Liebe Carolin,
damals, um die Jahrhundertwende, als wir Kollegen in der Auslandsredaktion des „Spiegel“ waren, hast Du mich mal mit Deiner Wasserpistole nassgespritzt. Das war nicht friedlich. Auch deshalb hat es mich gewundert, dass Du jetzt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hast. Aber zwischen zwei so gegensätzlich gepolten Zimmernachbarn war wohl keine andere Form der Auseinandersetzung möglich. Ich konnte mich ja auch wehren, indem ich Dir die Waffe einfach weggenommen habe. Die alte Klamotte wäre nicht weiter erwähnenswert. Ich habe sie nur aufgewärmt, weil sie ein guter Einstieg für einen Offenen Brief an eine Friedenspreisträgerin ist.
Du bis die prominenteste Vertreterin des deutschen Betroffenheitsjournalismus. Die Amerikaner nennen es auch „poverty porn“, was seine ethische Substanz hinreichend beschreibt. Das hat Dich nicht daran gehindert, in Deinem Buch Gegen den Hass Begriffsklitterung zu treiben. Es trieft von Zeitgeist und flacher Moral. Es bedient vor allem das Vorurteil Deines Stammpublikums, dass die Deutschen ein Volk von gestern sind. Doch die Kulturschande ist eine andere; jene, die Du beschreibst, ist ein Popanz. Das Empathiegesülze, die Ausgrenzungspsychose und die Klagen über angeblich flächendeckende Fremdenfeindlichkeit sind lauter Schmarren. Mich stört der ganze weinerliche Kammerton.
Dein Generalappell ist nur gegen Hass aus der rechten Ecke oder das, was Du dafür hältst, gerichtet. Du tolerierst Hass, wenn er die richtige ideologische Profiltiefe hat. Für mich ist Hass so was wie ein schlafendes Menschenrecht, sofern er sich gegen wahrhaft hasswürdige Objekte richtet. Aus den Psalmen wissen wir, dass man durch das Hassen des Gottlosen die eigene Gottesfurcht beweist. Menschen, die mit Maschinenpistolen in einen vollbesetzten Tanzsaal feuern oder mit einem Lkw eine Strandpromenade runterfahren und dutzende Menschen platt machen, muss man hassen dürfen. Menschen, die einem Priester im Gottesdienst die Kehle durchschneiden, auch.
Kann man seine Feinde lieben?
Hass ist nicht nur emotional. Er ist eine Kombination aus Vernunft und Gefühl. Täter zu hassen, die aus bestialischer Lust am Töten handeln, ist nicht unvernünftig, es kann sogar der Prävention dienen. Es heißt, man solle seine Feinde lieben. Aber es ist schwer vorstellbar, dass damit auch die Totmacher von Paris, Nizza und Saint-Étienne-du-Rouvray gemeint sind. Natürlich soll man niemand hassen, nur weil er anders denkt als man selbst. Die Lockerheit, mit der Dir und den Deinen die Wörter "Hass“ und „Hetze“ aus dem Wordprocessor schäumen, legt mir jedoch die Vermutung nahe, dass Ihr jeden Kritiker für einen Hetzer haltet.
Womit wir bei Clausnitz wären, dem sächsischen „Nazidorf“, an dem Du ein großes Buchkapitel festgemacht hast. Clausnitz ist für Dich das Dorf der Hasser und Hetzer, obwohl Du offenbar noch nicht da warst. Der „Spiegel“ hatte neulich eine Clausnitz-Reportage im Blatt. Sie war gut geschrieben und sauber recherchiert. Sie belegte nur nicht die These aus den Hausmitteilungen, Clausnitz sei ein gefährlicher Ort. Was die alte Journalistenweisheit bestätigt: Durch Recherchieren versaut man sich die schönsten Geschichten.
Was ist passiert in Clausnitz? Knapp hundert Rednecks blockierten zwei Stunden lang zwei Dutzend Migranten in einem Autobus den Weg in ein Flüchtlingsheim. Es wurde viel gebrüllt, aber niemand nahm körperlich Schaden. Trotzdem leistete sich Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich das frivole Fehlurteil, die Leute in Clausnitz (und in einem ähnlich gelagerten Fall in Bautzen), die so was täten, seien keine Menschen, sondern Verbrecher. Wir erleben hier die Regierung als volkspädagogische Instanz und den Bürger als Resozialisierungsobjekt. Das hatte George Orwell noch nicht auf dem Zettel. Warum gibt es in diesem unseren so moralischen Land noch keine Umerziehungskurse für Rassisten, Sexisten und Ausländerfeinde?
