Henryk M. Broder / 17.12.2009 / 06:20 / 0 / Seite ausdrucken

Antisemitismus und Islamophobie

In einer Diskussion zum Ausgang der Minarett-Initiative in der Schweiz wurde ich gefragt, wie ich reagieren würde, wenn in Deutschland der Bau von Synagogen durch eine Volksbefragung nach Schweizer Vorbild verboten würde. Es war eine sehr deutsche Frage, die Deutschen neigen dazu, aus einem speziellen Fall ein allgemeines Problem zu machen. Fährt zum Beispiel ein Rollstuhlfahrer an einer Warteschlange vorbei zur Kasse, tönt es ihm entgegen: «Wenn das alle machen würden?» Als ein Polizeibeamter einem Kidnapper mit physischer Gewalt drohte, um das Leben des entführten Kindes zu retten, hiess es sofort, damit werde das Folterverbot ausser Kraft gesetzt.

Dieses im Sinn, antwortete ich, ich könnte mich an keinen Fall erinnern, da sich jüdische Terroristen in einer Synagoge getroffen hätten, um eine Flugzeugentführung bzw. einen Anschlag auf ein Hochhaus zu planen, weswegen es extrem unwahrscheinlich wäre, dass sich Deutsche ohne Migrationshintergrund über den Bau einer Synagoge solche Gedanken machen würden wie über den Bau einer Moschee. Im Übrigen sei es auch in der Schweiz nicht verboten, Moscheen zu bauen, die Bauherren müssten nur auf Minarette verzichten.

Im Hintergrund solcher Fragen gärt ein Argument, das täglich an Beliebtheit zunimmt. Die Muslime seien die Juden von heute, die «Islamophobie» sei der Antisemitismus des 21. Jahrhunderts. Nun kann man grundsätzlich alles mit allem vergleichen: einen Wasserrohrbruch mit einem Tsunami, eine Hühnerfarm mit einem KZ und den libyschen Staatschef mit einer beleidigten Leberwurst. Deswegen haben die «Vorurteilsforscher», allen voran das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung, die «Islamophobie» als Forschungsgegenstand entdeckt und setzen sie fröhlich in Relation zum Antisemitismus, wobei sie treuherzig versichern, vergleichen bedeute nicht gleichstellen.

Nein, das bedeutet es nicht. Es bedeutet nur, dass man relativiert, den einen Gegenstand auf- und den anderen abwertet. Das in den achtziger Jahren sehr beliebte Wort «Konsumterror» meinte natürlich nicht, dass man mit vorgehaltener Waffe zum Einkaufen und Konsumieren genötigt wurde. Aber es stellte eine Verbindung her zwischen den Gewalttaten der RAF und den Anreizen der Werbung, denen man sich leichter verweigern konnte als einer Geiselnahme durch ein RAF-Kommando.

So verhält es sich auch mit Antisemitismus und «Islamophobie». Der Antisemitismus wird ab-, die «Islamophobie» aufgewertet. Der Antisemitismus ist ein «Gerücht über die Juden» (Stephen Eric Bronner), das sich im Laufe von 2000 Jahren selbständig gemacht hat. Das ist der Vorwurf des Gottesmordes, das sind die Ritualmordlegenden und Verschwörungstheorien, die «Protokolle der Weisen von Zion» und die Pogrome im zaristischen Russland; das sind Thomas von Aquin, Martin Luther und Henry Ford. Das sind die Dreyfus-Affäre in Frankreich und die Möllemann-Affäre in Deutschland. Das sind Nazis, die in den dreissiger Jahren «Juden raus nach Palästina» gerufen haben, und das sind Antiimperialisten, die heute «Zionisten raus aus Palästina» schreien. Der Antisemit reagiert nicht auf das Verhalten der Juden, er regt sich nur darüber auf, dass es Juden gibt.

«Islamophobie» dagegen ist kein Vorurteil und kein Ressentiment, es ist die Angst vor dem Islam, die so begründet ist wie die Angst vor Naturkatastrophen, nicht unbedingt durch eigene Erfahrung, aber durch den Augenschein. Es sind die Bilder von 9/11, von Madrid, London, Bali und Djerba. Es sind die Reden von Ajatollah Chomeini und die Auftritte von Machmud Achmadinedschad, die Programme der Hamas, der Hisbollah und der Muslimbruderschaft, die Videos der Selbstmordattentäter, die Steinigung von Frauen und das Aufhängen von Homosexuellen. Es ist die Fatwa gegen Salman Rushdie, und es sind die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen, es ist die Behauptung, Islam bedeute «Frieden» und Dschihad «innere Anstrengung», während Islamisten und Dschihadisten das Gegenteil bezeugen.

«Islamophobie» hat also mit Empirie zu tun. Dabei spielt es keine Rolle, dass nur eine Minderheit der Muslime den Islam in Verruf bringt, solange die friedliche Mehrheit nicht imstande ist, die Minderheit zu bändigen, weil sie vor den Folgen einer Auseinandersetzung Angst hat.
Auch das ist praktizierte Islamophobie.

Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 51/09

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