Stefan Klinkigt / 30.06.2024 / 10:00 / Foto: Stefan Klinkigt / 17 / Seite ausdrucken

Nachhilfe auf dem Weg zur Wildnis?

Die Methode, Bäume zu „ringeln“ – damit diese dann langfristig umstürzen –, wurde offenbar auch im Nationalpark Sächsische Schweiz angewandt – von wem auch immer. Das Konzept dieses Nationalparks „Natur Natur sein lassen“ ist in jedem Falle strittig.

Das „Ringeln“ von Bäumen ist unter Garten- und Forstfachleuten bekannt als Methode, heimlich Bäume zum Absterben zu bringen – ausgeführt i.d.R. mit einer Motor- oder Schnursäge. Es ist in Deutschland streng verboten und wird normalerweise mit Bußgeldern bis zu 15.000 Euro bestraft. Nur in der Forstwirtschaft kommt die „Ringelung“ als Methode zur bewussten Wachstumsbeeinflussung infrage: „Der Begriff ‚Ringelung‘ bezeichnet das Abtöten von Bäumen durch eine ringförmige Unterbrechung von Rinde, Bast und Kambium, eventuell auch des äußeren Holzkörpers.“

Nachdem ich auf einer meiner Wanderungen durch die Hintere Sächsische Schweiz in den Spitzsteinschlüchten (zwischen dem Großen Zschand und den Lorenzsteinen) vier „geringelte“ Bäume entdeckt hatte, habe ich vor ein paar Tagen dort auch noch einen fünften „geringelten“ Baum gefunden (Abbildungen hier, hier, hier, hier und hier). Die Schnittspuren an allen fünf Bäumen (mit Motorsäge ausgeführt) sind nicht frisch, sondern müssen bereits vor etlichen Jahren vorgenommen worden sein.

Wanderer haben ja eher selten eine Motorsäge dabei

Die betroffenen Bäume – alles große Fichten, mittlerweile seit Jahren abgestorben – befinden sich am oberen Ausgang der Spitzsteinschlüchte (im Umkreis von ca. 20 Metern, siehe Titelfoto), von wo aus man auf den Knorreweg gelangt, einen Wanderweg, der von den Lorenzsteinen zur Zeughausstraße führt. Die Wahl ausgerechnet dieser fünf Bäume erscheint mir daher nicht zufällig, sondern von den Tätern vorsätzlich ausgewählt. Die Neigung dieser Bäume ist so, dass sie im Falle ihres Umbrechens direkt in den Ausgang der Schlüchte gestürzt wären und den hindurchführenden Wanderpfad damit komplett unpassierbar gemacht hätten. – Wer also macht so etwas und mit welcher Intention? Wer hatte da schon vor Jahren ein Interesse an einer beschleunigten Verwilderung dieser wunderbaren Landschaft?

Normale Wanderer haben ja eher selten eine Motorsäge dabei. – Noch dazu im Nationalpark, in dem ein striktes Gebot gilt: „Natur Natur sein lassen“. Eine mögliche Antwort auf diese Fragen überlasse ich Ihrer Phantasie, liebe Leser. (Ich habe übrigens die Nationalparkverwaltung über diesen Baumfrevel informiert. Strafanzeige zu erstatten, wie mir Freunde rieten, halte ich allerdings für wenig zielführend. Und nachdem der Borkenkäfer in den letzten Jahren hier ganze Arbeit geleistet hat, fallen diese fünf Baumleichen ohnehin nicht mehr ins Gewicht.)
 
Das Konzept der Nationalparks „Natur Natur sein lassen“ steht übrigens – wie man auf der Website des Bundesamtes für Naturschutz „Wildnisziele Deutschland“ nachlesen kann – im Einklang mit der sogenannten „Nationalen Strategie zu einer biologischen Vielfalt“ der Bundesregierung, die das Ziel verfolgt, mindestens zwei Prozent der Landfläche Deutschlands in Wildnis zu überführen. Als Begründung dient – na, was wohl? – natürlich der Kampf gegen den „Klimawandel“. Man behauptet sogar, dies fördere die biologische Vielfalt und erfülle auch „ethische Verpflichtungen gegenüber nachfolgenden Generationen und anderen Ländern im Hinblick auf die globale Gerechtigkeit im Naturschutz.“

Weiterhin kann man dort lesen: „Wildnisgebiete im Sinne der NBS existieren heutzutage hauptsächlich in Kernzonen von Nationalparken (vgl. § 24 Abs. 2 BNatSchG), auf Flächen des ‚Nationalen Naturerbes‘ und in einigen großen Naturschutzgebieten. Nach aktuellen Einschätzungen machen sie aktuell ca. 0,6 % der Landfläche aus. Es geht also darum, weitere Gebiete zu identifizieren, die für eine Wildnisentwicklung geeignet sind.“

Für eine „Wildnisentwicklung“ eignen sich natürlich besonders Gebiete, in denen jegliche menschliche Aktivitäten (also auch Wandern, Klettern etc. ...) ausgeschlossen sind. Wanderwege und Kletterpfade stören da nur.

