Atomausstieg, Kohleausstieg, Gasausstieg, Verbrenner-Aus, Feinstaub auf Null … auf der Brücke ziehen Ideologen an den Hebeln und suchen die nächste Steigerung. Es gibt gar nicht genug reale Projekte für ihren Ehrgeiz. Stattdessen Betrug, wohin man schaut.
Fragte man unseren Wirtschaftsminister nach den Hauptsäulen der deutschen Energiewende, würde er wohl Floskeln wie „Innovation, grüne Politik und Mut“ aneinanderreihen. Seine Kritiker würden auf dieselbe Frage eher mit dem Dreiklang aus „Ideologie, Subvention und Betrug“ antworten. Die Ideologie schreibt Ziele vor, Subvention ist das Mittel zu deren Erreichung und Betrug in allen Facetten der Modus Operandi. Das einzig echte in dem Spiel ist das reichlich fließende Geld. Heute wird jede ökonomische Betätigung von der Ideologie überwölbt, die Emission von CO2 sei zu unterbinden. Das kann man glauben oder nicht, jedoch ist Kohlendioxid längst zur eigentlichen deutschen Währung geworden und wie bei jeder Währung ohne Sicherheitsmerkmale ist viel Falschgeld im Umlauf. Die Fälscherei wird schon dadurch begünstigt, dass der verrechenbare Wert ja gerade in der Abwesenheit des Stoffes selbst besteht. Gewissermaßen ein Goldstandard ohne Edelmetall. Vergoldet werden Vermeidung und Nicht-Emission, doch spätestens wenn alle Prozesse optimiert oder die Produktion nach Fernost ausgelagert ist, die niedrig hängenden Früchte also bereits geerntet sind, beginnen die Betrügereien. Motto: Wo Luft besteuert wird, öffnen sich Wege, Steuergeld in Luft aufzulösen.
Vor diesem Hintergrund spielt sich auch der jüngste Skandal ab, in dem deutsche Politik und Ölindustrie Zwangsabgaben zur CO2-Vermeidung bei der Produktion von Diesel und Benzin in chinesischen Hühnerställen statt in realen Projekten zur CO2-Vermeidung versenkt haben. So gut wie alle der schönen Kompensationsprojekte, in denen unser Sündenstolz sich in Ablasszettel und gutes Gewissen verwandelt, existieren sie nur auf dem Papier. Zynisch betrachtet bestätigt das eine Jubelmeldung des Habeck-Ministeriums aus März 2024: „Zum ersten Mal überhaupt zeigen die Zahlen: Deutschland ist auf Kurs“. Es sind aber nur die Zahlen, wirklich passiert ist sehr wahrscheinlich gar nichts.
Das verschleuderte Geld hingegen war echt, denn man darf davon ausgehen, dass es nicht im chinesischen Sand versickert ist, sondern bildlich gesprochen säckeweise davongetragen wurde. Dummes deutsches Geld, dessen Spur sich von NGOs über Zertifizierer bis zu Ablasshändlern und cleveren Geschäftemachern an - den kritischen Blicken des Publikums entzogenen - fernen Gestaden zieht. Allein schon der Begriff „Klimaschutz“ wirkt als Universalschlüssel zu deutschem Steuergeld und dem Kapital deutscher Unternehmen. Und weil wir es mit marktfernen Mechanismen ohne Selbstkontrolle oder natürliche Preissignale zu tun haben, sind den Betrügereien Tür und Tor geöffnet.
Kobra-Effekt
Wer im Studium mal VWL hatte, hat sicher schon vom sogenannten „Kobra-Effekt“ gehört. Um einer Schlangenplage zu begegnen – so die Legende – soll ein Gouverneur in Britisch-Indien eine Kopfprämie auf getötete Schlangen ausgelobt haben. Die Bauern lieferten fleißig tote Schlangen und kassierten, ohne dass sich jedoch die Plage besserte. Erfreut ob des gesicherten leichten Verdienstes waren die Bauern dazu übergegangen, die Schlangen selbst zu züchten. Das erleichterte den Verdienst erheblich, weil man die Bieser nicht umständlich fangen musste.
