Ich weiß, Vorhersagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Ist mir egal. Am 14. Oktober werden wir mehr wissen. Oder auch nicht. Denn gleich danach wird die Fragerei losgehen: Wer ist schuld am miserablen Abschneiden der CSU bei den Landtagswahlen? Der arme Markus Söder, der als protestantischer Franke versucht, ein fröhlich katholisches, oberbayerisch geprägtes Land der reichen Lebensgenießer zu regieren? Die Umfragen behaupten das. Oder der flatterhafte Horst Seehofer, der für die CSU die absolute Mehrheit zurückerobert hat, sich dann aber an der statuenhaft unerschütterlichen Angela Merkel nach wildem Anlauf eine blutige Nase und zwei blaue Augen geholt hat? Auch das behaupten die Umfragen.
Meine persönliche Umfrage unter nicht repräsentativen Nachbarn und Freunden legt etwas anderes nahe: Den Hauptanteil an der bevorstehenden bayerischen CSU-Pleite wird wieder mal die statuenhaft unerschütterlich in Berlin residierende Angela Merkel haben. Ihre Politik ist der Fluch der CSU. Dem Freistaat droht eine Wiederholung der Bundestagswahl, bei der die Berliner den Bayern ja schon einmal gezeigt haben, wie man Wahlen verliert.
Die Wiederholung der Geschichte wird fortgesetzt, wenn der arme Markus Söder dann – wie die unerschütterliche Angela Merkel – eine Koalition bilden muss. Eine sogenannte große Koalition wie in Berlin? Das würde eine sehr kleine Große. Möglich nur, weil die CSU trotz Schrumpfkur immer noch stärker bleibt als die nördliche Schwester. Die Sozialdemokraten in Bayern stehen, sieht man von den beiden größten Städten des Freistaats ab, so bescheiden da, dass sie gegen die Einstelligkeit ankämpfen. Problematischer ist, dass Bayerns SPD eine Prinzipienstrenge pflegt, wie sie nur in der Diaspora und in der Exklusivität gedeihen. Eine harte Nuss für den Pragmatiker Söder. Aber was macht man nicht alles, um zu regieren.
Etwa schwarzgrün in Bayern? Da hätte Söder in Prozenten zwar etwas mehr Luft. Aber während Angela Merkel von einem schwarzgrünen Projekt träumt, wäre so eine Konstellation für den Mittelfranken eher ein Alptraum. Er ist nun mal kein lady's man, und die Grünen sind eine Damen-Partei. Wichtiger ist wohl, dass die politischen Schnittstellen von Schwarz und Grün in Bayern gertenschlank sind. Aber was macht man nicht alles, um zu regieren.
Kann man zu dritt so hauchdünn regieren?
Das könnte man auch, wenn man sich traut, über die AfD sagen. Rechnerisch käme sie ebenso in Frage wie die Grünen. Aber was (noch) nicht geht, das geht eben nicht. So kann man dann eben doch (noch) nicht regieren.
Die politisch bequemere Lösung sähe anders aus. Denn da sind ja noch die schmalbrüstigen Freien Wähler als unzufriedene Bürgerliche, und die knapp über der Fünf-Prozent-Hürde schwebenden Liberalen. Zwei so magere Partner wären Söder sicher nicht unwillkommen. Und abgesehen vom Kampfgewicht hätte man inhaltlich doch mehr gemein als in den anderen Kombinationen. Aber kann man zu dritt so hauchdünn regieren?
Ob er in Bayern kommt oder nicht: Der flotte Dreier winkt und lockt. Auch als Vorschau auf die noch etwas entferntere Bundestagswahl. Schließlich nähert sich die Bundes-SPD dem esoterischen Gefilde der Bayern-SPD an. Und die CDU hat sich viel radikaler verschlankt als die bayerische Schwester. Ob die zwei es allein noch mal packen können, steht in den Sternen. Ob sie wollen, sowieso. Wahrscheinlicher ist, dass zwei andere ins Boot müssen. Der flotte Dreier ist auf dem Weg, Deutschlands Zukunft zu werden. Das gilt auch dann, wenn es drei Zwerge schaffen sollten, sich rotgrünrot gegen die Schwarzen zusammenzuraufen. Dreier ist Dreier.
Er wäre ja bundespolitisch fast schon Gegenwart geworden, hätte Angela Merkel, die sonst so clever taktiert, nicht so inbrünstig mit den Grünen geflirtet, dass die Liberalen entsetzt dem Schicksal entflohen, in diesem Bunde nur das dritte, störende Rad am schwarzgrünen Tandem zu sein. In fünf Bundesländern haben wir ihn ja schon, den flotten Dreier, und zwar in allen möglichen Varianten. Schwarzgrüngelb (Schleswig-Holstein), rotgrüngelb, (Rheinland-Pfalz) schwarzrotgrün (Sachsen-Anhalt), rotgründunkelrot (Berlin und Thüringen) – da sage noch einer, wir seien keine bunte Nation.
