischen zwei und sechs Prozent der Werbeeinnahmen erhielten, die normalerweise für ein Publikum unserer Größe erwartet werden.“
Unterdrückung von missliebigen Meinungen
Die Funktionsweise erklärt Sayers so: „Im Fall von UnHerd schließen wir einen Vertrag mit einer Werbeagentur ab, die sich auf eine beliebte Technologieplattform namens ‚Grapeshot‘ stützt, die in Großbritannien gegründet und inzwischen von Larry Ellison's Oracle übernommen wurde, um automatisch geeignete Websites für bestimmte Kampagnen auszuwählen. Grapeshot wiederum nutzt automatisch den ‚Global Disinformation Index‘, um Daten über die ‚Markensicherheit‘ zu liefern – und wenn der GDI einer Website eine schlechte Note gibt, werden nur sehr wenige Anzeigen geschaltet.“
Der Global Disinformation Index (GDI) wurde 2018 in Großbritannien mit dem erklärten Ziel gegründet, das Geschäftsmodell der „Online-Desinformation“ zu stören, indem er Publikationen die Finanzierung entzieht, die wissentlich Falschinformationen verbreiten. Die Grundthese von GDI sei, „dass der Großteil der Desinformation im Internet durch finanziellen Gewinn motiviert ist, was das Ergebnis der dominanten aufmerksamkeitsgesteuerten Geschäftsmodelle ist, die das heutige Internet bestimmen.“
Im Klartext: Jemand denkt sich Falschnachrichten aus, die Aufmerksamkeit sichern, um damit im Internet viel Geld zu machen – und dies wollte GDI eigenen Angaben nach bekämpfen. Wenn das das Ziel war, hat sich GDI weit davon entfernt. Mittlerweile geht es um die Unterdrückung von missliebigen Meinungen, wie Claudius Seidl unlängst in einem Beitrag für die FAZ feststellte. Neben der Open Society Foundation von George Soros erhält der GDI Gelder von der Europäischen Union, dem deutschen Auswärtigen Amt und einer Einrichtung namens Disinfo Cloud, die vom US-Außenministerium gegründet und finanziert wurde.
Es geht nicht nur gegen das Unwahre
Es überrasche vielleicht nicht, schreibt Sayers, dass die beiden Gründer der Organisation aus den „oberen Rängen der ‚respektablen‘ Gesellschaft“ stammten: „Da ist zunächst Clare Melford, in deren vom Weltwirtschaftsforum veröffentlichter Biografie es heißt, dass sie zuvor ‚den Übergang des European Council on Foreign Relations von der Open Society Foundation von George Soros zu einem unabhängigen Status geleitet‘ hat. Sie gründete das GDI zusammen mit Daniel Rogers, der ‚in der US-Geheimdienstgemeinschaft‘ tätig war, bevor sie ein Unternehmen namens Terbium Labs gründete, das KI und maschinelles Lernen einsetzte, um das Internet nach der illegalen Nutzung sensibler Daten zu durchsuchen, und es dann für viel Geld an Deloitte verkaufte.“ Im Lauf der Zeit wurde der Begriff der Desinformation immer weiter ausgeweitet. GDI selbst gibt zu: „Bei vielen Desinformationen geht es nicht nur darum, ob etwas wahr oder falsch ist – sie entziehen sich den Grenzen der Faktenprüfung. Etwas kann faktisch korrekt sein, aber dennoch extrem schädlich.“
Es geht also nicht nur gegen das Unwahre, sondern auch gegen das – aus Sicht der Zensoren – Unerwünschte. Ausdrücklich umfasst Desinformation nicht mehr nur Falschnachrichten, sondern alles, was „sich gegen eine gefährdete Gruppe oder Institution richtet und vor allem die Gefahr eines Schadens heraufbeschwört“. Ein „Schaden“ muss nicht eine Bedrohung von Leib und Leben sein; es reicht schon die Gefahr eines „finanziellen Schadens“. Risikogruppen oder -institutionen, die vor unerwünschten Nachrichten und Ansichten zu schützen sind, sind laut GDI Einwanderer, Frauen, verfolgte Minderheiten, Farbige, die LGBTQ+-Gemeinschaft, Kinder „bis hin zu wissenschaftlichen oder medizinischen Konsensen zu Themen wie Klimawandel oder Impfstoffe und zu demokratischen Prozessen wie Wahlen oder dem Justizsystem“.
„Wissenschaftliche oder medizinische Konsense“ also gilt es zu schützen vor jenen, die der angeblichen Mehrheitsmeinung widersprechen. Wie gefährlich das für die Gesellschaft und die freie Meinungsbildung ist, dürfte jedem einleuchten. Komplett ist die düstere Science-Fiction, wenn man erfährt, dass GDI mittlerweile auch Künstliche Intelligenz (KI) einsetzt, um „schädliche“ Inhalte herauszufiltern. „Wir setzen unsere Definition von Desinformation – die Themen der gegnerischen Narrative – in der Technologie um“, erklärte Melford im November 2021 in einem Interview.
