Ein von der ARD gepriesener „Russland-Experte“ hat von dort viel Geld kassiert. Auch bei anderen Themen und Medien werden lupenreine Lobbyisten als „unabhängige Fachleute“ präsentiert.
Eines muss man den Staatssendern, den Zuträgern und Vorfeldorganisationen lassen: ihre Tatortreiniger sind verdammt fix. Kaum war einer der großen Medienskandale der Öffis ruchbar geworden, da schoben die Putzkolonnen Überstunden. Der NDR, als ausführende Anstalt, machte den schrecklichen Verdacht publik, dass er „und damit auch unser Publikum vorsätzlich getäuscht worden sind“. Was ein bisschen an die wunderbare Szene aus „Casablanca“ erinnerte, in welcher der wendige Polizeichef Renault, gerade unter Druck eines deutschen Majors, dem Nachtclubbesitzer Rick die sofortige Schließung von dessen Etablissement mit den Worten rechtfertigt: „Ich bin schockiert! Hier werden Glücksspiele veranstaltet!“ Und anschließend noch schnell sein allabendliches Schweigegeld einsackt.
Schonungslose Aufklärung durch den erfahrenen Täuschungsabwickler und Ex-Spiegel-Chef Steffen Klusmann wurde NDR-seitig angekündigt, ebenso die Prüfung „rechtlicher Schritte“. Was man eben an unverbindlichem Zeugs so raushaut, um einen empörten und zugleich wild entschlossenen Eindruck zu schinden.
„Gründliche Prüfungen“ des Falles stellten auch das Marburger Grimme-Institut und das Sekretariat des „Deutschen Fernsehpreises“ in Aussicht, die den Täuscher für seine publizistischen Großtaten mit Preisen beworfen hatten. Auch diese Nebelkerzen waren selbstredend wohlfeil. Ob das verliehene Lametta tatsächlich irgendwann aberkannt wird, blieb ebenso offen wie die Frage, ob und wie das „Netzwerk Recherche“ den TV-Schaffenden – bis dato Mitglied dieses schwer linkslastigen Vereins – loswird.
Putin-Er- und Verklärer vom öffentlich-rechtlichen Dienst
Hauptsache, die Prüferei währt lange genug, um den Casus in Vergessenheit geraten zu lassen. Der Hamburger Verlag Hoffmann und Campe erklärte flugs, die bei ihm erschienenen Russland-Bücher des Täuschers vom Markt zu nehmen. Kein großer Verlust, denn mehr als Restexemplare waren sowieso nicht mehr im Lager.
Was war passiert? Ein internationaler Verbund „investigativer Journalisten“ (immer wieder ulkig, dieser Pleonasmus) hatte in durchgestochenen Dateien zyprischer Finanzfirmen gestöbert, vor allem in Hinblick auf dubiose Transaktionen russischer Geschäftsleute. Dabei kam – quasi als Beifang – auch heraus, dass der Hamburger TV-Journalist und Buchautor Hubert Seipel über Briefkastenfirmen mindestens 600.000 Euro von einem russischen Oligarchen erhalten hatte, der mit Wladimir Putin offenbar recht gut kann. Während die sonstigen Recherchefrüchte des Projekts „Cyprus Confidential“ hierzulande auf geringe Resonanz stießen, schlug die Nachricht über die Geldflüsse an Seipel anfangs hohe Wellen.
Denn den Mann mit der sonderbaren Hochfrisur kannten fleißige Mediennutzer zur Genüge. Nämlich als langjährigen „Russland-Experten“ in diversen Talkshows, als Putin-Interviewer, Putin-Er- und Verklärer vom öffentlich-rechtlichen Dienst. 2012 hatte er für den NDR ein charmantes Porträt des Autokraten verfertigt, ihn 2014 für denselben Sender windelweich in Moskau interviewt.
Die Hamburger waren bannig stolz auf den Kerl, der mit dem Russenboss eine robuste Männerfreundschaft zu pflegen schien, Jagdausflüge und Fahrten durchs nächtliche Moskau inbegriffen. „Exklusiv für die ARD“ trötete es aus der NDR-Pressestelle. Allein auf deutschen Sendern lief das Schmuseporträt „Ich, Putin“ fünfzigmal, elfmal wurde es ins Ausland verkauft.
