Von Okko tom Brok.
Ab dem 1. Juli ist auch die Gründung von Anbaugemeinschaften für Cannabis erlaubt. Kann die Cannabis-Legalisierung in Deutschland ein Erfolg werden?
„Meine Freiheit wird mit Hindukusch verteidigt“, mag sich seit der Cannabis-Freigabe am 1. April (sic!) diesen Jahres so mancher experimentierfreudige Zeitgenosse gedacht haben, um sogleich die neugewonnene Freiheit des Cannabiskonsums einmal zu erproben. Wenn es jedoch um die praktische Alltagsbewährung des sog. „CanG“ (Cannabis-Gesetzes) geht, ist das rechtliche und bürokratische Gelände in Deutschland ähnlich zerklüftet und zum Teil vermint wie jenes gleichnamige Hochland Afghanistans, in dem früher schon einmal (vergeblich) unsere Freiheit verteidigt wurde.
Die Schlacht um die Cannabis-Freigabe ist also nach Jahrzehnten des Zögerns und Zauderns – vorerst – mehr oder weniger erfolgreich geschlagen: „Gebt das Hanf frei“ ist nicht länger nur ein Internet-Meme, sondern bundesrepublikanische „Staatsräson“. Aber werfen wir doch einmal einen näheren Blick auf die Details dieser Freigabe, um zu prüfen, ob die Ampelregierung bei allem Chaos auch überzeugende politische Ergebnisse „liefern“ kann.
Für das letzte Jahr der Cannabis-Prohibition gab das BKA jüngst bekannt, dass Cannabis-Kriminalität auch 2023 die Drogenstatistik deutlich anführte. Mit dieser Feststellung verbindet sich im politischen Berlin und beim Bundeskriminalamt die Hoffnung, mit einer Cannabis-Freigabe die organisierte Cannabis-Kriminalität wirksam eindämmen zu können.
Altersgrenze der Freigabe für Volljährige
Was auf den ersten Blick vielleicht abwegig bis hirnrissig erscheinen mag – Straftaten durch Entkriminalisierung zu vermindern –, ist in diesem Fall durchaus plausibel: Eine kontrollierte Freigabe von zertifiziertem, preisgünstigem Cannabis könnte den Schwarzmarkt eindämmen und den Handel für Drogendealer schlicht unrentabel machen. Kommt auch noch die Erlaubnis eines Eigenanbaus hinzu, sollte es für Dealer doppelt schwer werden, ihre Ware abzusetzen. So die Theorie.
In insgesamt 15 Kapiteln regelt das schwergängige Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27.03.2024 den Umgang mit der imaginären Substanz mit den zahlreichen Spitznamen: „Hasch“, „Marihuana“, „Shit“, „Weed“, botanische Bezeichnung: Cannabis sativa oder indica. Berührt werden zahlreiche Rechtsgebiete wie Jugendschutz, Arbeitsrecht, Betäubungsmittelrecht, Nichtraucherschutz, Verkehrsrecht, Gesundheitsschutz und nicht zuletzt das Strafrecht.
Dem Jugendschutz bemüht sich das CanG (klingt wie „kann gehen“), mit einer Altersgrenze der Freigabe für Volljährige, einem Konsumverbot in der Nähe von Minderjährigen (insbesondere auch im Umkreis von Kindertagesstätten und Schulen) und einem generellen Werbeverbot Rechnung zu tragen. Verkehrsrechtliche Hürden, die in der Vergangenheit in deutlich zu niedrig angesetzten THC-Grenzwerten im Blut von Fahrzeugführern bestanden, wurden korrigiert.
Ist es vorstellbar, dass derartig inkongruente Regeln eingehalten werden?
§2 des CanG zeigt jedoch bereits die Halbherzigkeit des Legalisierungsvorhabens, wenn letztlich Besitz, Anbau, Herstellung, Erwerb und Verkauf von Cannabisprodukten weiterhin generell als verboten gelten, um dieses umfassende Verbot in §3 punktuell gleich wieder einzuschränken. Es ist im Grunde eine „Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass-Legalisierung“. Abweichend vom strikten Verbot ist Volljährigen der Besitz von 25 Gramm Cannabis, in der Wohnung sogar 50 Gramm sowie der Eigenanbau von bis zu drei Cannabispflanzen erlaubt. Für den einmaligen Gebrauch wird etwa eine Menge zwischen 0,2 und 1 Gramm benötigt.
