Seyran Ateş, Gastautor / 14.10.2011 / 21:31 / 0 / Seite ausdrucken

Ab heute bin ich nur noch Deutsche

Seyran Ates

Es gibt im Leben immer wieder Situationen, in denen man seine Position zu bestimmten Themen überdenken muss. Sofern man sich nicht einem Denkverbot unterworfen hat. So musste ich meine Position zum EU-Beitritt der Türkei revidieren, als die AKP an die Macht kam. Warum? Weil mich die AKP bisher noch nicht davon überzeugen konnte, dass sie es mit der Demokratie ernst meint. Vor allem hat die AKP einen anderen Blick auf die Menschenrechte als von einem EU Mitglied erwartet werden sollte. Bin ich gegenüber der Türkei strenger, als gegenüber anderen Beitrittsländern, in denen die Menschenrechte ebenso mit Füßen getreten werden? Bin ich nicht. Ich hätte bei den meisten neuen Mitgliedstaaten ein Veto eingelegt.

Nun stehe ich wieder vor einem Umdenkprozess. Die doppelte Staatsangehörigkeit, als Deutsche und Türkin, empfand ich bisher als Segen. Heute habe ich mich entschieden, die türkische Staatsangehörigkeit zurückzugeben. Es ist besser für mich, wenn ich nur Deutsche bin.  Zumindest auf dem Papier. Warum tue ich das, obwohl ich bisher mich stets für die doppelte Staatsangehörigkeit eingesetzt habe? Vor 4 Wochen wurde ich zu einer Konferenz muslimischer Frauen nach Istanbul eingeladen. Die Konferenz wird organisiert von WISE (Women in Islam for Spirituality and Equality). Heute, am 14.10., wäre ich mit zwei Personenschützern vom LKA nach Istanbul geflogen und am 18.10. wären wir wieder nach Berlin zurückgekehrt.

Wie vor zwei Jahren, im Juli 2009 in Kuala Lumpur, wäre ich eine von 200 muslimischen Frauen aus 55 Ländern, die sich über den Islam im Allgemeinen und die Rolle der Frauen im Besonderen austauschen wollten. Frauen aller Couleur, kulturell wie politisch. Eine Veranstaltung, die weltweit einmalig ist und besondere Begegnungen ermöglicht. 2009 habe ich zum Beispiel auf der Konferenz in Kuala Lumpur unter anderem Mahboubeh Abbazgholisadeh, eine Frau aus dem Iran kennengelernt, die ich später für den Phillip Palm Menschenrechtspreis vorgeschlagen habe. Sie hat 2010 den Preis erhalten und es war für sie eine wunderbare Ehrung ihrer langjährigen und harten Menschenrechtsarbeit im Iran.

Dieses mal hatte ich mir vorgenommen, mit den Frauen über den arabischen Frühling zu sprechen und nach einer Frau aus Ägypten zu suchen, die ich für den Menschenrechtspreis 2012 vorschlagen könnte. Eine Frau, die nicht zu den Muslimbrüdern gehört. Daraus wird nichts. Denn ich bin nicht nach Istanbul geflogen. Warum? Weil mir meine doppelte Staatsangehörigkeit zum Verhängnis wurde. Weil ich mich derart bedroht fühle, dass ich nicht ohne Schutz des Berliner LKAs in die Türkei fliegen möchte. Aber die Türken sagen berechtigterweise, dass ich eine türkische Staatsangehörige bin. Und für türkische Staatsangehörigen sind in der Türkei die Türken zuständig.

Sie haben das aber nicht gesagt, als das Berliner LKA vor Wochen die Einreise beantragt hat. Sie haben bis zum Morgen des 14.10. die deutschen Beamten in dem Glauben gelassen, dass alles in Ordnung sei. Es fehlte nur der der Waffenschein. Aber genau daran scheiterte die Reise. Die Türken haben den LKA Beamten keine Erlaubnis erteilt, mich bewaffnet zu begleiten.  Mich unbewaffnet zu begleiten, ist aus der Sicht des Berliner LKA unsinnig. Was ich nachvollziehen kann. Die Türken haben aber nicht gesagt, dass sie mich stattdessen begleiten würden. Aus deren Sicht bin ich eine Spinnerin, die sich wichtig tut.

Die ganze Wahrheit werden wir wohl nicht erfahren. Fakt ist, wenn ich nur Deutsche wäre, wäre ich heute am Bosporus und würde mich mit 200 Musliminnen über unsere Zukunft als Musliminnen unterhalten. Stattdessen sitze ich bei meinem Stamm-Italiener, der von zwei türkisch-kurdischen Männern geführt wird, und trinke ein Bier auf die Damen in Istanbul. Ich habe schon die Passbilder machen lassen und werde gleich an Montag zum türkischen Konsulat gehen. Bin gespannt, wie lange die Türken brauchen werden, um mich auszubürgern. So trage ich meine doppelte Staatsangehörigkeit zu Grabe.

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