Peter Grimm / 19.06.2024 / 13:15 / Foto: Olaf Kosinsky / 36 / Seite ausdrucken

Der Rücktritt an der Ampel-Spitze

Malu Dreyer, Ministerpräsidentin der Ampel-Regierung in Rheinland-Pfalz, ist zurückgetreten. Rücktrittsforderungen gab es beinahe regelmäßig seit dem Staatsversagen in der Flutkatastrophe im Ahrtal mit 134 Toten vor drei Jahren.

Von der Ampel-Regierung in Mainz wurden sie stets empört zurückgewiesen. Bestimmt wird von dort auch zu hören sein, dass der nun erfolgte Rücktritt mit dem Ahrtal nichts zu tun habe.

Diese Meldung sorgte am Mittwoch-Vormittag für einige Überraschung:

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) tritt zurück. Ihr Nachfolger soll nach SPIEGEL-Informationen Arbeitsminister Alexander Schweitzer werden. Dreyer wolle den Schritt am Vormittag in der SPD-Landtagsfraktion verkünden, hieß es in Parteikreisen. Am Nachmittag soll es eine Pressekonferenz geben. Die Wahl von Schweitzer zum neuen Ministerpräsidenten ist nach SPIEGEL-Informationen für den 10. Juli im Mainzer Landtag geplant.

Dreyer, 63, ist seit Januar 2013 Regierungschefin in Rheinland-Pfalz. Sie steht an der Spitze einer Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP.

Schweitzer, 50, ist aktuell Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung in Dreyers Kabinett.“

Zur Motivation dieses Schritts konnte man zunächst Dinge lesen, die in einem solchen Fall erwartbar sind: Die 63-Jährige wolle ihrem Nachfolger die Gelegenheit bieten, sich bis zur nächsten planmäßigen Landtagswahl 2026 im Amt quasi warmzulaufen. Das klingt sinnvoll und spielt sicher eine Rolle, aber eigentlich schwebt auch eine zwei Jahre alte Katastrophe über diesem Rücktritt.

Ein Rücktritt der SPD-Ministerpräsidentin wurde nämlich in den letzten zwei Jahren häufiger gefordert. Vor fast genau einem Jahr, am 23. Juni 2023, titelte der SWR: „Wegen Ahrflut: CDU und AfD fordern Dreyer zum Rücktritt auf“. Es war ein Bericht über eine erneute Befragung der Ministerpräsidentin im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe an der Ahr, die bekanntlich 134 Menschenleben forderte. Es gab zahlreiche Klagen über den Umgang von Behörden, Verwaltungen und Amtsträgern mit der Katastrophe. Warum wurden die Menschen nicht rechtzeitig gewarnt? Warum fehlte es zuweilen an klaren Verantwortlichkeiten? Und warum funktioniert die Hilfe für die Flut-Opfer nicht bzw. unzureichend?

„Pflicht nicht erfüllt“

Die Opposition jedenfalls überzeugte Dreyer vor einem Jahr nicht, wie der damalige SWR-Bericht vermerkt:

„‚Wir fanden den Auftritt beschämend‘, sagte CDU-Obmann Dirk Herber. Dreyer habe es erneut verpasst, etwas zur Aufklärung beizutragen und Verantwortung für das Handeln der Landesregierung während der Ahrflut zu übernehmen. Die Ministerpräsidentin müsse nun selbst Konsequenzen ziehen, wie es die frühere rheinland-pfälzische Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) und Ex-Innenminister Roger Lewentz (SPD) getan hätten. Beide waren infolge der Aufarbeitung der Flutkatastrophe zurückgetreten. Spiegel war damals bereits Bundesfamilienministerin und legte dieses Amt nieder.

Die AfD ist noch klarer in ihrer Rücktrittsforderung. AfD-Obmann Michael Frisch sagte nach der Vernehmung der rheinland-pfälzischen Regierungschefin: ‚Frau Dreyer hat ebenso wie ihre Regierung in der Flutnacht versagt und trägt daher die Verantwortung für die verheerenden Folgen dieser Katastrophe, die zumindest zum Teil hätten verhindert werden können.‘ Deshalb fordere die AfD-Fraktion den Rücktritt von Dreyer.

