Volker Seitz / 26.06.2024 / 10:00 / Foto: Imago / 62 / Seite ausdrucken

Warum gibt es keine afrikanischen Fußball-Weltmeister?

In vielen Mannschaften bei der Europameisterschaft gibt es zahlreiche sehr erfolgreiche Spieler mit afrikanischen Wurzeln. Deshalb werde ich derzeit häufig gefragt, weshalb es noch keine afrikanische Auswahl geschafft hat, bei den bisherigen Weltmeisterschaften über das Viertelfinale hinauszukommen?

In vielen Mannschaften bei der aktuellen Europameisterschaft gibt es zahlreiche sehr erfolgreiche Spieler, deren Familien aus afrikanischen Ländern stammen.  Kylian Mbappé, Romelu Lukaku, Nico Williams oder Lamine Yamal.  Fast jeder kennt sie. Deshalb werde ich derzeit häufig gefragt, weshalb es noch keine afrikanische Auswahl geschafft hat, bei den bisherigen Weltmeisterschaften über das Viertelfinale hinauszukommen, obwohl es  phantastische Spieler, große Individualisten, eine überwältigende Mischung aus Dynamik, Spielfreude und massenhafte Begeisterung gibt.

Afrikaner geben ihren Nationalmannschaften gerne Kampfnamen. Nicht immer sind sie furchteinflößend, wie etwa in Benin und Burundi. Die Namen haben kulturgeschichtliche und mythologische Bedeutung und stammen meist aus dem Tierreich.

Beispiele: Benin: Les Ecureuls - Eichhörnchen; Burundi: Les Hirondelles - Die Schwalben; Côte d’Ivoire: Les Éléphants - Die Elefanten; Kamerun: Les Lions indomptables - Die unbezähmbaren Löwen; Madagaskar: Les Scorpions - Die Skorpione; Mosambik: Mambas; Nigeria: Super Eagles - Mächtige Adler.

Was könnten die Gründe sein?

Die afrikanischen Verbände stehen unter der Kuratel ihrer Regierungen. Der Dauerpräsident von Kamerun (seit 1982) Paul Biya mischt sich bis in die Mannschaftsaufstellungen ein. Fußball ist in Afrika auch immer Staatspolitik. Auf keinem anderen Kontinent werden Politiker beim Fußball so wichtig genommen und umgekehrt. Durch den Eingriff der Politik ist die Autonomie des Sports nicht gewahrt. 

Medizinische Betreuung wird immer wieder durch Zauberkraft ersetzt. Man vergräbt einen Fetisch auf dem Spielfeld, um böse Geister zu vertreiben. Die Trainer werden regelmäßig geheuert und gefeuert, wiederum in Kamerun auch auf Anweisung des Präsidenten. In Kamerun waren von 2000 bis heute 22 Trainer tätig, darunter drei Deutsche: Winfried Schäfer, Otto Pfister und Volker Finke.

Auch der Fußball ist keine korruptionsfreie Zone, im Gegenteil. So beklagen beispielsweise mir bekannte afrikanische Journalisten immer wieder die unverhohlenen Plünderungen der Verbandskassen und die persönliche Bereicherung durch die Spitze einiger Verbände. Das Geld, das durch die WM-Teilnahmen verdient wurde, wird nicht in die Sportinfrastruktur oder Jugendarbeit investiert.

Die Verbandsfunktionäre können oder wollen oft nicht planen und nicht organisieren, schon gar nicht langfristig. Der Mangel an Professionalität ist leider immer noch offenbar. Wer als Europäer in Afrika trainieren will, braucht Gelassenheit und er muss kämpfen. Der Begriff der positiven Motivation durch Funktionäre ist weitgehend unbekannt. Es fehlt an einem gezielten Aufbau von Breitensport und auch am Leistungssport orientierten Strukturen. Deshalb drängen seit Jahren talentierte Jugendliche nach Europa.

Fußball ist hochpolitisch

Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Migration afrikanischer Fußballspieler nach ganz Europa zugenommen. Kommerzialisierung und TV-Übertragung von wichtigen Spielen haben das Interesse am europäischen Fußball in Afrika geweckt. Lockerungen der Beschränkungen für ausländische Spieler im europäischen Profifußball (Bosman-Urteil = Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes von 1995) öffnete afrikanischen Spielern die Türen zum europäischen Fußball. Beim Afrika Cup im Januar/Februar 2024 fehlten z.B. den deutschen Vereinen insgesamt 20 Profis. (Weltweit spielen mittlerweile fast 2000 Afrikaner in Profiligen.)

