Ein Sexualverbrechen mit antisemitischem Hintergrund schockiert Frankreich. Der Hass auf Israel ist auch im Parlament fest verankert.
Die antisemitisch motivierte Vergewaltigung eines zwölfjährigen Mädchens im Großraum Paris erschüttert die französische Gesellschaft und insbesondere die jüdische Gemeinde. Es geschah in Courbevoie, einer 80.000-Einwohner-Stadt, acht Kilometer vom Pariser Stadtzentrum entfernt. Hier befindet sich ein Teil des bekannten Geschäftsviertels La Défense, das sich durch seine Wolkenkratzer markant von der Pariser Innenstadt unterscheidet.
Am 15. Juni, Samstagabend, so berichtet es die Tageszeitung Libération, erschien das zwölfjährige Opfer in Begleitung seiner Eltern auf einer Polizeiwache, um Anzeige zu erstatten. Das Mädchen hatte sich in einer Grünanlage, wo es auch einen Spielplatz gibt, in der Nähe eines Hochhauses in La Défense mit einem Freund getroffen. Nachdem dieser sich verabschiedet hatte, wurde sie von einem Ex-Freund, der in Begleitung zweier weiterer Jungen im selben Alter war, angesprochen. Diese waren laut Aussagen des Mädchens die späteren Täter.
Die drei Jungen hätten sie dann geschlagen und sie zu Anal-, Vaginal- und Oralverkehr gezwungen, wobei sie drohten, sie zu töten und sich antisemitisch äußerten. In ihren ersten Aussagen gegenüber den Ermittlern gab das Mädchen an, als „dreckige Jüdin“ beschimpft worden zu sein, wie mehrere Polizeiquellen am Mittwoch berichteten. Einer der beschuldigten Jugendlichen habe ihr „Fragen zu ihrer jüdischen Religion gestellt“, sie gefragt, warum sie nicht darüber spreche. Auch Israel sei Gegenstand von Fragen gewesen. Das Opfer habe daraufhin geantwortet, dass es sich vor einem möglichen Angriff „schützen“ wolle. Nach den antisemitischen Äußerungen hätten zwei der Jugendlichen sie nacheinander vergewaltigt.
Laut weiteren Angaben des Mädchens soll einer der Täter die Szene gefilmt haben. Ein anderer habe ihr mit dem Tod gedroht, sollte sie die Vorfälle der Polizei melden. Das Mädchen wurde notärztlich versorgt und in die gerichtsmedizinische Abteilung von Garches im Departement Hauts-de-Seine gebracht, wo ein gynäkologisches Gutachten die Vergewaltigung bestätigte.
Schwere Vergewaltigung
Ihrem Freund gelang es, zwei der drei Täter zu identifizieren. „Drei minderjährige Jungen im Alter von zwölf und dreizehn Jahren“ wurden nach Polizeiangaben am 18. Juni angeklagt; die beiden Dreizehnjährigen wegen schwerer Vergewaltigung, wie die Staatsanwaltschaft von Nanterre gegenüber Libération erklärte. Zudem wegen „gemeinschaftlicher sexueller Aggression, versuchter Erpressung, gemeinschaftlicher Gewalt gegen einen Minderjährigen unter fünfzehn Jahren und aus religiösen Gründen, Verletzung der Intimsphäre durch Bildaufnahme, Aufzeichnung oder Übertragung des Bildes einer Person mit sexuellem Charakter, wiederholter Morddrohung und Beleidigung aus religiösen Gründen“. Sie befinden sich in Haft.
Der dritte Minderjährige, ein Zwölfjähriger, wurde wegen seines Alters als Zeuge in Bezug auf die Vergewaltigung gehört und wegen der übrigen Straftaten angeklagt. Er ist Gegenstand einer vorläufigen Erziehungsmaßnahme, die insbesondere eine „Unterbringung in einem Heim des gerichtlichen Jungendschutzes beinhaltet“, so die Staatsanwaltschaft Nanterre. Bei ihrer ersten Befragung „haben die drei Minderjährigen kurze, spontane Erklärungen abgegeben, in denen sie ihr Bedauern gegenüber dem Opfer zum Ausdruck brachten, ohne auf ihre Beteiligung an den Taten einzugehen“, so die Staatsanwaltschaft gegenüber Libération.
Angesichts dieses Verbrechens forderte Staatspräsident Emmanuel Macron, in den Schulen eine „Zeit des Austauschs“ darüber zu organisieren. Daniel Benfredj, Präsident der Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (LICRA) in Nîmes, verspricht sich davon wenig. Im Interview mit dem Radioprogramm France Bleue sagte er: „Es ist sehr gut, eine Stunde dem Kampf gegen dieses Übel zu widmen, aber das Problem ist, dass wir am Ende des Schuljahres sind.“ Wegen des Abiturs und der Klassenkonferenzen seien die Schüler „praktisch nicht mehr da“.