Vielleicht regt sich links sogar neues Leben
Die Farbenfreude verdanken wir natürlich den unfreiwilligen Abmagerungskuren der beiden traditionellen Platzhirsche, die sich so lange in der Mitte der großen Masse des Volkes eingerichtet hatten. Inzwischen knabbern die Konkurrenten mit den deutlicheren Konturen unverfroren an ihren Revieren herum. Während von links schon seit langem und heftig in die SPD hineingebissen wird, geht es inzwischen auch von rechts den Unionsparteien an die Fettpölsterchen.
Ob die AfD den konservativen Erbhöfen auf Dauer so sehr zusetzen kann, wie die linken Beißer der SPD, wird man sehen. Weh tut es auf jeden Fall. Und dass die AfD noch tief in der Schmuddelecke steckt, hilft nicht viel und muss auch nicht auf ewig so sein. Die Grünen haben ihre Karriere als Steine werfende Schmuddelkinder begonnen und haben sich dann als erste Wahl mittelständischer Gattinnen etabliert und sich selbst zum Maßstab des Wahren, Guten und Edlen befördert. Die Linken, die wegen ihres DDR-Gepäcks westlich der Demarkationslinie im Zustand des Schmuddelkindes verharren, leben auch ohne große Reinwaschung munter weiter. Vielleicht regt sich links sogar neues Leben, wenn Sahra Wagenknechts „Bewegung“ (ein unglückliches Wort in Deutschland) tatsächlich etwas in Bewegung setzen sollte.
Kurz und gut: Die früher so breite Mitte ist dahin, stattdessen gibt es viele schmalere Parzellen. Die Leute treten heute nun mal sehr viel stärker als Zielgruppen auf und schwimmen nicht mehr so gerne in großen Einheits-Teichen. Das ist Schicksal. Aber ebenso entscheidend ist die selber eingebrockte Suppe. Die politischen Großdarsteller von einst haben sich so weit von ihrem Publikum entfernt, dass kaum noch Kommunikation stattfindet. Und wer das Publikum nicht erreicht, der spielt bald vor halbleerem Haus. So simpel ist das.
Kommt plötzlich doch jemand aus der Kulisse?
So kommt es, dass selbst im stockstabilen Deutschland etwas ins Wanken gerät, was in unseren Nachbarländern bereits zu politischen Erdbeben geführt hat: die klassische Parteien-Tektonik. Fünf-Sterne in Italien als Gründung eines populären Komikers an der Regierung. In Frankreich ein Präsident, der einfach das existierende Parteiengefüge ignoriert hat. In Österreich ein Beinahe-Teenager, der mit jugendlicher Deutlichkeit spricht und handelt und die politischen Abschleifungen des Alters noch nicht aufweist. Und so weiter, und so fort.
Wie ansteckend sind die Umwälzungen in der Nachbarschaft? Die Bayern-Wahl wird einen Vorgeschmack auf künftige Entwicklungen bieten. Im Freistaat entstehen interessanterweise links und rechts von der CSU zwei ungefähr gleich starke Türme mit zur Zeit jeweils rund 15 Prozent. (Wovon die SPD dort träumt.) Die böse „Alternative“ und die lieben Grünen gewinnen gleichermaßen an Kraft und klemmen den Mann in der Mitte ein.
Das alles ist noch vergleichsweise harmlos. Es ist nicht mehr als der bereits beschriebene Trend zum etwas wackligeren Dreier anstelle das stabileren Zweiers oder gar des in Bayern üblichen Einers. Ob wir uns hierzulande auf Erdbeben wie bei unseren Nachbarn gefasst machen sollten, ist die große Frage. Wir haben keinen feschen und frechen Jungmann namens Kurz. Wir haben keinen kühnen Charismatiker namens Macron. Und wir haben keinen Polit-Komiker namens Grillo. Wir haben Angela Merkel, das Frau gewordene Stabilitätsstandbild.
Oder kommt plötzlich doch jemand aus der Kulisse? Als Helmut Kohl, das Mann gewordene Stabilitäts-Standbild seiner Epoche, immer mehr Risse bekam, tauchte ein „Mädle“ namens Angela Merkel aus seinem Schatten hervor und gab ihm den überfälligen Schubs. Wer ist das Mädle oder Büble, das sich heute bei Merkel traut, was die sich bei Kohl getraut hat? Und selbst wenn sich eine(r) traut: Wir sind von Hause aus kein Erdbebengebiet. Auch mit neuem Personal wird es vermutlich keine stärkere Erschütterung geben als den Trend zum flotten, aber instabilen Dreier.
Und was die möglichen personellen Erschütterungen angeht: Da wird Bayern wieder den Vorreiter spielen. Wer geht, wer bleibt, wer kommt nach der „Katastrophe“? Die Wetten in den privaten Plauderrunden sind eröffnet.