Georg Etscheit / 20.06.2024 / 12:00 / Foto: Imago / 34 / Seite ausdrucken

Markus Söder will weniger (direkte) Demokratie wagen

Seit die Bürger des kleinen Ortes Mehring bei Altötting die Frechheit besaßen, einen ihnen im nahen Stadtwald zugedachten Wind-„park“, sogar den größten Bayerns, qua Bürgerentscheid abzulehnen und dieser unerhörte Vorfall in ganz Deutschland die Runde machte, ist in der Bayerischen Staatskanzlei Feuer unter dem Dach.

Denn die geplanten vierzig gigantischen Windräder im Staatswald waren zu einem Prestigeprojekt der Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern stilisiert worden mit der erklärten Absicht, den Windkraftirrsinn aus dem Hause Habeck in Berlin noch zu toppen. Bayern vorn, lautet Söders Ansage, auch in Sachen der sogenannten Erneuerbaren.

Zum Glück ist ein weiterer Bürgerentscheid in Marktl am Inn, für den sich der bayerische Wirtschaftsminister und Windkraftfan Hubert Aiwanger (Freie Wähler) mächtig ins Zeug gelegt hatte – das Windkraft-Industriegebiet soll sich über das Gebiet von insgesamt sieben Gemeinden erstrecken – zugunsten des Projektes ausgefallen. Doch schon droht ein neues Bürgervotum, diesmal in der Gemeinde Haiming und ebenfalls initiiert von der regen Bürgerinitiative „Gegenwind Altötting“, die Söder, Aiwanger & Co. schon die erste Niederlage eingebrockt hatte.

Jetzt ist Söder offenbar entschlossen, die Notbremse zu ziehen: Bürgerwille gut und schön, aber bitte nicht zu viel davon! Direkte Demokratie sei zwar ein „hohes Gut“ sagte Söder jüngst in einer Regierungserklärung zur „Modernisierung Bayerns“. Doch dürfte sie nicht zur Blockade von Zukunftsprojekten genutzt werden, zu denen Söder auch die Windkraft zählt. Deshalb sollen jetzt wohl die Hürden für die Bürgerbeteiligung erhöht werden, schließlich habe Bayern hier im Ländervergleich die großzügigsten Regelungen.

Bürgerbeteiligungs-Abrissoffensive

Gleich in einem Aufwasch will Söder auch das Verbandsklagerecht abschaffen, das es NGOs, vor allem Umweltverbänden, ermöglicht, etwa gegen Infrastrukturprojekte Klage zu erheben oder auch die Einhaltung von Klimaschutzregelungen vor Gericht zu erstreiten, wie es sich etwa die besonders klagefreudige Deutsche Umwelthilfe zu ihrer Aufgabe gemacht hat. Allerdings steht diesem Vorhaben, Bürgern und Verbänden Mitspracherechte zu beschneiden, die internationale Aarhus-Konvention entgegen. Das schon 2001 in Kraft getretene Übereinkommen regelt den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Auch sämtliche EU-Staaten gehören zu den Unterzeichnern der Konvention.

Söders Bürgerbeteiligungs-Abrissoffensive stellt eine markante Kursänderung dar, hatte sich die CSU doch bislang immer mächtig gebrüstet mit der direkten Demokratie, insbesondere jener auf kommunaler Ebene. Bürgerbeteiligung erhöhe die Akzeptanz politischer Entscheidungen, heißt es noch in dem im Oktober 2023 verabschiedeten Grundsatzprogramm der Christsozialen. Sie schaffe zusätzliche Legitimität und mache, wunderbare Wortschöpfung, „Demokratie erlebbar“. Bayern sei das „Land der Volks- und Bürgerentscheide“ – nirgendwo sonst in Deutschland gebe es so viele direkt-demokratische Entscheidungen wie im Freistaat. „Direkt-demokratische Instrumente bereichern und ergänzen die parlamentarische Demokratie. Sie haben befriedende Wirkung.“

Auf Söders Kahlschlag-Ankündigung folgte sogleich ein veritabler Shitstorm von Seiten der Opposition sowie betroffener Verbände. Die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die in Bayern schon mehrere erfolgreiche Volksbegehren („Rettet die Bienen“, „Für echten Nichtraucherschutz“) auf Landesebene durchgebracht hatte, kündigte sogleich eine neue Initiative an, um Söder in die Arme zu fallen. Söders Koalitionspartner, die Freien Wähler, die vergangenes Jahr in ihrem Landtagswahlprogramm sogar eine „Absenkung der Mindestbeteiligung bei Bürgerentscheiden“ forderten, versuchen einstweilen, den Ball flach zu halten. Richten soll es jetzt ein „Runder Tisch“ unter Leitung des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein zur „Weiterentwicklung von Bürgerentscheiden“.