Frisch wirft Dreyer unter anderem vor, ihre Pflicht nicht erfüllt zu haben. So habe sie sich in der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 nicht selbst über die Lage informiert. Außerdem habe die Ministerpräsidentin nicht sichergestellt, dass die zuständigen Minister eng miteinander kommunizieren und kooperieren.“

„Parteipolitischer Populismus“?

Dass sie jetzt der Rücktrittsforderung der AfD nachkommt, würde sie sicher bestreiten. Hatte doch ihre Ampelregierung solche Forderungen immer zurückgewiesen. So auch im Juli des letzten Jahres, als das Thema der Politiker-Fehlleistungen beim Hochwasser auch Thema im Landtags-Plenum war. Auch hier fasste der SWR die Reaktionen zusammen: 

Oppositionsführer Gordon Schnieder von der CDU warf der Landesregierung vor, bisher zu wenig für den Wiederaufbau im Ahrtal getan zu haben. Viele Betroffene klagten nach wie vor über endlose Antragsverfahren und immer neue Gutachten, die von der Regierung verlangt würden. Zudem sei von den rund 15 Milliarden Euro an Wiederaufbauhilfen in Rheinland-Pfalz bisher nur gut eine Milliarde ausbezahlt worden, so Schnieder. (…)

Die Redner aller drei Oppositionsfraktionen warfen Ministerpräsidentin Dreyer vor, auch zwei Jahre nach der Flut nicht die politische Verantwortung für Fehler und Versäumnisse zu übernehmen. "Stattdessen tun Sie so, als hätten Sie mit den Geschehnissen am Flutabend und in der Nacht nichts zu schaffen", sagte CDU-Fraktionschef Schnieder.

Joachim Streit von den Freien Wählern vertrat die Meinung: "Eine Regierung, die keine Verantwortung übernimmt, braucht kein Mensch!" An Ministerpräsidentin Dreyer gerichtet sagte Streit, mit ihrer Verweigerungshaltung, Verantwortung zu übernehmen und eine Entschuldigung auszusprechen, schade sie nicht nur sich selbst, sondern auch dem Amt.

Dreyers Rücktritt forderte erneut der AfD-Fraktionsvorsitzende Michael Frisch: ‚Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihr persönliches Versagen und Versagen Ihrer Regierung am 14. Juli 2021. Treten Sie aus Respekt vor den Opfern der Flutkatastrophe von ihrem Amt zurück!‘

Abgeordnete der Ampel-Koalition reagierten empört auf die Forderung. Von einem Tiefpunkt in der politischen Debatte war die Rede und parteipolitischem Populismus.“

Von diesem Tiefpunkt war wohl die Rede. Auf der SWR-Seite fehlen an der Stelle offenbar ein paar Worte. Nun hat sich die Ministerpräsidentin trotzdem entschlossen, zu gehen. Dafür mag sie viele verschiedene Gründe haben. Aber in jedem Fall ist dieser Schritt ein Ballast-Abwurf für die Parteien der Ampel-Regierung in Mainz. Populär sind die Ampel-Parteien derzeit allein schon wegen der Ampel-Bundesregierung nicht. Und dass es der Landesregierung gelingt, die Ahrtal-Hilfe jetzt endlich zur völligen Zufriedenheit der Betroffenen zu managen, ist auch nicht zu erwarten. Da ist ein Wahlkampf vor dem fünften Jahrestag dieser Katastrophe selbstverständlich besser zu führen, wenn keiner der 2021 zuständigen Verantwortungsträger dann noch im Amt ist.

