Georg Etscheit / 07.04.2024 / 13:00 / Foto: Pimpinellus / 42 / Seite ausdrucken

Cancel-Cuisine: Ein Braten ist mehr als ein Faserklumpen

Kürzlich erschien auf Achgut.com ein Beitrag über die Versorgung der Menschheit mit künstlichem Fleisch und künstlicher Milch. Wollen wir das wirklich? Ich will es nicht und habe gute Gründe. Eine Gegenrede.

Auf der Rückreise von einem Urlaub in der Provence hatten wir unlängst in dem Chateau französischer Freunde an der Rhone Station gemacht, schräg gegenüber einem Atomkraftwerk, das die Wärmepumpe des Patrons zuverlässig mit billigem Strom versorgt. Die Hausherrin, eine passionierte Köchin, servierte uns zum Mittagessen - in Frankreich ist das „dejeuner“ immer noch die wichtigste Mahlzeit des Tages - einen nachösterlichen Lammbraten, ein wunderbar saftiges, zartes und aromatisches Stück Fleisch, drei Stunden im schweren Le Creuset-Bräter zusammen mit Kastanien und Knoblauch in der Schale gegart. Dazu ein mit Comté-Käse überbackenes Kürbisgratin und frisches Stangenbrot. Ein Gericht aus der Ardèche, französische Hausmannskost par excellence auf Basis bester bäuerlicher Erzeugnisse. 

Einige Tage zuvor hatten wir die Markthalle von Nimes besucht, gleichfalls eine Offenbarung französischer Esskultur. Und an jeder Ecke dieses schönen, Genuss affinen Landes zwischen Rhone, Südalpen und  Mittelmeer findet sich eine Ölmühle, wo man das berühmte, aber in Deutschland nur schwer erhältliche südfranzösische Olivenöl kaufen kann, das Beste soll aus Nyons stammen, wo es eine eigene Appellation contrôlée für die berühmte schwarze Tanche-Olive gibt. Nicht zu vergessen die zahllosen Weingüter, die kleinen Fermes, auf denen man frischen Ziegenkäse, den ersten Spargel und frische Erdbeeren kaufen kann. 

Und in jedem etwas größeren Ort gibt es mindestens einmal pro Woche einen Markt, auf dem Erzeuger aus der Region ihre Waren anbieten und wo man sich nicht sattsehen kann. Mit jedem Besuch wächst der Vorrat, den man mit dem Auto in die Heimat transportiert. Der wichtigste Grund, warum ich ungern mit dem Flugzeug verreise. Da reicht der Platz im Koffer höchstens für eine einzige Flasche Olivenöl und wenn die infolge unsanfter Behandlung auf dem Flughafen platzt und ausläuft, wäre das ein sehr unschönes Malheur.  

Mit großem Widerwillen veganen Fleischersatz verzehrt

Wenn man im Bann dieser Eindrücke einen Artikel liest, der unlängst auf der Achse erschienen ist (Fleisch und Milch ohne Tiere? Nicht gleich abwinken!), kommt einem die dort formulierte Botschaft etwas bizarr vor. Der Bericht bricht eine Lanze für Kunstfleisch und Kunstmilch aus dem Bioreaktor und erklärt die traditionelle, bäuerliche Landwirtschaft zum Auslaufmodell. Ich habe nach Lektüre der Überschrift zunächst einmal nur die Kommentare gelesen, wie ich es immer mache, wenn ich einen Artikel am liebsten nicht wahrnehmen möchte. Ich stehe dazu, Dinge, die mir nicht guttun, zu verdrängen, auch wenn Psychologen das für falsch halten. Und ja, ich stehe auch zu meinen Neurosen.

Dann habe ich mir den Bericht aber doch durchgelesen. Eine der wichtigsten Thesen des Beitrags: Synthetisch erzeugtes Fleisch sei echtes Fleisch und deswegen gleich zu behandeln und zu bewerten. „Wenn der Kram aus dem Bioreaktor schmeckt wie ein Steak, aussieht wie ein Steak, sich anfühlt und duftet wie ein Steak, dann gibt es kein rationales Argument, ihn nicht als Steak zu akzeptieren.“ Ähnliches gelte für künstlich erzeugte Milch. 

Dass sich unter den Kapitalgebern des israelischen Kunstmilch-Unternehmens Remilk auch der deutsche Molkereikonzern Hochland findet, sagt nichts aus und wird die „Schwarzwaldbäuerin“ nicht um ihren Schlaf bringen. Auch der einstige Fleischwarenproduzent Rügenwalder Mühle machte zwar viel Bohei um seine veganen Ersatzprodukte und warb mit Sprüchen wie „Gendern ist wie Wurst ohne Fleisch“, doch brach jüngst der Umsatz massiv ein. Offenbar ist die Woke-Strategie nicht aufgegangen. 