Russlandkenner ohne Russischkenntnisse
Zwischendurch ein weiterer Knüller aus dem Medienkombinat NDR/Seipel! Seipel sei „es nach sechs Monaten Vorbereitungszeit gelungen, das welterste Fernsehinterview mit Edward Snowden“ zu führen, jubilierte die ARD 2014. „Gelungen“? Da lacht der Kosak! Auf Geheiß von Seipel-Spezi Putin war der Kreml-Asylant Snowden mutmaßlich sehr willig vor der ARD-Kamera angetanzt, nur zu gern bereit, sich für seinen Gastgeber mal als nützlich zu erweisen.
Die Nachricht vom östlichen Geldsegen für Seipel, laut Vertrag als „Unterstützung“ einer Buch-Recherche deklariert, erboste manche Kollegen des Täuschers für ein Weilchen. Einige schäumten aus Neid über die lange Zeit anhaltende, für Russlandkenner ersichtlich unverdiente Prominenz. Seipel spricht kein Russisch, seine Einblicke in das Land halten sich sehr in Grenzen.
„Wer tut sich denn den Schwachsinn an“, hätten Ostexperten in Unis und Instituten geseufzt, erklärte eine Osteuropa-Historikerin namens Franziska Davies im Interview mit einem Mediendienst. Viele Fachleute und Kollegen hätten gewusst, was da los war: „Die ARD hat diesen Mann groß gemacht“. Sie vermutet, „dass Russland auch andere Journalisten bezahlt.“ Namen zirkulieren in Medienkreisen seit langem. Aber bislang ist es nur Seipel, dem man was nachweisen kann.
„Unabhängige Experten“ mit Agenda
Kleine Offenlegung: Ich kenne Hubert Seipel flüchtig aus meiner Zeit beim Stern und aus ein oder zwei Party-Begegnungen. Er kam mir immer vor wie einer dieser stinknormalen Aufschneider, die dunkle Andeutungen über wichtige Aufträge machen, gern Sätze in amerikanischer Tonart streuen. Dass er Geld aus Russland angenommen hatte, darauf wäre ich nicht gekommen. Sein Ranwanzen an den Ex-Geheimdienstler Putin und die als Fragen getarnte Stichwortgeberei fand ich zwar peinlich, aber für einen deutschen Journo normal. Die Medienbranche wimmelt ja von Bedeutungshubern, die sich schon gebauchpinselt fühlen, wenn weitaus kleinere Lichter als Putin ihnen etwas Gunst erweisen, sie im Urlaub empfangen, im Flugzeug mitnehmen, ihnen irgendwas scheinbar exklusiv stecken. Seipel, hätte ich angenommen, war in seiner Gernegroßrolle so aufgegangen, dass es gar kein Geld gebraucht hätte, ihn als Werkzeug zu benutzen. Ende der Offenlegung.
Bild, immer für Öffi-Bashing zu haben, schäumte ein paar Tage lang heftig über den „Putin-Schleimer“ Seipel. Hielt aber bald die Klappe, als rauskam, dass das Blatt selber einen Russlandfan in der Redaktion hatte, wenn auch nur an untergeordneter Stelle. Auch in anderen Medien wurde es relativ rasch ruhig um den Fall. Angesichts der Dimension der Sache: erstaunlich. Jahrelang PR für einen Mann wie Putin auszustrahlen, ist ja auf der Skandalskala keine kleine Nummer. In der langen, bunten Hitliste der deutschen Medienklöpse, die von den Hitler-Tagebüchern des Stern und den Relotius-Fakes des Spiegel angeführt werden, liegt der Fall gut im Mittelfeld.
Kann es sein, dass nicht bloß Bild, sondern auch dem großen Rest der Medienmeute irgendwann ein Licht aufging? Dergestalt, dass ja überall und alle naslang Leuten das Wort erteilt wird, die mitnichten „unabhängige Experten“ sondern lupenreine Lobbyisten sind? Die in der Regel nicht von Moskau bezahlt werden, das ist klar. Dafür aber Vergütungen von zielgeleiteten Instituten, Stiftungen, Thinktanks kriegen, welche eine ebenso entschlossene Agenda verfolgen wie der Putin-Schönmaler Seipel.
150-prozentige Energiewende-Apologetin
Claudia Kemfert zum Beispiel. Die Dame firmiert als Wirtschaftswissenschaftlerin, sitzt in zahlreichen Kuratorien, Beiräten, Jurys. Die „Wirtschafts-Expertin“ (NDR), „Ökonomin“ (taz), „DIW-Expertin“ (SZ), „Klimaökonomin“ (Welt), „berühmteste Energieexpertin“ (Stern) redet und schreibt und schreibt und redet – gern auch sich selber um Kopf und Kragen.