Jetzt vor der Sommerpause mag der zurücktretenden Ministerpräsidentin wahrscheinlich kaum jemand böse Worte oder Erinnerungen an politische Fehlleistungen hinterherrufen. Insofern ist der Zeitpunkt auch gut gewählt. Und da Rücktritte inzwischen im Verhältnis zu politischen Fehlleistungen viel zu selten sind, wird dieser sicher gewürdigt.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

Foto: Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 de, Link

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Rainer Möller / 19.06.2024

Mein erster Gedanke war ja, Dreyer versucht dem aktuellen Skandal zuvorzukommen: AfD klagt wg. Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht und Apollo News fordert die Herausgabe der Chatprotokolle Dreyers und der Staatskanzlei. Ein Gerichtsurteil könnte Dreyer vielleicht aussitzen, aber wochenlange Veröffentlichungen der Chatprotokolle?

Sabine Heinrich / 19.06.2024

Nur - diese “Dame” wird sich bis an ihr Lebensende über eine fette Altersversorgung freuen dürfen. Aber gut - dem gemeinen Volk scheint es egal zu sein - sobald ich unaggressiv ähnlich kritische Themen anspreche, werde ich ausgebremst. Die Menschen WOLLEN einfach nicht(s) wissen. Die wählen lieber wieder die Vertreter der Altparteien, die sie schmählichst im Stich gelassen haben.

Daniel Kirchner / 19.06.2024

Dreyer leidet angeblich seit 30 Jahren an Multipler Sklerose. Normalerweise ist man da schon eingeschränkt. Das Zentralnervensystem ist geschaedigt. Bei Frau Dreyer anscheinend nicht. Das hätte sie doch als Grund nennen können.

Karl Loberan / 19.06.2024

@Sabine Müller Um des Verantwortlichen richtig zu zeigen habt ihr sie danach wieder gewählt. Und bei der EU Wahl gleich nochmal. Das Leid möchte ich nicht kleinreden und auch nicht Versagen und Ignoranz der Politik. Trotzdem scheint mir nur geliefert zu werden was wiederholt bestellt wurde.

Silas Loy / 19.06.2024

Eine inkompetente und ignorante Sesselkleberin weniger, wenigstens das.

Sam Lowry / 19.06.2024

@finn waidjuk: Absolut richtig! Danke…

Rolf Mainz / 19.06.2024

Wenn es “nur” um die Flutkatastrophe ginge. Dreyer hat noch ganz andere Themen verbockt, der Verelendung ihres Bundeslandes tatenlos zugeschaut. Linker Parteienfilz allerorten, Gesinnung ging stets vor Fähigkeit. Ein Musterbeispiel für die Verkommenheit der Altparteien, ein Beweis für erfolgreichen Opportunismus. Aber: irgendjemand hat die feine Dame gewählt, und dies wiederholt, für lange Zeit. Letztlich trägt der Wähler/die Wählerin die Schuld an solchen “Karrieren”, keine Frage.

SabineMüller / 19.06.2024

Bitte! Sprechen Sie nicht immer vom Ahrtal! Wir waren Luftlinie 40 km nördlich und immer noch mittendrin. Zwischen uns und dem berühmten Ahrtal zog sich eine unvergleichliche Spur der völligen Verwüstung. Halbe Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Kann sich denn wirklich keiner mehr an die Bilder aus Erftstadt erinnern? Die sind noch weiter nördlich als wir. Unfassbar, dass sich so eine offensichtliche Lüge sogar bei den alternativen Medien hält. Selbst Wikipedia berichtet da besser. ...Okay, der Wikipedia Eintrag ist gelöscht, was soll man sagen. Gehen sie auf Maps, geben Sie Nürburgring ein, dann Routenplaner Erftstadt. Dort sehen sie das betroffene Gebiet und zwar sowohl auf der westlichen als auch auf der östlichen Route. Wir waren in der Mitte. Und warum die Lüge von der kleinen Flut im kleinen Ahrtal? Die vielen ehemaligen Soldaten, die bei uns und überall im Katastrophengebiet halfen, sagten zwei Dinge übereinstimmend: 1.) Sie haben noch nie so eine Zerstörung gesehen (Wir sprechen hier von Veteranen, die im Kosovo, Afghanistan und Mali waren) 2.) Und: nach allem, was sie gesehen und gehört haben, muss eine Null hinter die Opferzahlen. Wenn ich vom Ahrtal lese, fühle ich mich als Flutopfer echt verhohnepiepelt!

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