Weil der populationssenkende Effekt ausblieb, stellte der Gouverneur die Subvention irgendwann ein, was die Bauern nicht nur wegen des Einkommensverlustes erzürnte, sondern die Zahl der Schlangen sprunghaft anschwellen ließ, weil die Bauern die nutzlos gewordenen Esser einfach frei ließen. Und wenn es auch nur eine Legende ist, so doch eine lehrreiche: Ein gut gemeinter, aber letztlich schädlicher staatlicher Anreiz verschlimmerte die Lage, statt sie zu verbessern. Statt Effekten gibt es nur Mitnahmeeffekte. Niemand ging damals zu den Bauern, um deren „Fangmethoden“ zu prüfen und niemand rechnete heute damit, dass jemand aus dem Umweltministerium in der inneren Mongolei vorbei schaut. Deutsche Beamte haben keinen Zugriff auf die chinesische CO2-Vermeidungsindustrie. Die Schlangen in der Legende waren zumindest noch so real, dass man sie zählen konnte. Man stelle sich vor, die Bezahlung der Bauern wäre so vollständig auf Vertrauen aufgebaut gewesen wie bei der CO2-Vermeidung in China durch deutsches Steuergeld…
Die Antwort des Staates lautet in solchen Fällen gern: mehr Kontrolle! Was natürlich als Nebeneffekt die Population der Kontrolleure und damit auch die Kosten vergrößert. Und wie kontrolliert man die Behauptung, eine bestimmte Menge CO2 sei nicht in die Luft gelangt? Technisch ist das fast unmöglich. Man muss vielmehr Vertrauen haben und den Zahlen glauben – und das in einer Welt, in der jede gemessene Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr angefochten wird. Beim System der „Upstream Emissions Reduction“ sollte eine Geokoordinate als Beweis ausreichen, dass da irgendwo im fernen China in deutschem Namen CO2 reduziert werde – was soll schon schief gehen!
Ich wünsche den Kontrolleuren für die Zukunft viel Spaß, das europäische Lieferkettengesetz mit seinen lückenlosen Herkunftsnachweisen auf „grünen Wasserstoff“ anzuwenden, für den die Gewinnspannen um ein Vielfaches höher sind, wenn man ihn vor allem durch Etikettenschwindel erzeugt. In einer Welt der subventionsverseuchten Preissignale muss der Betrug besonders dort endemisch werden, wo es viel zu verdienen gibt. Grüner Wasserstoff dürfte eine ähnliche Konjunktur erleben, wie im Mittelalter die Holzsplitter vom Kreuz Jesu, aus denen sich mit reverse Engineering ganze Wälder hätten machen lassen. Ähnlich ungünstig für den Endverbraucher dürfte die Rechnung bei der „Upstream Emissions Reduction“ ausfallen, die Lemkes Umweltministerium nun zum Verhängnis wird.
Halbe Kraft voraus
Neben dem klassischen Subventionsbetrug spielt aber noch eine andere Art von Betrug bei der Klimarettung eine große Rolle: Täuschung und Selbsttäuschung, was sich aus der riesigen Kluft aktivistischer Forderungen und der Physik ergibt. Ich nenne es das „Brücke-an-Maschinenraum-Paradox“ und das lässt sich gut veranschaulichen, wenn man an frühere Schiffe denkt, auf denen der Kapitän auf der Brücke und der Chefingenieur im Maschinenraum über einen mechanischen Maschinentelegrafen kommunizierten.