Du machst Dir den bösen Tillich-Kalauer sinngemäß zu eigen, indem Du Clausnitz als „öffentliche Demütigung von Marginalisierten, das Vorführen der eigenen Macht in einer Arena, in der wehrlose Menschen gehetzt oder gelyncht werden“, klassifizierst. Tatsache ist: In Nachkriegs-Deutschland ist noch nie jemand bei einer Demo gelyncht worden. Kein einziger in siebzig Jahren. Wer von lynchen phantasiert, der spinnt. Der soll zum Arzt gehen, hätte Helmut Schmidt gesagt.
Die meisten Brandstifter sind die Bewohner selbst
Du machst Frauen, Ausländer, Schwule, Lesben pauschal zu Opfern. Ja, gewiss, in Deutschland gibt es Rassisten, Homophobe und Xenophobe. Aber Deutschland ist nicht rassistisch, homophob und xenophob. Wo Ausländern Unheil zugefügt wird, da sind meist Ausländer die Täter. Ja, doch, die Anschläge auf Asylantenunterkünfte sind eine Schande für Volk und Land. Die meisten Brandstifter aber sind die Bewohner selbst.
Ich halte es mit dem grünen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Er wendet sich gegen jede Ausgrenzung von Andersdenkenden, „Reaktionäre“ hätten Anspruch auf das gleiche Verständnis, das früher die Grünen für sich beansprucht hätten. Für zeitgeistkonforme Grüne ist das wie ein Schlag mit der Wichsbürste. Und für den in Brüssel residierenden „Europäischen Rat für Toleranz und Versöhnung“ ist das wohl auch nicht die Toleranz, die er meint.
Und dass hierzulande Homosexuelle nicht prinzipiell benachteiligt werden, müsstest Du eigentlich aus eigener Erfahrung wissen. Als lesbische Journalistin, so schreibst Du, gehörtest Du „zwei besonders verhassten gesellschaftlichen Gruppierungen“ an. Das grenzt an Verfolgungswahn. Dich hasst doch keiner, liebe Carolin, als Lesbe nicht und als Journalistin nicht. Im Gegenteil. Wenn nicht Goebbels das Wort erfunden hätte, würde ich sagen: Du bist der Prototyp des Gutmenschen.
Allerdings, man mag Dich mehr als Dein Werk und Deine Oberlehrer-Attitüde. Wie schrieb der „Welt“-Kritiker? „In der Paulskirche teilte sie lauter Weisheiten mit, die den dort Versammelten längst vertraut sind und die sie zumeist lange schon internalisiert haben. Und doch gelingt es ihr, den Eindruck zu erwecken, sie stoße kühn in neue Sphären vor, sage Unerhörtes, lasse neue Wasser in den Brunnen der Erkenntnis und sogar der politischen Philosophie fließen. Von Ferne erinnert diese Methode an die der Allerweltstheologin Margot Käßmann.“ Die linke TAZ, die Dir politisch viel näher steht als die „Welt“, hat Dich noch viel rüder abgebürstet. Gibt Dir das nicht zu denken?
Widerliche Haufen menschlicher Antimaterie
Was die schreckliche Diskriminierung anlangt, so bin ich auch Teil einer der verfemten Gruppen. Zwar werde ich als Journalist öfter mal angepöbelt, aber verhasst habe ich mich noch nie gefühlt. Ich hätte auch keine Angst, schwul zu sein. Die zwei größten deutschen Städte hatten homophile Stadtoberhäupter. Sie mussten allerdings beide abtreten, nicht weil sie Männer liebten, sondern weil sie unfähig waren.
Die zwei Homopromis waren freundliche Kerle. Die sächsischen Pöbler waren unfreundlich und nicht eben gastfreundlich, aber sie haben nichts Unerlaubtes getan. Deshalb haben die Politiker und die regierungstreuen Medien auch Unrecht, die sie als widerlichen Haufen menschlicher Antimaterie bewerten.