Was ich bisher aus Testgründen und mit großem Widerwillen als veganen Fleischersatz auf pflanzlicher Basis konsumiert habe, hatte auch nicht im  Entferntesten etwas mit Fleisch zu tun oder mit jenen Produkten, die nachzuahmen man sich mit viel Chemie bemühte. Synthetisches Fleisch aus dem Bioreaktor habe ich noch nicht gekostet. Solches „Fleisch“ gibt es bereits und es mag sein, dass man irgendwann zu vertretbaren Kosten und in marktfähigen Mengen Faserklumpen züchten kann, die in Textur und Geschmack Fleisch ähneln. 

Klassische Musik für Kobe-Rinder

Doch ein schöner Braten (siehe oben) ist eben weitaus mehr als ein Faserklumpen. Er ist ein komplexes Zusammenspiel aus den genetischen Anlagen des jeweiligen Tieres, die auch Ergebnis jahrhundertelanger züchterischer Bemühungen sind, seiner Lebensweise, dem Futter und, wenn man das Beispiel japanischer Kobe-Rinder vor Augen hat (in deren Ställen zuweilen klassische Musik gespielt wird), der direkten Zuwendung durch die jeweiligen Tierhalter im soziokulturellen Kontext einer langen Tradition. Glaubt jemand, man könne etwa die texturelle und geschmackliche Vielfalt nicht nur verschiedener Nutztierrassen (und Wild) in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, sondern auch verschiedener Fleischpartien in vitro nachbilden?

Ich halte das für Fantasterei, eine Fantasterei, mit der man zudem demokratisch schwer zu kontrollierenden Weltverbesserern wie Bill Gates in die Hände spielt, die man noch reicher und noch mächtiger macht. Und warum sollte man überhaupt der bäuerlichen Landwirtschaft, wie wir sie kennen, keine Chance mehr geben? Warum auf die Haltung von Nutztieren ganz oder teilweise verzichten? Aus Gründen des Tierwohls? Diese moralische Kategorie kann sich nur auf die (kurze) Lebenszeit dieser Geschöpfe beziehen, die einzig und allein dem Zweck ihr Leben verdanken, dass sie uns als Nahrung dienen sollen, und ist für mich irrelevant. Tiere, die man quält, produzieren kein gutes Fleisch und nur darum geht es mir. Dass sie irgendwann sterben müssen, wissen unsere Nutztiere nicht. Und für den letzten Akt, das „blutige Handwerk“ des Tötens, Zerteilens und Verarbeitens gibt es einen eigenen und stolzen Berufsstand, die Metzger.

Bliebe, um den möglichen Ausstieg aus der Tierhaltung zu rechtfertigen, noch das „Klimaschutz“-Argument. Doch selbst wenn man an die Katastrophenszenarien der Klimakirche glaubt, fürchte ich, dass auch am Ende des Kunstfleisch- und Kunstmilch-Hypes kein Mehrwert für die Natur oder die Ökologie stehen wird, sondern womöglich sogar größere Belastungen für die Ökosphäre. Man denke nur an die fatalen Folgen der Elektromobilität und der „Energiewende“. Auch Kunstfleisch und Kunstmilch entsteht nicht von selbst, sondern kann nur auf Basis von Ressourcen produziert werden. 

Schließlich gibt es noch ein Argument, das Wissenschaftler nicht gerne sehen, weil es ihrem rationalistischen Weltbild widerspricht, eine wertegebundene Entscheidung für oder gegen etwas. Es braucht auch und gerade auf dem Feld von „Novel Food“ Grenzen, die man nicht überschreiten sollte. Der dystopische Film Soylent Green lässt grüßen.

Auch das Argument, dass sich vor hundert Jahren niemand die heutige Form der Lebensmittelproduktion habe vorstellen können, zieht nicht, denn im Grunde genommen hat sich gar nicht so viel geändert. Immer noch wird Brot aus Mehl gemacht und Mehl aus Getreide, selbst wenn sich Züchtungsmethoden, Pflanzenschutz und die Konservierungsmöglichkeiten stark verbessert haben, wobei die grüne Gentechnik keine Wunder vollbracht hat. Die entscheidende Revolution auf dem Gebiet der modernen Nahrungsmittelerzeugung war immer noch die Stickstoffsynthese als Grundlage der Kunstdüngerproduktion. Und ja, auch Wurst wird noch aus Fleisch gemacht und das Fleisch stammt von Nutztieren. Ich wüsste keinen Grund, warum das nicht so bleiben sollte. 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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Leserpost

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Sabine Meyer / 07.04.2024

Ich sag nur “Soylent Green” - Mahlzeit.