Der Skipper zieht am Hebel und stellt „halbe Kraft voraus“ am Telegrafen ein. Im Maschinenraum ertönt eine Klingel und der Ingenieur schaut nach, was der Kapitän denn jetzt schon wieder will. Ah, halbe Kraft, das können wir machen. Er beschleunigt den Schiffsdiesel und bestätigt am Telegrafen. Das ist der ganze Regelkreislauf und er funktionierte über Vertrauen. Die Orte, wo die Befehle gegeben werden und der Kurs des Schiffes bestimmt wird, sind nicht nur räumlich voneinander getrennt, sondern auch in der Kompetenz. Der Ingenieur im Maschinenraum bestimmt weder Kurs noch Geschwindigkeit und der Kapitän kann die Maschinen nicht bedienen. Nützlich für das Vorankommen des Schiffes war es allerdings, dass beide ein prinzipielles Verständnis vom Aufgabenfeld des jeweils anderen haben und der Kapitän auf der Brücke nicht versucht, die Gesetze der Physik und Mechanik zu ignorieren.
Nun übertragen wir dieses Bild auf unsere heutige Wirtschaft und springen aus den siebziger Jahren der Seefahrt in die Welt des von der Realität abgekoppelten Aktionismus, in die Welt des „es muss aber“ und der ideologischen Kannegießerei. Atomausstieg, Kohleausstieg, Gasausstieg, Verbrenner-Aus, Feinstaub auf Null…auf der Brücke ziehen nicht mehr erfahrene Praktiker, sondern Ideologen wie wild an den Hebeln und finden zu jedem Marschbefehl wenig später schon die nächste Steigerung. „Volle Kraft voraus“, ach was, „Äußerste Kraft“…ich korrigiere „Warp fünf“. Anfangs versuchte man im Maschinenraum noch mit der Brücke zu argumentieren, zeigte die technischen Grenzen auf, verlangte mehr Zeit – es nützte nichts, der Kapitän hörte einfach nicht zu.
Doch merkte man auch, dass der Brücke eine positive Rückmeldung am Maschinentelegrafen genügt. Und so drückte man den Hebel am Telegrafen auf „Warp fünf“, obwohl man nur mit „halber Kraft voraus“ fuhr. Es entwickelt sich ein Ausweichverhalten, welches man faktisch als Betrug bezeichnen muss, auch wenn es nur deshalb üblich wurde, weil jemand auf der Brücke ohne Sinn und Sachverstand an den Hebeln zieht. Bestes Beispiel hierfür ist der bekannte Diesel-Skandal bei VW. Die immer weiter verschärften Abgasvorschriften kamen von der Brücke in Brüssel, wo nach der Einführung immer strengerer Normen die Champagnerkorken knallten. Die Ingenieure bei VW „lösten“ das unlösbare Problem verschärfter Verbrauchs- und Abgasvorgaben, indem sie zwar Vollzug meldeten, aber in Wirklichkeit den feiernden Politikern auf der Brücke lediglich mit einer heimlichen Abschaltvorrichtung zuprosteten. Technologische Sprünge nach vorn lassen sich eben nicht durch politische Beschlüsse erzwingen. Der Rest ist Geschichte.
Und in diese geht nun auch ein guter Teil des betrügerischen Greenwashings durch ausgelagerte CO2-Vermeidung ein. Es stellte sich nämlich heraus, dass es gar nicht genug reale Projekte gibt, um all die großartigen Labels, Ablassbriefe und Klimarettungsideen von der virtuellen in die reale Welt zu übertragen. Stattdessen Betrug, wohin man schaut. „Von einem „Betrugsgeflecht“ ist die Rede, von zwei Firmen, die eine Art „Duopol“ bei der Validierung (erster Schritt) und Zertifizierung (zweiter Schritt) von China-Projekten hatten“, so fasst die WELT zusammen. Man darf wohl bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgehen, dass die CO2-Kompensationsgeschäfte in anderen Weltgegenden auch nicht realer sind als die in China.
Roger Letsch, Jahrgang 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de, wo dieser Text zuerst erschien.