Nun liegen sie halt da!

Nun hat man in den letzten Jahren an vielen Stellen im Nationalpark durch umgefallene Baumleichen versperrte Wanderwege mühsam freigeschnitten und wird dies auch in den kommenden Jahren weiter tun müssen, da noch immer zahllose Baumgerippe an den Steilhängen der Felsriffe stehen, die dann sukzessive umbrechen. Allerdings beräumt man bisher die Areale nicht von den Unmengen an knochentrockenem Totholz, stattdessen lässt man – bis auf die notdürftig freigeschnittenen Pfade und Wege – alles (als zusätzliche Brandlasten) so stehen und liegen – es gilt ja schließlich der Grundsatz „Natur Natur sein lassen“. Oder man lässt die umgefallenen Bäume einfach direkt auf den damit unpassierbar gewordenen Wanderwegen liegen – wie z.B. im Brückengrund oder auf dem Lorenzweg, dem einstmals sehr schönen Verbindungswanderweg vom Kleinen Zschand zum Knorreweg. Nun liegen sie halt da. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Erreichen der „Wildnisziele“.

Es ist doch eigenartig: In den Gegenden der Sächsischen Schweiz, die nicht zum Nationalpark gehören, sehen die Wälder ganz anders aus, wie z.B. hier, auf der linkselbischen Seite, zwischen dem Pfaffenstein und der tschechischen Grenze im Süden. Wie würde wohl die heutige Nationalparkregion aussehen, wenn sie niemals den Status „Nationalpark“ erhalten hätte – und hätte dieser überhaupt jemals vergeben werden dürfen?

„Grad der Naturnähe“

In der Broschüre „Qualitätskriterien und Standards für deutsche Nationalparke“ (PDF zum Download), herausgegeben 2008 vom Nationale Naturlandschaften e.V., kann man die Bedingungen, an die Nationalparke in Deutschland geknüpft sind, nachlesen.

Dort heißt es unter Handlungsfeld „Rahmenbedingungen“: Die Außengrenzen des Nationalparks sind an natürlichen Gegebenheiten ausgerichtet. Sie schließen alle Teilbereiche/Bestandteile der zu schützenden Ökosystemkomplexe auf einer möglichst großen, kompakten und zusammenhängenden Fläche ein. Die Flächen haben bereits einen hohen Grad der Naturnähe oder sind geeignet, diesen künftig in einem überschaubaren Zeitraum zu erreichen. Sie sind siedlungs- oder verkehrsmäßig nicht oder kaum erschlossen.

… und unter Handlungsfeld „Schutz der natürlichen biologischen Vielfalt und Dynamik“: Ein Nationalpark ist unter Beachtung der ökosystembezogenen Kriterien großräumig ausgewiesen. Er repräsentiert ein oder mehrere Ökosysteme und stellt den Ablauf der natürlichen Dynamik sicher. Ein Nationalpark umfasst mindestens eine Fläche von 10.000 ha (100 km²). Ausnahmsweise kann auch ein kleineres Gebiet von besonderer internationaler Repräsentativität Nationalpark sein. Das Gebiet ist so abgegrenzt, dass der Schutzzweck darin ermöglicht wird.

Bereits diese Kriterien erfüllt(e) die Region nicht: Die Fläche des Nationalparks umfasst lediglich 96 Quadratkilometer, ist nicht zusammenhängend, sondern umfasst zwei voneinander getrennte Teile und weist zudem keinen hohen Grad an Naturnähe auf; sie ist als Kulturlandschaft und mit einer langen Tradition als Wander- und Felsklettergebiet seit Jahrhunderten siedlungs- und verkehrsmäßig erschlossen.