Sie prognostizierte, und zwar grottenfalsch, gewaltige Energiepreisschübe. Verkündete, und zwar gegen jedwede Faktenlage, es gäbe Stromspeicher „noch und nöcher“. Kemfert ist manches, bloß keine unabhängige Expertin. Als solche aber wird die 150-prozentige Energiewende-Apologetin dem arglosen Publikum oft fälschlich verkauft, vom Staatsfunk und von vielen Privatmedien. Selbst der Spiegel, wahrlich kein Verächter erneuerbarer Energiemärchen, ätzte: „Claudia Kemfert ist nicht nur die bekannteste Energieexpertin Deutschlands, sondern auch die mit den meisten Fehlprognosen.“
Also, Frau noch-und-nöcher müsste doch längst weg vom Medienfenster sein? Iwo! Die nimmt doch kein versierter Redakteur in seine Sendung? Denkste. Wenn eine als wissenschaftlich camouflierte Sendung mal wieder Propaganda für Zappelstrom und gegen Atomkraft macht, wird früher oder später die Claudia K. als Zeugin aus den Kulissen geholt. Sie gehört schließlich – Tusch! – dem „Sachverständigenrat für Umweltfragen“ an. Wie ihr Kollege Marcel Fratzscher vom „Deutschen Institut für Wirtschaft“, der „Geflüchtete“ für eine ökonomische Bereicherung Deutschlands hält, ist Frau Kemfert einfach nicht wegzudenken aus dem sachverständigsten Mediendeutschland, das es je gab.
Als Schleimhannes durch die Rinne gezogen
Hubert Seipel hat sich von Putin schmieren lassen und misstrauische Kollegen über diesen Fakt bewundernswert dreist belogen („Geht’s noch?“) – das ist alles. Er hat sich nicht von EU, UN oder Weltbank löhnen lassen, auch nicht von „Klimafonds“ oder erneuerbaren Transformationsinstituten. Dort gibt es zwar nicht so viel Kohle auf einmal wie aus Russland. Doch über die Jahre kommen ganz nette Summen für „Beratung“ und „Expertise“ zusammen. Und man geht kein Risiko ein, später als Schleimhannes durch die Rinne gezogen zu werden. Sondern erhält vielleicht sogar einen neuen schönen Titel.
In puncto Fachwissen jedoch muss sich Seipel keineswegs hinter anderen Koryphäen der erratischen Art verstecken. Der neben Kemfert größte Meister des Klimasprech heißt Mojib Latif. Wikipedia vermeldet über ihn drastisch untertreibend: „Bei verschiedenen deutschen Fernseh- und Hörfunksendern ist Mojib Latif häufig zu Gast im Studio als Experte zum Thema globale Erwärmung („Klimawandel“).“ Tatsächlich ist der grundsympathisch rüberkommende Mensch omnipräsent – Redaktionen lieben ihn! Manche Leute sehen ihren Lebenspartner nicht so häufig, wie ihnen der Herr Latif in der einen oder anderen medialen Aufbereitung begegnet.
Legendär wurde sein Kracher, mit dem ihn der Spiegel am 1. April (sic) 2000 zitierte: „Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren wird es in unseren Breiten nicht mehr geben". Ob dieser Weissagung manchmal verlacht, verriet der heutige Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg anno 2012 einem sympathisierenden Redakteur der Zeit, der Spiegel habe ihn – Latif – seinerzeit falsch zitiert. Seine Prognose habe sich nicht auf den Zeitraum von 2000 bis 2010 bezogen, sondern auf den von 2050 bis 2100.
Über die Tragödie des einschlägigen Prophetentums schrieb Michael Klonovsky, unnachahmlich wie immer: „Die Klimakatastrophiker leiden wahrscheinlich am meisten unter der Kürze des Menschenlebens. Während politische Apokalyptiker hin und wieder noch erleben dürfen, wie zutreffend ihre Prognosen waren, sterben die Klimaorakler weg, bevor sie auch nur den Hauch einer grundlegenden Veränderung beobachten können.“
Der Ferdinand Dudenhöffer der Entrechteten
Adabei in einer Mediensonderklasse ist Christoph „die Schere“ Butterwegge. Der „Sozial- und Armutsforscher“ (SWR) steht der Linkspartei nahe, für die er auch mal den Bundespräsidenten stellen wollte. Daraus wurde nichts, so dass der rege alte Knabe (*1951) aus dem prekären Stadtstaat Bremen weiterhin das tun kann, wofür ihn Medien emsig kontaktieren: das Beschwören der schier unablässigen Öffnung einer Schere zwischen arm und reich.
