Helmut Ortner, Gastautor / 04.04.2024 / 12:00 / 73 / Seite ausdrucken

Todesstrafe:  Die Suche nach der „humanen Hinrichtung“

In den USA sind 2024 bereits drei Todesurteile vollstreckt worden. Neben der Giftspritze wurde erstmals auch mit Stickstoff getötet. Es ist die aktuelle „Innovation“, Exekutionen „humaner“ zu gestalten. Ist nicht jede Todesstrafe unmenschlich?

Vor wenigen Wochen, am 20. März 2024, wurde im US-Bundesstaat Georgia Willie Pye hingerichtet. Er hatte sich mehr als 25 Jahre lang im Todestrakt befunden. Der 58-Jährige war für einen 1992 im Alter von 27 Jahren begangenen Mord zum Tode verurteilt worden.  Im Jahr 2021 hob ein Bundesgericht das Todesurteil auf, weil Pyes Anwälte es versäumt hatten, Beweismaterial für dessen deutlich unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten und seine traumatische Kindheit zu recherchieren und vorzulegen. Seine Rechtsbeistände hatten zwar geltend gemacht, dass er geistig stark eingeschränkt sei, womit seine Hinrichtung verfassungswidrig wäre. Doch aufgrund der in Georgia geltenden Vorschrift, dies „zweifelsfrei" beweisen zu müssen, wurde sein Todesurteil aufrechterhalten. Dies, obwohl sich drei der Geschworenen für eine Begnadigung aussprachen. Am 19. März wurden die letzten Rechtsmittel zurückgewiesen – danach die Todesstrafe vollstreckt. Es war die dritte Hinrichtung in den USA im Jahr 2024.

Schon zu Beginn des Jahres, am 26. Januar, war im US-Bundesstaat Alabama der Auftragsmörder Kenneth Eugene Smith durch Gerichtsbeschluss vom Leben in den Tod befördert worden. Erstmals war dabei eine Stickstoff-Methode zum Sauerstoffentzug zur Anwendung gekommen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft dauerte es 29 lange Minuten, bis Smith tot war. Er war der erste Mensch, der mit Stickstoff hingerichtet wurde. Der anwesende Pfarrer sprach danach von einer Tortur.

Bereits 2022 hatten die Strafbehörden versucht, Smith durch eine tödliche Injektion hinzurichten, doch dieser Versuch schlug fehl. Nun also wurde die neue Stickstoff-Methode gewählt – oder deutlicher: die Exekution durch Ersticken. Stickstoff – das chemische Element mit dem Symbol N – war bisher nicht zur Vollstreckung eines Todesurteils verwendet worden. Die Methode sieht vor, dass der Kandidat puren Stickstoff einatmet, was zunächst zur Bewusstlosigkeit führt. Der Tod tritt schließlich durch eine Unterversorgung mit Sauerstoff ein. Der Delinquent erstickt.

Exekutionsmethoden aus der Vergangenheit

Befürwortern zufolge ist diese „Stickstoffhypoxie“ genannte Variante schmerzfrei. Alabama hatte wie die beiden US-Bundesstaaten Mississippi und Oklahoma bereits im Jahr 2018 entschieden, Stickstoff für Hinrichtungen zuzulassen. Nun hatte der dortige Oberste Gerichtshof dies endgültig bestätigt, auch mit dem Hinweis, dass die Hinrichtung durch Stickstoff nicht gegen den Verfassungsgrundsatz verstößt. Die Entscheidung hatte in den USA zu heftigen „ethischen Debatten“ geführt – nicht nur über die Stickstoff-Hinrichtung, sondern – wieder einmal – über die Todesstrafe generell. Wie „human“ muss es zugehen, wenn der Staat „im Namen der Gerechtigkeit” tötet?

Auf der Suche nach alternativen Hinrichtungs-Methoden wurde selbst auf Exekutions-Praktiken der Vergangenheit zurückgegriffen, wie den elektrischen Stuhl (2020 in Tennessee), ebenso wurde die mögliche Einsetzung der Gaskammer (zuletzt 1999 in Arizona), der Tod durch Erhängen (1996 in Delaware) oder das Erschießen (2010 in Utah) in Erwägung gezogen. Dies hatte zu juristischen Kontroversen geführt und geplante Vollstreckungen anfechtbar gemacht. Zuletzt wurde aufgrund der zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen landesweit de facto nur noch mit der Todesspritze getötet.