„Solidarität und Gedanken an das Opfer und seine Angehörigen“
Rund tausend Menschen, so die Schätzung der Polizei, folgten am Mittwochabend einem Aufruf des im Zuge des 7. Oktober 2023 gegründeten Kollektivs gegen Antisemitismus Nous vivrons („Wir werden leben“) und demonstrierten vor dem Rathaus von Paris. In einer Erklärung heißt es:
„Diese antisemitische Vergewaltigung ist die Fortsetzung eines judenfeindlichen Klimas, das insbesondere durch unverantwortliche politische Erklärungen genährt wird, die seit mehreren Monaten darauf abzielen, die Glut anzuheizen und den Hass auf Juden zu schüren.“
Ohne dass hier ein Adressat genannt wird, ist klar, dass vor allem die linksradikale Partei La France insoumise (LFI) von Jean-Luc Mélenchon gemeint ist. Mélenchon schrieb auf X, er sei „entsetzt über die Vergewaltigung in Courbevoie und all das, was sie über die Konditionierung kriminellen männlichen Verhaltens von klein auf und über antisemitischen Rassismus ans Licht bringt“. Er drückte „Solidarität und Gedanken an das Opfer und seine Angehörigen“ aus und schrieb, er hoffe, „dass die Kosten für die medizinische Versorgung und Begleitung angemessen übernommen werden und dieses Verbrechen und das damit verbundene Leid nicht in ein Medienspektakel verwandelt werden“.
Antisemitismus als Restphänomen
Das sollte wohl heißen, dass er sich keine fortgesetzte Berichterstattung darüber wünscht. Kurz vor der Tat hatte Mélenchon behauptet, es gebe in Frankreich nur noch „Reste“ von Antisemitismus. Seit Jahren greift er immer wieder den jüdischen Interessenverband CRIF an, dem er „communitarisme“ vorwirft, was im zeitgenössischen französischen Diskurs bedeutet, die Gesellschaft entlang religiöser oder ethnischer Linien spalten zu wollen.
Am 7. Oktober vergangenen Jahres veröffentlichte die LFI-Fraktion im Parlament einen Text, in dem die Massaker der Hamas als „bewaffnete Offensive der palästinensischen Streitkräfte“ bezeichnet wurden, die „vor dem Hintergrund der Intensivierung der israelischen Besatzungspolitik“ im Westjordanland und im Gazastreifen stattfinde. Der LFI-Abgeordnete Danièle Obono bezeichnete die Hamas kurz darauf als eine „Widerstandsbewegung“.
Daniel Benfredj warf La France insoumise vor, eine „antisemitische Partei“ zu sein, die „Öl in das linke Feuer gegossen“ habe. „Jean-Luc Mélenchon tut so, als entdecke er, dass es in Frankreich Antisemitismus gibt, aber noch vor ein paar Tagen sagte er, das Phänomen sei ,ein Restphänomen‘.“
Gute Nacht, Frankreich
Der Antisemitismus von LFI wird in Deutschland meist ignoriert und verharmlost. In einem Kommentar auf tagesschau.de hatte die Paris-Korrespondentin der ARD, Julia Borutta, erst vor wenigen Tagen gefordert, La France Insoumise müsse unbedingt Teil der kommenden französischen Regierung werden: „Sozialisten, Grüne und linksradikale LFI – sie alle müssen über ihren Schatten springen und den Wählern mit einer einzigen linken Liste eine echte Alternative bieten. Sonst: Gute Nacht, Frankreich.“
In der Sendung „Pascal Praud et vous“ auf dem französischen Radiosender Europe 1, die dem Verbrechen von Courbevoie gewidmet war, rief eine Hörerin namens Laurence an und sprach über ihre jüdischen Freunde, die an Auswanderung dächten – auch wegen LFI: „In meinem Freundeskreis gibt es einige, die Frankreich bald endgültig verlassen werden, wenn man bedenkt, was seit dem 7. Oktober, dem Tag der Hamas-Angriffe in Israel, passiert. Einige sagen uns: ,Unsere Koffer sind gepackt, falls wir gehen müssen, vor allem angesichts der Wahlen. Wenn LFI durchkommt, sind wir bereit zu gehen, weil wir in Frankreich keinen Platz mehr haben werden‘.“
Dazu kommentierte Éric Ciotti, Vorsitzender der Partei Die Republikaner: „Diese Aussage von Laurence ist bezeichnend für den Anstieg des Antisemitismus in unserem Land, der durch das Bündnis mit der extremen Linken geschürt wird.“
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno“. „Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).