Allerdings versuchen dunkle Gestalten mitzuverdienen. Tausende von afrikanischen Fußballtalenten werden von dubiosen Spielervermittlern unter Vernachlässigung von Schule und Ausbildung nach Europa gelockt. Aber die Traumkarriere eines Profis, der die Großfamilie ernähren kann, erfüllt sich äußerst selten. Hauptsache, die Vermittler verdienen mit. Wenn die Spieler scheitern, stehen sie vor dem Nichts. 

Zu meiner Zeit in Kamerun wurde Winfried Schäfer als Nationaltrainer von Kamerun entlassen. Die Besorgnisse bei der kamerunischen Regierung waren groß, dass dies die Beziehungen zwischen Kamerun und Deutschland trüben könnte. Unterschwellig gab es die Befürchtung, dass die reichlich fließende Entwicklungshilfe gekürzt werden könnte. Ich habe dem Generalsekretär des Präsidenten versichert, dass unsere Beziehungen durch eine sportpolitische  Entscheidung nicht beeinträchtigt würden. Der Vorfall zeigt aber, wie hochpolitisch in Afrika Fragen der Fußballnationalmannschaft sind. 

Notwendige Nachbemerkung: Die Entwicklungshilfe wurde übrigens auch nach Korruptionsvorwürfen nicht ausgesetzt. Stattdessen wurden Kamerun laut einer Mitteilung des Bundesfinanzministeriums vom 13. Juni 2024 Schulden in Höhe 1,4 Milliarden Euro erlassen. 

 

Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert".

Foto: Imago

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J. Mueller / 26.06.2024

Zitat: »Stattdessen wurden Kamerun laut einer Mitteilung des Bundesfinanzministeriums vom 13. Juni 2024 Schulden in Höhe 1,4 Milliarden Euro erlassen.« Toll, dafür steigen demnächst unsere Krankenkassenbeiträge wieder. Oder die Steuern. Oder die Renten werden gekürzt.

Horst Jungsbluth / 26.06.2024

Die meisten Gründe haben Sie, sehr geehrter Herr Seitz, in ihrem Beitrag genannt und sehr erstaunlich ist auch, dass die Politik nicht gelernt hat, sich da weitgehend herauszuhalten. Wir haben das bereits in der NS-Diktatur erlebt, als der größenwahnsinnige Hitler nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bestimmte, dass die Nationalmannschaft mit 6 Deutschen und 5 Österreichern zu besetzen ist, was vollkommen in die Hose ging, obwohl zuvor beide Nationalmannschaften sehr stark waren. Auch die DDR, in anderen Sportarten sicherlich auch mit “Hilfsmitteln” sehr erfolgreich, hat das mit dem Fussball nicht so geklappt, wie die SED es sich vorgestellt hat. Es ist sicherlich ein bisschen so wie mit der ernüchternden Entwicklung dieser afrikanischen Länder zu funktionierenden demokratischen Rechtsstaaten, die auch wirtschaftlich erfogreich sind. Und das trotz der enormen Bodenschätze und anderer Resourcen.

Burkhard Mundt / 26.06.2024

Fussball ist das Spiegelbild der Gesellschaft.

Thomas Schöffel / 26.06.2024

Vielleicht schicken wir mal von unseren speziellen Grün*innen-enden hin. Die entdecken garantiert irgendeine Benachteiligung, Diskriminierung oder sonstwas, an das wir Schuld sind. Bin ich müde auf einmal.

gerhard giesemann / 26.06.2024

Einfache Erklärung: Die spielen auf Ubuntu, d.h. keiner will erfolgreich sein, vulgo ein Tor schießen. Denn das bedeutet für ihn: Du musst wochenlang die weit verzweigte Verwandtschaft befeiern, bis du pleite bist. Aus demselben Grunde läuft auch oikonomisch nichts in Afrika. Nur die Gewaltherrscher können sich Truppen leisten, die ihr Geld aus Entwicklungshilfe schützen - vor Ubuntu. Alle andern können sich dem weder entziehen, noch sich davor schützen. Die Geberländer zahlen das. Usw.

Jörg Themlitz / 26.06.2024

“Es fehlt an einem gezielten Aufbau von Breitensport und auch am Leistungssport orientierten Strukturen.”, Völlig richtig. Dieser “gezielte Aufbau” fehlt in allen Lebensbereichen. Prof. Volkmar Weiss hat das in “Die Intelligenz und ihre Feinde: Aufstieg und Niedergang der Industriegesellschaft” (2012), Die Afrikaner sind genetisch nicht “dümmer” als die Europäer. Es gibt nur keine flächendeckenden, für jeden Afrikaner gerechten Auswahlverfahren. Darüber müssen sich die Afrikaner keine Gedanken mehr machen. Wie der Buchtitel sagt und wie wir täglich erleben, kommen wir den Afrikaner schnurstracks entgegen.

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