Kein Anlass für Panik

Doch wie groß ist die angebliche Blockadewirkung von Bürgerentscheiden in Bayern, insbesondere was Erneuerbare Energie und „Klimaschutz“ angeht? Der bundesweit tätige Fachverband Mehr Demokratie hat nachgerechnet: In einem Zeitraum von 2013 bis 2022 gab es in Bayern auf kommunaler Ebene 150 „Klima-bezogene direkt-demokratische Verfahren“. Nur ein Drittel davon hätte „bremsende Wirkung“ entfaltet, sagt Sprecher Jan Renner. Bei zwei Dritteln sei es dagegen um „Klimaschutz fördernde Maßnahmen gegangen“. Eine Blockade sei aus diesen Zahlen nicht ersichtlich, sagt Renner, auch wenn in Einzelfällen ein Windprojekt per Bürgerentscheid gekippt worden sei.

Dass vierzig Prozent aller direkt-demokratischen Verfahren derzeit auf Bayern entfielen, sei richtig, bestätigt Renner. Ein Manko sieht er darin naturgemäß nicht, im Gegenteil. Außerdem sehe die Zahl größer aus, als sie sich in Wirklichkeit ist: Statistisch gesehen sei in jeder Kommune nur alle 16 Jahre ein solches Verfahren zu erwarten. Was Volksbegehren auf Landesebene anbelangt, hat Bayern, im Gegensatz zu den Regelungen auf kommunaler Ebene, mit die strengsten Vorschriften. Die Erfolgsquote von Volksbegehren liegt in Bayern bei nur 22,5 Prozent, damit liegt Bayern im Ranking der Bundesländer nur auf dem 11. Platz.

Für Panik bei den Freunden der repräsentativen Demokratie und der unumschränkten Parteienherrschaft besteht also eigentlich kein Anlass. Mal sehen, was bei dem angekündigten Runden Tisch herauskommt. Entweder verläuft Söders Panikattacke im Sand oder man schraubt doch ein wenig an den Quoren. Dann stünde allerdings neuer Streit mit den Freien Wählern ins Haus.

 

Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.

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A. Ostrovsky / 20.06.2024

@Klaus Keller : >>Herr Söder kann natürlich den Versuch machen anstatt mit den Bürgern gegen die Bürger zu regieren. Letzteres sollte hoffentlich dazu führen das sich die Wähler für eine andere Partei entscheiden die eine Alternative anbietet. “Mehr Demokratie wagen!” , war in den 1970er Jahren ein Wahlkampfmotto der SPD. Die hat sich davon allerdings davon ebenso verabschiedet wie die Grünen. Es wird Zeit das sich politische Parteien die eine Alternative anbieten wollen genau das auf die Fahnen schreiben. Entweder man regiert mit den Bürgern oder gar nicht, sollten die Wähler Herrn Söder und anderen unmissverständlichen mitteilen. Dazu dient, wenn man sich nicht traut sich öffentlich zu äußern, die entsprechende Entscheidung in der Wahlkabine.<< ## Ich mag den Söder auch nicht mehr als meinen Hamster. Aber es geht eigentlich gar nicht um Personen, sondern um Winkraftanlagen. Ich weiß aber, dass Söder ein knallharter Rechner ist. Auf 900 Nörgler, die ihn ohnehin nicht wählen würden kann der verzichten. Alles andere ist hier aufgeblasene Propaganda.

A. Ostrovsky / 20.06.2024

@Dieter Rose : >>“Rückab-/entwicklung von Bürgerentscheiden - CSU auf dem Weg zur Mitgliedschaft bei der neuen SED?GRÜNROTGELBTÜRKIS/EXSCHWARZ warten schon<< # Ich vermute mal, Sie verstehen Ihre eigenen Interessen nicht. Sind Sie denn ein Bürger von 84561? Nein? Warum machen Sie sich die Interessen von knapp 2500 Menschen (Einwohnerzahl) zu eigen, von denen 928 das Projekt im STAATSFORST abgelehnt haben? Ja, Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie ist wichtig, um jeden Einzelnen vor den Zumutungen des Staates zu schützen. Soweit, so gut. Aber da geht es eigentlich darum, dass der Einzelne nicht zur Zwangsmedikation gezwungen werden darf, dass man ihm nicht aus lächerlichen Gründen die Kinder weg nimmt, und dass man ihm nicht das Konto sperren darfg, weil er falsche Gedanken hat. Wer sagt Ihnen dann, dass es überhaupt ein Grundrecht ist, dass man nicht am Horizont Windräder ansehen muss, die dort auf STAATS-GRUND aufgestellt werden? Ist da vielleicht die Idee der Demokratie ad absurdum geführt? Und wird etwa Ihre körperliche Unversehrtheit dadurch gestärkt, wenn sie sich die Rechte fremder Leute anmaßen, deren Existenz gar nicht selbstverständlich ist? Oder werden Sie hier nur von Ideologen am Nasenring geführt? Demokratie ohne Abwägung der Rechtsgüter wird scheitern. Es muss zuerst geklärt werden, ob die Windräder die Rechte der 928 Mehringer tatsächlich beeinträchtigen. Esoterischer Quatsch müsste da erstmal bewiesen werden. Das ist wie mit der Strahlung von KKW, nur eben um drei Größenordnungen kleiner. Und schon an radioaktiver Strahlung ist noch kein Mensch gestorben. Von einem Windrad in mehr als 2,5 km Entfernung auch nicht! Immer die Maßstäbe beachten!