Diese Regelungen klingen zwar erst einmal generös, solange man sich mit dem Anbau von Cannabis nicht so genau auskennt. Schaut man sich bei den einschlägigen Angeboten der „Grower Szene“ um, stellt man allerdings schnell fest, dass eine im Garten angebaute Cannabispflanze die stattliche Höhe von 1,50 m erreichen und dabei leicht bis zu 1 Kilogramm Ertrag liefern kann. Kann es dem frisch in die Freiheit entlassenen Cannabis-Hobbygärtner wirklich zugemutet werden, seine Ernte nicht über den Winter strecken zu dürfen, sondern fast vollständig bis auf den kümmerlichen Rest von nur 50 Gramm vernichten zu müssen? Ist es überhaupt vorstellbar, dass derartig inkongruente Regeln tatsächlich eingehalten werden? Oder legt das Gesetz hier nicht bereits die Saat für eine spätere Kriminalisierung solcher Freizeit-Grower? Handelt es sich gar um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für unterbeschäftigte Strafverteidiger?
Nun fühlt sich vielleicht nicht jeder, der gelegentlich seinen Feierabend mit einem Zug aus einem Joint abrunden möchte, berufen, hierfür agrarisch tätig zu werden. Ich selbst hätte dank meines „braunen Daumens“ in dieser Angelegenheit bereits größte Mühe, wie ich befürchte. Der Erwerb von Cannabis soll dem Gesetz zufolge daher vor allem im Rahmen sog. Anbaugemeinschaften (vulgo: Cannabis Social Clubs) erfolgen. Diese Anbaugemeinschaften unterliegen strengen Genehmigungsauflagen, die das Gesetz in Kapitel 4 regelt.
Die Frage der Cannabis-Legalisierung kontrovers bleiben
Anbaugemeinschaften sind quasi „Genossenschaften“ zum gemeinschaftlichen Anbau und Konsum der legendären Cannabisblüte. Minderjährige dürfen ihnen ausdrücklich nicht angehören. Die Anbaugenehmigung wird von „der zuständigen Behörde“ erteilt, wobei offenbar bis dato ungeklärt ist, welche Behörde überhaupt zuständig ist, wenn Genehmigungen ab 1. Juli erteilt werden sollen. Bislang ist Pressemeldungen zufolge noch keine einzige Anbaugenehmigung für einen Social Club ausgesprochen worden. Der inzwischen eingetretene Genehmigungsrückstau wird sich somit einreihen in den allgemeinen Schlendrian, der Deutschland anno 2024 kennzeichnet. Die rechtlichen und organisatorischen Auflagen, die den Anbaugemeinschaften auferlegt werden und die von der Buchführung bis zur Suchtprävention reichen, sind so umfangreich und bürokratisch, dass es insgesamt eher fraglich erscheint, ob sich ein solches Modell behaupten wird.
Mir persönlich scheint es fast so, als ob im vorliegenden Cannabisgesetz sozialistische Hippiephantasien vom „Cannabis konsumierenden Kollektiv“ die Sinne getrübt und eine marktkonforme, kundenorientierte Lösung zum legalen Erwerb von Cannabisprodukten verhindert haben könnten. Eine praxistaugliche Lösung hätte darin bestehen können, kommerzielle Anbieter, wie die bereits seit 2017 in Deutschland auf dem Feld des Medizinalhanf erfolgreich tätigen Phytopharmafirmen zu autorisieren, ihre Produkte streng reguliert, aber rezeptfrei in Apotheken an Volljährige abgeben zu dürfen. Da eine solche praxistaugliche Regelung versäumt wurde und der Eigenanbau wie gesehen mit gewissen Unklarheiten und Widersprüchen behaftet ist, haben die Drogendealer in Deutschland de facto auf unbestimmte Zeit eine Gnadenfrist erhalten und können jetzt immerhin bis zu 50 Gramm straffrei zuhause lagern. Wenn dann ein „Besucher“ ebenfalls in den Genuss eines Teils dieser „Leckerlis“ kommen möchte, wird kein Richter diesen „Freundschaftsdienst“ ernsthaft beklagen können. Gewusst wie.
Die Frage der Cannabis-Legalisierung wird auch nach der sog. „Freigabe“ kontrovers bleiben. Angesichts der handwerklichen Unzulänglichkeiten und Fehler, die im Gesetzestext selbst dieser „Herzensangelegenheit“ von Rotgrün festzustellen sind, ist zu erwarten, dass die kritischen Stimmen in Zukunft eher lauter werden. Der große Wurf einer liberalen Drogen-Deregulierung ist der Regierung damit ausdrücklich nicht gelungen. Wer in Zukunft auf einfache und legale Weise an einigermaßen hochwertige Cannabisprodukte gelangen möchte, hat aus meiner Sicht momentan zwei Möglichkeiten: Ferien in den Niederlanden oder einen Besuch beim Hausarzt. Der ist nämlich seit dem 1. April berechtigt, Cannabis auch ohne BTM-Rezept zu verschreiben.
Der Autor ist Lehrer an einem niedersächsischen Gymnasium und schreibt hier unter Pseudonym.