Es war auch keine Nötigung, ebenso wenig, wie es Nötigung war, als wir 1968 in Essen am Druckhaus Sachsenstraße Zeitungswagen gewaltsam an der Ausfahrt hinderten, um die Auslieferung der Bild-Zeitung zu blockieren. Anklagen wegen Landfriedensbruch und Nötigung liefen damals überall im Lande ins Leere. In einer Urteilsbegründung des Landgerichts Hannover hieß es, eine Demonstration könne nicht „den Charakter einer Heilsarmeeversammlung haben“.
Das muss auch für Clausnitz gelten, wenn auch die Motivationslage dort anders war. Im Frühjahr müssen drei der Teilnehmer vor Gericht erscheinen, aber nur weil sie einen Strafbefehl nicht akzeptiert haben. Die schlimmsten Sprüche auf ihren Plakaten waren "Volksverräter" und "Merkel muss weg". Das Wort Volksverräter ist sicher demagogisch überzeichnet, aber dass Merkel weg muss, würde nach aktuellen Umfragen rund die Hälfte der Bundesbürger unterstreichen.
Warum der ganze Rabatz? Hatten die Clausnitzer vielleicht Angst - um ihre Rente, um ihre Arbeitsplätze, um den Wert ihrer Immobilien? Oder Angst vor den schwarzcamouflierten Gesichtern der moslemischen Frauen? Ich habe Michel Houellebecqs Buch "Unterwerfung" gelesen, in dem geschildert wird, wie die Islamisten Frankreich übernehmen. Jetzt frage ich mich, ob ich auch islamophob bin. Aber sicher ist: Hass geht anders.
Verwahrlost und in fleckigen Jogginghosen
Der Hassende verabscheut nach dem „Wörterbuch der Philosophie“ nicht nur einen Menschen, sondern möchte ihm auch schaden. Das kann ich in Clausnitz nicht erkennen. In Paris, Nizza und Saint-Étienne-du-Rouvray aber wohl. Siehst Du auch den Unterschied?
Nein, ein Bier würde ich mit den mental verwahrlosten Clausnitzern nicht gern trinken. Weil sie mir zu viel brüllen und in fleckigen Jogginghosen herumlaufen. Aber mit denen von der Antifa-Demo, die Poster mit der Aufschrift "Deutschland, du mieses Stück Scheiße" und "Deutschland verrecke" mit sich herumtragen, würde ich auch nicht anstoßen wollen.
Claudia Roth, bekanntlich die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, war neulich bei einer solchen Anti-Deutschland-Rally dabei. Ich weiß nicht, ob sie die Tiraden, die da verbreitet wurden, mitgetragen hat. Aber sie fand sie nicht so abscheulich, dass sie deshalb die Veranstaltung verlassen hätte. Die grün-rote Claudia kommt in Deinem Anti-Hass-Buch nicht vor.
Nein, Hetze gibt es überall im politischen Spektrum. Besonders auch in den Medien. Nicht wenige von ihnen benutzen für ihre Berichterstattung über Trump, Orban, Le Pen und Petry das gleiche Vokabular wie die rechten Netzbeschmutzer für ihre Facebook-Kommentare über Gabriel und Merkel.
Es ist richtig, dass Du die rechten Kakographien im Internet verurteilst. In die nächste Auflage Deines Buches könntest Du dann Deine Beobachtungen um Impressionen aus dem Segment des linken Mobs erweitern. Klick mal auf die Plattform „linksunten.indymedia.org“. Da steht drin, wie man bestimmten Vertretern des sogenannten Schweinesystems schaden kann. Durch Reifen zerstechen oder Haus „verschönern“. Oder lauf mal wieder durch Kreuzberg und lass die Hass-Graffiti auf Dich wirken. "burn, baby, burn" und "Tötet die Bullen“.
Zum Schluß, liebe Carolin, noch was zum Handwerklichen. Dein Buch ist schwere Kost - eher was für Oberseminare. Zu viel Welterrettungsmoralin, viel zu viel Political Correctness, dann diese Überdosis AfD-Bashing. Ein zusätzlicher Redigierdurchgang hätte nicht geschadet. Bevor Dein nächstes Buch in Druck geht, schick´ mir das Manuskript. Ich lege dann gern Hand an. Wir sind beide in der schönen Stadt Mülheim an der Ruhr geboren. Das ist mir Verpflichtung.
Herzlichst
Dein Erich