Noch gravierender ist jedoch das unter „Grad der Naturnähe“ definierte Kriterium: Nationalparke weisen auf dem überwiegenden Teil der Fläche Ökosysteme mit einem hohen Naturnähegrad auf. Diese Ökosysteme verfügen über eine für den Standort typische natürliche Artenzusammensetzung und Artenvielfalt. (Hervorhebung durch den Verf. SK)

Da bereits 1990 die Fichte als „nicht standortgerechte Art“ in der Sächsischen Schweiz die dominierende Baumart war, hätte der Status „Nationalpark“ m.E. bereits aus diesem Grund niemals vergeben werden dürfen. Eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft auf Biegen und Brechen in „reine, unberührte Natur“ zurückverwandeln zu wollen, ist ohnehin eine Illusion und ein frommer Wunsch. Man gibt übrigens dem Ganzen auch noch einen wohlklingenden Namen: „Entwicklungsnationalpark“.

In der Broschüre „Pflege- und Entwicklungsplanung im Nationalpark Sächsische Schweiz“ (PDF zum Download) kann man auf Seite 11 nachlesen: Gegenwärtig wird der NLP in großen Teilen von der Hauptbaumart Fichte geprägt (Kapitel 4 Waldzustand), die auf den meisten Standorten nicht zur natürlichen Waldgesellschaft gehört. Nach der 2013 durchgeführten Stichprobeninventur (PSI II) wurden nur 18 % des Nationalparks als naturnah bzw. bedingt naturnah eingestuft. Deshalb wird der Nationalpark Sächsische Schweiz auch als „Entwicklungsnationalpark“ bezeichnet. In einem Überführungszeitraum wird die Waldentwicklung in der Entwicklungszone (Naturzone B) durch geeignete forstliche Maßnahmen in Richtung der natürlichen Waldgesellschaften gelenkt (s. 3.4). Sollte sich der Wald nach Überführung in den Prozessschutz nicht nach dem Modell der potenziell natürlichen Waldgesellschaften entwickeln, wird nach dem Prinzip „Natur Natur sein lassen“ trotzdem nicht mehr mit forstlichen Maßnahmen eingegriffen. (Hervorhebung durch den Verf. SK)

„Naturpark“ statt „Nationalpark“

Einen „hohen Grad an Naturnähe“ weisen natürlich viele nahezu unberührte Felsriffe und Schlüchte der Sächsischen Schweiz auf. Deren konsequenten Natur- und Artenschutz könnte man allerdings hier mit der Gebietsschutzkategorie „Naturpark“ statt „Nationalpark“ viel eher gewährleisten, insbesondere da die Region dann nicht mehr den Entscheidungen einer von der Landesregierung eingesetzten Verwaltung unterläge, sondern direkt von den Akteuren und Bewohnern der Region gestaltet werden könnte. Nebenbei bemerkt: Selbst in der damaligen „DDR“ waren viele Gebiete der Sächsischen Schweiz strengen Natur- und Artenschutzrichtlinien unterworfen – und das, ohne irgendwelche „Wildnis“-Ziele zu verfolgen.

Auf der Website des Vereins Nationale Naturlandschaften heißt es: Naturparke sind Regionen, in denen sich Mensch und Natur erholen können. Sie bewahren und entwickeln Landschaft und Natur und unterstützen einen naturverträglichen Tourismus. Sie fördern eine nachhaltige Regionalentwicklung und tragen dazu bei, die Ansprüche der Menschen an ihre Lebens- und Wirtschaftsräume mit den Anforderungen von Landschafts-, Natur- und Klimaschutz in Einklang zu bringen.

 

Artikel, die zu dieser Thematik bereits auf Achgut.com veröffentlicht wurden:

Sächsische Schweiz: Zerstörung heißt jetzt „Waldpflege“

Die Natur findet einen Weg? Manchmal muss mensch nachhelfen.

Der Wildnis ein Stück näher

Sächsische Schweiz: Bilder der Verwüstung

Waldbrandgefahr durch „Natur Natur sein lassen“

Neues vom Streit um den Nationalpark Sächsische Schweiz

Sächsische Schweiz: Der Nationalpark-Frevel

Brände in der Sächsischen und Böhmischen Schweiz

 

Stefan Klinkigt, Baujahr 1956, geboren und aufgewachsen in Sachsen, studierte damals Bauingenieurwesen (mit Abschluss als Dipl.-Ing.). Lebt nach 26 Jahren Rheinland seit 2015 wieder in Sachsen und arbeitet als bildender Künstler, Kommunikationsdesigner und Fotograf. Für Achgut als Autor, Lektor und Karikaturist tätig. Streift mehrmals in der Woche mit der Kamera in der Sächsischen Schweiz herum.