Eigentlich müsste die Schere längst auf 180 Grad stehen und somit ihren Scherencharakter eingebüßt haben. Aber der Politologe kriegt das Ding immer so hingebogen, dass es für Mahnungen in Zeit, taz, Junge Welt, Frankfurter Rundschau oder Kölner Stadt-Anzeiger reicht. Butterwegge ist der Ferdinand Dudenhöffer der Entrechteten. Führt bei Töff-töff-Themen kein Weg am Autopapst vorbei, ist der Beladenenkardinal für alles mit Schere zuständig.
Ach, die Medien schaufeln uns endlos Gestalten in die Bude, deren Missionen so aufdringlich wie Veilchenparfüm riechen und so realistisch wie Vertical Farming sind. Kennen Sie die „Transformationsforscherin“ Maja Göpel? Nein? Sorgen Sie im eigenen Interesse dafür, dass es so bleibt. (Gleiches gilt für ihren Mindset-Buddy Sascha Lobo.) Und was ist mit der Ethikratsvorsitzenden Alena Buyx? Sieht aus wie eine nette Fielmann-Verkäuferin, hat aber während der Panhysterie unbeirrt die 2G-Nummer propagiert. Programmwechsel, bevor sie einen Fuß ins Fernsehzimmer kriegt! Katrin Göring-Eckardt kennen Sie, die Expertin für geschenkte Menschen? Okay, der Abschaltknopf liegt auf den meisten TV-Fernbedienungen oben rechts.
Russenknete aus Geldnot abgegriffen
Und Hubert Seipel, der Mann mit der Haartracht Marke Russenmütze? Er poppt gerade erneut in den Medien auf. Der NDR stellte am 25. Januar seine angekündigte Untersuchung über das Treiben des Putinisten vor. Small wonder: Intendant Joachim Knuth wiegelte den Fall beherzt herunter. Nein, so etwas wie Lügen habe sein Sender keineswegs verbreitet – wenn Seipel Fakten weggelassen habe, so könne man deshalb doch nicht von Lügen sprechen! Allenfalls habe man sich „blenden lassen“ von der Nähe Seipels zu Putin und den Bildern, die er lieferte. Damit ist dieses unschöne Thema nach Anstaltsmeinung gegessen. Die Putin-Hommagen des NDR sollen nunmehr im Sendergedächtnis möglichst tief verbuddelt werden. Für Bild eine Steilvorlage: „NDR-Boss verharmlost Skandal um Putin-Schleimer.“
Der Zeit (auch für die hochmögende Wochenschrift hatte er mal das deutsch-russische Verhältnis bärenstark eingeordnet) gab Seipel vor Kurzem, erstmals nach seiner Enttarnung, ein Exklusiv-Interview (Vorspann: „Ein fester Händedruck, ein gerader Blick – Hubert Seipel setzt sich“). Darin durfte er von seiner Geldnot (Butterwegge, übernehmen Sie!) aufgrund schlechter Bezahlung durch den NDR fabulieren, und dass er deshalb die Russenknete abgegriffen habe; diese sei komplett für Recherchereisen draufgegangen.
Eh bien. Verglichen mit einem beliebigen Kommentar des stellvertretenden Zeit-Chefs Bernd Ulrich ist derlei Bullshit harmlos. Sicherlich taucht der Mann irgendwann wieder in Medien auf. Vielleicht bei den Nachdenkseiten? Auf ihn und viele andere Autoritäten war wohl eine Sentenz gemünzt, die dem legendären Schalke-Manager Rudi Assauer zugeschrieben wird: „Du siehst die Scheiße immer erst, wenn der Schnee schmilzt.“
Wolfgang Röhl, geboren 1947 in Stade, studierte Literatur, Romanistik und Anglistik. Ab 1968 Journalist für unterschiedliche Publikationen, unter anderem 30 Jahre Redakteur und Reporter beim „Stern”. Intensive Reisetätigkeit mit Schwerpunkt Südostasien und Lateinamerika. Autor mehrerer Krimis.