So auch am 28. Februar. An diesem Tag starb Ivan Cantu im US-Bundesstaat Texas – 21 Minuten nach Setzen der Giftspritze. Mehr als zwei Jahrzehnte lang befand sich der wegen Mordes verurteilte 50-jährige Latino im Todestrakt. Menschenrechtsgruppen kritisierten, weder im ursprünglichen Prozess noch im Berufungsverfahren sei er wirksam vertreten worden. Cantu hatte stets seine Unschuld beteuert, für die er zum Tode verurteilt worden war. Am 27. Februar 2024 wies das texanische Berufungsgericht schließlich eine letzte Eingabe der Rechtsbeistände von Cantu ab, mit der sie versuchten, die Hinrichtung zu verhindern und dem Gericht neue Beweise vorzulegen. In der Eingabe wurde geltend gemacht, dass die Staatsanwaltschaft vor Gericht „falsche und irreführende Aussagen gemacht habe und die Verteidigung ihren Mandanten im damaligen Gerichtsverfahren nicht wirksam vertreten habe.

Texas ist Hinrichtungs-Spitzenreiter

Das Gericht entschied nach Prüfung des Antrags, „dass der Antragsteller die Anforderungen des [texanischen Rechts] nicht erfüllt habe und es daher „den Antrag abweist, ohne die Begründetheit der Einwände zu prüfen". Auch der Begnadigungsausschuss sprach sich einstimmig gegen eine Begnadigungsempfehlung aus und lehnte auch die von den Rechtsbeiständen beantragte Aussetzung der Hinrichtung für 120 Tage ab. Zu denjenigen, die an den Gouverneur appellierten, einen Aufschub zu gewähren, gehörte auch der Sprecher der Geschworenen aus der Verhandlung im Jahr 2001, in der das Todesurteil gefällt wurde. In einer Stellungnahme ließ er verlauten, dass er sich ebenfalls „getäuschtfühle, da sich nun herausgestellt habe, dass wichtige Zeugenaussagen damals falsch oder irreführend waren. Er forderte den Gouverneur auf, „mir das von mir unterzeichnete Dokument zurückzugeben, mit dem ich damals die Entscheidung der Jury bestätigte, und die Hinrichtung auszusetzen, damit die Sachlage näher geprüft werden kann. Ivan Cantu wurde dennoch hingerichtet – mit einer Giftspritze..  

Texas ist Hinrichtungs-Spitzenreiter der USA. Seit 1976 wurden 586 Todestrafen vollstreckt. Der Tod durch eine Giftspritze gilt als „humane“, weil „sanfte“ Hinrichtungsart. Nicht allein in dem südlichen Bundesstaat. Doch es gibt ein Problem: viele Pharmakonzerne wollen nicht mehr, dass der Staat mit ihren Medikamente Menschen tötet. Die EU hatte bereits 2011 ein Exportverbot verhängt. Nach der Weigerung vieler europäischer und amerikanischer Pharmaunternehmen, Medikamente wie die Barbiturate Pentobarbital und Thiopental für Hinrichtungen herzustellen, suchen deshalb viele Bundesstaaten seit Jahren nach Alternativen.

Ob Giftspritze oder Stickstoff – die Suche nach der „humanen Hinrichtung“ ist paradox, denn immer geht es darum, Menschen das Leben zu nehmen. Sämtliche bekannten Argumente für die Todesstrafe sind durch die Praxis widerlegt: Weder wirkt die Drohung mit dem gewaltsamen Ende des eigenen Lebens besonders abschreckend, noch befriedigt sie die Hinterbliebenen der Opfer nachhaltig. Bislang sind im Jahr 2024 in den USA drei Menschen hingerichtet worden. Die Gesamtzahl der Hinrichtungen in den USA seit der Wiederaufnahme von Hinrichtungen im Jahr 1976 steigt damit auf 1.588.

Die Suche nach „humanen“ Hinrichtungs-Methoden geht weiter

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wendet sich – nicht nur in den USA, sondern weltweit und ausnahmslos – gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere und der Umstände einer Tat, der Schuld, Unschuld oder besonderer Eigenschaften des Verurteilten oder der vom Staat gewählten Hinrichtungsmethode. Die Todesstrafe verletzt das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben und stellt die grausamste und unmenschlichste aller Strafen dar.

Deshalb gehört sie geächtet und abgeschafft, nicht nur in den USA, vor allem in den Ländern, die weltweit für die meisten Hinrichtungen verantwortlich sind: China, Iran, Saudi-Arabien, Nordkorea und Vietnam. Im Dezember 2022 unterstützte bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine noch nie dagewesene Anzahl von 125 UN-Mitgliedstaaten eine Resolution, die die Einführung eines weltweiten Hinrichtungsmoratoriums mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung der Todesstrafe fordert.