„Verschwörungstheorie“
„Jedes feindliche Narrativ erhält einen eigenen Machine-Learning-Klassifikator, der es uns dann ermöglicht, nach Inhalten zu suchen, die diesem Narrativ in großem Umfang entsprechen – Frauenfeindlichkeit, Islamophobie, Antisemitismus, Inhalte gegen Schwarze, Leugnung des Klimawandels usw.“. Es überrascht kaum, dass zu den von GDI als angebliche „Desinformation“ zu unterdrückenden Nachrichten viele gehören, die mit Corona zu tun haben.
So verbreitet das GDI immer noch einen unkorrigierten Beitrag aus dem April 2020, in dem steht, die These, dass Covid-19-Virus wahrscheinlich im Virenlabor von Wuhan entwickelt wurde – eine Einsicht, die mittlerweile sogar in der New York Times vertreten wird, die sie ehemals scharf bekämpfte – sei eine „Verschwörungstheorie“, die unterdrückt werden müsse: „Alle diese Labor-Verschwörungstheorien wurden überprüft und als unwahr erwiesen“, ist man sich bei GDI sicher. Das sage etwa die BBC, darum müsse es ja wohl stimmen. Und wer dennoch das Gegenteil behaupte, dem müssten die Werbegelder gestrichen werden:
„Wie das GDI hier dargelegt hat, finanzieren bekannte Marken ungewollt Websites, die diese gefährlichen Verschwörungstheorien verbreiten. Dies ist auf die Ad-Tech-Unternehmen zurückzuführen, die ihre Anzeigen auf diesen Websites schalten, ohne die Risiken der Desinformation auf der Website angemessen zu prüfen oder zu bewerten. Diese Art der Finanzierung durch Ad-Tech-Unternehmen muss jetzt beendet werden, wenn wir die Infodemie des Coronavirus bekämpfen wollen. Die Frage, wie die Verbreitung von Desinformationen gestoppt werden kann, ist von großer Bedeutung. Für das GDI besteht ein wichtiger Weg darin, das Netzwerk von Desinformationsseiten, die mit Coronavirus-Verschwörungen Geld verdienen, zu finanzieren.“ Man könnte meinen, Firmen wie der Global Disinformation Index wären der verlängerte Arm der chinesischen Regierung.
Geldgeber wenden sich ab
Wie Großbritanniens Außenminister David Cameron erklärte, sei das britische Außenministerium weiterhin der Bekämpfung von Desinformation, insbesondere von ausländischen Gegnern, verschrieben, doch bei künftigen Kooperationen stehe der Schutz der Meinungsfreiheit im Vordergrund. „Der Schutz der freien Meinungsäußerung ist eine Priorität für das Ministerium“, erklärte er und betonte, dass die unterstützten Organisationen „unsere Werte hochhalten“ sollten.
Die „Anti-Desinformations-Industrie“ stehe nun vor einem Finanzierungsproblem, berichtet Unherd. Nach einer Welle von Berichten über ihre Zensur des Journalismus habe das GDI etliche frühere Sponsoren von seiner Website entfernt:
„Die vom US-Außenministerium finanzierte Disinformation Cloud wurde aus der öffentlich zugänglichen Sponsorenliste des GDI gestrichen, ebenso wie das britische Foreign, Commonwealth and Development Office und ein nichtstaatlicher Sponsor. Die britische Regierung hat vor kurzem bestätigt, dass sie die GDI nicht länger finanzieren wird, und der Druck aus den USA, die Finanzierung solcher Projekte zu beenden, ist in vollem Gange.“
Die Regierung zahlt einer Agentur Geld
In den Vereinigten Staaten nehmen Bürgerrechtsgruppen vor allem Anstoß daran, dass GDI letztlich ein Arm der Regierung ist, um das von der Verfassung garantierte Recht auf Redefreiheit auszuhebeln. Angesichts der beschriebenen voreingenommenen Definition von „Desinformation“ ist es wenig überraschend, dass dies vor allem konservative Websites betrifft. In der Praxis sieht es so aus: Die Regierung zahlt einer Agentur Geld, damit diese den politischen Gegner schwächt, indem sie ihn für unglaubwürdig erklärt.
Dass diese immer beteuern wird, frei von Regierungseinfluss zu sein, ändert an diesem Geflecht nichts. Bezahlt wird GDI vom Global Engagement Center (GEC) des US-Außenministeriums. Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus fordert darum von Außenminister Anthony Blinken volle Einsicht in die Bücher, um herauszufinden, wer alles von den Geldern des GEC profitiert und wie viel an das GDI geht. Der nächste Schritt könnte dann sein, das GEC aus dem nächsten Bundeshaushalt zu entfernen.
„Jede Einrichtung, die Zensur ausübt, sollte keinen Kontakt mit der Regierung haben, weil sie mit einer Gruppe in Verbindung gebracht wird, die etwas tut, das den amerikanischen Werten grundlegend widerspricht“, sagte Jeffrey Clark, ehemaliger Leiter der Zivilabteilung des Justizministeriums, dem Washington Examiner. „Die Regierung oder eine private Einrichtung sollte nicht mit dieser Einrichtung zu tun haben, die ein rechtlich fragwürdiges oder zumindest moralisch fragwürdiges Verhalten an den Tag legt.“
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno“. „Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).