Foto: Stefan Klinkigt

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A. Ostrovsky / 30.06.2024

@Axel Gojowy : >>Warum begraben wir eigentlich unsere Toten? man könnte doch Natur Natur sein lassen und wer stirbt, bleibt einfach liegen. Schöne grüne Welt<< ## Jetzt haben Sie es erkannt. Unbewusst sicher. Vor sechzig Millionen Jahren gab es eine Hochkultur. Intelligente Bäume. Einer war weiblich und hieß Linda oder so. Der sang das Lied “Mein Freund der Baum ist tot. Er starb im frühen Morgenrot.” Und ab dann haben die alle toten Bäume vergraben. Immerhin ist das kulturvoller, als bei uns heute. Wir machen Hackschnitzel daraus. Banausen! Oder Bretter. Gehts noch! Und die vergrabenen Bäume auf den größten Baumfriedhöfen von damals gerieten dann unter Luftabschluss in “Inkohlung”. Das war sicher schmerzhaft und wir sollten darüber nicht spotten. Naja, die wurden erst braun und dann schwarz. Ich glaube die Schwarzen waren sogar noch ein Äon früher. Ja, so war das und dann hat man uns in der Schule diesen Quatsch erzählt. Überlegen Sie mal selbst: Wie wahrscheinlich ist es, dass alle abgestorbenen Bäume alle zusammen an eine Stelle im Flachland gelangen, durch natürliche Prozesse, dort dann mehrere hundert Meter unter der Erde dann alle zusammen zu einem Kohleflöz werden, das mehrere zig Meter dick ist, mehrere Kilometer lang und einen Kilometer breit? Und das besteht dann fast zu 100% aus gestorbenen Bäumen…... Glauben Sie wirklich, selbst ohne den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik in seiner statistischen Definition der Informations-Entropie zu kennen, dass sowas ohne intelligenten, ordnenden Willen möglich ist? Und dann auch noch vor Millionen Jahren, wo wir doch alle wissen, dass Gott die Welt erst vor 6000 Jahren erschaffen hat? Und jetzt finden die sogar ganze Galaxien, die älter sind! Wer glaubt denn sowas?

Axel Gojowy / 30.06.2024

Warum begraben wir eigentlich unsere Toten? man könnte doch Natur Natur sein lassen und wer stirbt, bleibt einfach liegen. Schöne grüne Welt

M. Grau / 30.06.2024

Eindeutig – der Chinese war’s! Bäume stehen seinen Plänen, aus Europa einen Parkplatz zu machen, nur im Wege. Sobald der Industriestandort EU sich selbst zerlegt hat, gießt der Chinese zwanzig Meter Beton über den ganzen Kontinent und parkt dort seine Elektroautos solange, bis sie irgendjemand kaufen will.

Dirk Kern / 30.06.2024

Im Vergleich zu den inzwischen landesweit auf Wunsch grüner Stadtbewohner unsere schönen Landschaften verwüstenden Windmühlen ist das traurige Schicksal der sächsischen Schweiz zwar tragisch, aber eben auch nur ein Fall von vielen. Ein gesamtes Land wird inzwischen durch Renaturierung zerstört. Das ist sogar den großen Vorsitzenden Mao und Pol Pot damals nicht gelungen.

J. Mueller / 30.06.2024

In dem Kontext: Was ist eigentlich aus den »Neubürgern« geworden, die mit ihrem Shisha-Abenteuer einen der grössten Waldbrände in Deutschland verursacht haben? Wurden die wieder von einem Haltungsrichter nach Hause geschickt?

J. Braun / 30.06.2024

Ich verstehe die Aufgeregtheit des Autors überhaupt nicht, sein Aufmacherbild sieht—ohne Übertreibung—aus wie eine durchschnittliche vogesische Fichtenplantage.

Winston Schmitt / 30.06.2024

Grüne und Naturpark. Hauptsache Borkenkäfer freundlich und am liebsten versifft wie die Küche in einer linken Wohngemeinschaft oder “volksnah” wie Graffiti beschmierte Hauswände und Züge. Gepflegte Wanderwege und das Entfernen von zu viel Totholz zur Brandvermeidung ist wohl eher räääächts und daher abzulehnen. Zu ordentlich, igitt.

G. Kramler / 30.06.2024

Die Natur ist offenbar nicht natürlich genug, also muss man ein bisschen anschieben.

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