Und in den USA? Laut einer Umfrage im Oktober 2023 (Veröffentlicht von Statista Research Department, 12.01.2024) waren 53 Prozent der befragten US-Amerikaner für die Todesstrafe für verurteilte Mörder. Allerdings ist die Zustimmung in den letzten Jahren tendenziell gesunken. Im Jahr 2007 sprachen sich noch 69 Prozent der Befragten für die Todesstrafe aus. Die Suche nach „humanen“ Hinrichtungs-Methoden geht weiter.

Helmut Ortner hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht. Zuletzt erschienen: „Widerstreit: Über Macht, Wahn und Widerstand“ und „Volk im Wahn – Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit“. Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt.

Buch-Hinweis:

Helmut Ortner OHNE GNADE – Eine Geschichte der Todesstrafe, Mit einem Nachwort von Bundesrichter a. D., Prof. Dr. Thomas Fischer, Nomen Verlag, 240 Seiten, 22 Euro

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Leserpost

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Susanne Gaede / 04.04.2024

Die vergangenen 3 Jahre haben meine Einstellung zur Todesstrafe verändert, eine abschreckende Wirkung erwarte ich nicht. Ich bin einfacher gestrickt: es gibt “Menschen”, die haben das Recht zu leben verwirkt.

dina weis / 04.04.2024

Die Todesstrafe ist grausam, Krieg ist grausam, Mörder die bestialisch foltern sind grausam, Menschen die aus religiösen Gründen töten sind grausam, Menschen, die andere erniedrigen sind grausam , Zwangsimpfungen sind grausam, Menschen die Tiere quälen und Versuche an ihnen machen sind grausam….der Mensch ist grausam ! “Von allen Tieren ist der Mensch das Einzige, das grausam ist. Keines außer ihm fügt anderen Schmerz zum eigenen Vergnügen zu.“ - Mark Twain.

Paul Franklin / 04.04.2024

Interessanterweise argumentieren Gegner der Todesstrafe oft für Abtreibungen, und andersherum.

D. Schmidt / 04.04.2024

Welchen Effekt soll eine Todesstrafe haben? Also abschreckend auf andere Täter wirkt sie nicht. Habe noch kein Land der Welt gesehen, dass dies jemanden davon abhalten würde, selbst Straftaten zu verüben. Quasi Null Effekt, obwohl es doch abschrecken sollte. Dann jemandem nach vielen Jahren Knast zu erklären, dass er in zwei Tagen hingerichtet, macht Tote auch nicht mehr lebendig. Wenn jemand auf frischer Tat ertappt wird und dann tödlich auf den Täter geschossen würde, könnte ich mir maximal als Rechtfertigung vorstellen. Alles andere hat etwas von Herr über Leben und Tod spielen. Und bei manchen Entscheidungen auf diesem Planeten, man denke da z.B. so an China oder Iran, kommen mir die Richter und Henker nicht besser vor als die Täter. Vor allem wenn es aus unserer Sicht banale Taten waren.

F. Auerbacher / 04.04.2024

Ich will mich in die Debatte über Vertretbarkeit der Todasstrafe nicht einmischen, aber zur “technischen Seite” fällt mir spontan ein, dass jedes Jahr mehrere Menschen z.B. in ihrer Datsche durch Kohlenmonoxid ums Leben kommen. Diese hatten meist abenteuerliche Öfen in Betrieb und sind dann sanft verstorben. Als die Autos noch keinen Katalysator hatten, welcher das Kohlenstoffmonoxid weiter oxidiert, war Selbstmord durch Abgase eine beliebte Methode. Das klingt ganz nach einem schmerzfreien Ende.

Sirius Bellt / 04.04.2024

Ich war mir vor vielen Jahrzehnten als 15-jähriger bei vielen politischen Themen sehr unsicher, wie ich sie bewerten sollte. Aber in einer Sache war ich damals schon zu 100 Prozent sicher. Das ich immer ein Gegner der Todesstrafe sein würde. Bis zu meinem letzten Atemzug.

J. Mueller / 04.04.2024

Viele Kommentare hier mit »Was wenn Fehlurteil, etc.«. Nein, wenn die Tat eindeutig vom Täter begangen wurde (z.B. tödliche Messerattacke wie im Zug in SH), dann Todesstrafe innerhalb von 4 Wochen vollziehen. Nicht wie in den USA jahrelang warten.

Rolf Wächter / 04.04.2024

Eigentlich ist mir das Thema egal, ich entscheide keine Gesetze oder rechtliche Sachen. Aber eben lese ich auf Achgut den Artikel “Syrer sticht in BaWü-Supermarkt auf Mädchen (4) ein”. Das Mädchen hat durch Notoperation überlebt.Trotzdem wäre für diesen Täter die Todesstrafe angebracht. Hier gibt es kein Fehlurteil, der Täter ist vor Ort der Tat überführt worden. Ebenso sollte es Todesstrafe für überführte Terroristen geben.

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