Karsten Dörre / 20.06.2024

Bayern muss was Windenergetisches tun. Die südlichen Bundesländer müssen auch die Windhuberei umsetzen. Stichwort: Suedlink. Deutschland ist sowas von in gesellschaftspolitischer Auflösung. Da ist die Fachsimpelei über Verbandsklagerecht lediglich Dorftratsch.

A. Ostrovsky / 20.06.2024

Der Hinweis auf das Chemiedreieck Burghausen mit Wacker usw. ist wichtig. Dort sind die Haupt-Arbeitgeber der Region. Eigentlich müsste dort ein Kernkraftwerk gebaut werden, weil nur das - nach Maßgabe der Achse - überhaupt eine stabile Energieversorgung ermöglicht. Ansonsten ist sicher trotzdem die Mehrheit der Leute dort nicht in der Chemie beschäftigt. Ich vermute, dass ein Bürgervotum für ein KKW in Haiming und Mehring auch negativ ausgehen würde. Dann bleibt nur die Abwanderung der Industrie. Ein ähnliches Problem hat man in München. Dort sind die meisten privaten und unternehmerischen Energieverbraucher. Aber die Meisten arbeiten in der Schattenwirtschaft. Da gibt es ja nur die Konsequenz, per Bürgerentscheid wählen zu lassen, ob an der Autobahn A99 ein KKW oder zwanzig Windspargel gebaut werden sollen, weil sie ja noch nicht mal genug Kohle haben dort im Zentral-Slum des Freistaates. Der Putin muss nieder gerungen werden. Deshalb wäre es nicht zielführend, wenn man ein Erdgas-Kraftwerk auf der Maximilianstraße planen würde. Und ein Anstauen der Isar im Herzogpark wäre schon möglich, nachdem man bei Essenbach nicht mehr so viel Wasser für die Kühlung braucht. Hätte aber weitere Auswirkungen auf das Bauloch “Sendlinger Loch”. Es besteht dann auch die Gefahr, dass das Ludwig-II-Denkmal an der Maria-Theresia-Straße unterspült wird. Und sowas geht gar nicht unter Freunden. Ja, Wacker Chemie… machen die nicht die hochreinen Silizium-Wafer für die Elektronik-Industrie der ganzen Welt? Was wollen die noch in Bavaria? Die wären doch in China oder Saudi-Arabien besser. Und der Kini will die Leute zwingen? Das ist ja lächerlich. Der kennt wohl als Franke nicht die Breitschädligkeit des Salzburgers? Vielleicht könnte man die Pegnitz anstauen? Na, lieber doch nicht. Ja, Gesellschaft, was ist das? Ist das, wenn man die Speichermöglichkeit des E-Netzes auf die Verantwortung des Einzelnen verlagert? Planloswirtschaft! Da geht nichts mehr. Kaputt.

Moritz Cremer / 20.06.2024

wer auch nur 1 Baum für einen Vogelschredder fällt, ist charakterlich ungeeignet zur Teilnahme an der Gesellschaft, geschweige denn ein Amt zu bekleiden…

Ralf.Michael / 20.06.2024

Wie Lange ist der Maggus noch im Amt ? Bis zu den nächsten Wahlen ? Echt Jetzt ? Oder bis der pöse Aiwanger Ihn vor die Tür setzt ?

S.Buch / 20.06.2024

Walter Ulbricht (DDR 1.0-Staatsratsvorsitzender): Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Die Sache mit dem Wiederholen steht allerdings dem Beweis offen.

Andy Malinski / 20.06.2024

Die Aarhus-Konvention ... hübsch zu lesen ... aber wenn es der vereinten Grünfront gelingt, das “Klima” im GG zu verankern und nicht nur höchstrichterlich zu stärken, dann ist sie letztlich als “gut gemeint” abzuhaken.

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