Wolfgang Richter / 07.04.2024

@ Helge Jörn - “Wie alle Apologeten der Transformation vergisst er - oder will es nicht wissen - , dass der Geschmack ganz wesentlich gerade von jenen Bestandteilen abhängt, die sich nur in Spuren oder auch gar nicht im Endprodukt nachweisen lassen.”  - Da gibts im ZDF sporadisch Sendungen des “Produktermittlers ” Sebastian Lege, der dort Fertigprodukte aller Art nach"bereitet” wobei die Insekten bisher noch keine Rolle gespielt haben. Es ist schon erschreckend, was schon heute an Chemie und irgendwelchen Streckmitteln und “Geschmacksimitaten” in “unseren Lebensmitteln” steckt, und je mehr Richtung des klima-empfohlenen “vegan”, um so mehr “Kunststoff”.

Talman Rahmenschneider / 07.04.2024

“Ich habe nach Lektüre der Überschrift zunächst einmal nur die Kommentare gelesen, wie ich es immer mache, wenn ich einen Artikel am liebsten nicht wahrnehmen möchte.” Machen wir wohl alle, Herr Etscheit. Danke für die Gegenrede. Um in Deutschland ein gutes Beispiel zu nennen: Schäufele oder Gefüllte Kalbsbrust aus dem Schwabenland. Natürlich kann man Kantinenfraß (Schweineschnitzel) mutmaßlich mit Kunstfleisch ersetzen, aber sicherlich nicht richtiges hervorragendes Essen. Mit dem Kunstfleisch wird es gehen wie mit dem e-Auto, siehe Maxeiner.

R. Nicolaisen / 07.04.2024

Erklären Sie mir als Chemiker doch einmal, was “Stickstoffsynthese” sein soll !  Mixen Sie da Protonen, Neutronen und Elektronen in einem bestimmten Verhältnis zusammen?

F.Lux / 07.04.2024

Brot für die Welt…Die Wurst bleibt hier!!!

L. Luhmann / 07.04.2024

@“Peter Volgnandt / 07.04.2024 Kunstfleisch im Weltall oder an anderen extremen Orten, das lass ich mir noch gefallen. Aber hier auf Erden, nee! Das Rind ist der effektivste Verwerter von Sonnenenergie, den wir haben. Als Wiederkäuer nützt es das Gras optimal aus wie kein anderes Tier. Es ist auch als Landschaftspfleger unverzichtbar und düngt auch noch mit seinem Mist die Weiden. Sind wir froh, dass es dieses Tier gibt!”—- Sie haben völlig recht. Leider sind die Grünen so schlau, ihre eigenen Lügen zu glauben und obendrauf auch die Lügen anderer Apokalyptiker. Der Club of Rome hat 50+ Jahre lang weltweit exzellente Zersetzungs- und Verdummungsarbeit geleistet! Wie intelligent Grüne*innen sind kann man schon alleine an Habeck & Baerbock sehen. Alle relevanten Karten liegen offen auf dem Tisch.

Dr. Joachim Lucas / 07.04.2024

Die Nutztiere, die wir verzehren fressen Gras, Blätter usw. Das aber ist für den Menschen nutzlos und nicht verwertbar. Nur über den Umweg über Tiere, d.h. Fleisch, können wir uns diese Ressource Zellulose nutzbar machen. Und das CO2, das Tiere produzieren, war vorher im Gras. Nichts vergeht, nichts entsteht, wußte schon Antoine Lavoisier. Außerdem ist CO2 KEIN Gift sondern notwendig. Wer ohne CO2 leben will soll auf den Mars. Ich weiß nicht, wie man Kunstfleisch herstellt. Mit Gras? Glaube nicht. Es geht nichts über gutes Fleisch und ich bin guter Dinge, dass Menschen immer natürlich produzierte Nahrungsmittel essen werden.

Wilhelm Rommel / 07.04.2024

Ach, Herr Etscheit, ich stimme Ihnen aus vollster Überzeugung zu und haue dazu gleich zwei kulinarische Beispiele raus: Ad Eins; wie wollen mir beispielsweise die Bio-Reaktorfleisch-Prediger weismachen, das tierische ‘Fundament’ auch nur einer eher ‘simplen’ Hühnersuppe so exakt nachbilden zu können, dass da die klassische Mixtur aus Fleisch, Fett und selbst Haut und Knochen in ihrer letzlich geschmacksbildenden Kombination in meinem Kochtopf landet? Dabei meine ich natürlich nicht die von jeher Argwohn erweckenden Inhalte irgendwelcher SB-Tiefkühler, sondern das frisch ‘ab Hof’ erworbene Tierlein aus regionaler Erzeugung, das sein Hühnerleben mit reichlich Auslauf glücklich eierlegend zubringen durfte und dessen Erdendasein erst angesichts deutlich nachlassender Legeleistung - also im fortgeschrittenen Erwachsenenalter - ein Ende gefunden hat. Ad Zwei: Ob per Bio-Reaktor wohl so etwas herzustellen ist wie das heute als Schmorbraten verspeiste ‘Bürgermeisterstück’ vom Galloway - auf kürzestem Wege beim Metzger meines Vertrauens gelandet, dort vorschriftsmäßig gereift und von unvergleichlichem Wohlgeschmack? Ich glaube es keine Sekunde lang!!!

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