Jesse Ausubel, Gastautor / 16.12.2018 / 10:00 / Foto: Pixabay / 0 / Seite ausdrucken

Die Andersgrünen: Der Mythos vom Öko-Kollaps (4)

Von Jesse Ausubel.

Ich wünschte, ich hätte an dieser Stelle noch mehr positive Entwicklungen zu vermelden. Dem Leben in den Ozeanen wird aber ziemlich übel mitgespielt. Nur als Beispiel: Der Fang eines Fischerbootes vor der Küste Floridas hat sich zwischen 1958 und 2007 massiv verändert – 2007 gab es nämlich plötzlich keine großen Zackenbarsche mehr. Alternativ kann man auch den Fischmarkt in Tokyo besuchen: Meeresfrüchte sind erstaunlich lecker und dank verbesserten Lager- und Transportbedingungen auf Märkten in großem Variantenreichtum zu erstehen. So endet dann ein Oktopus aus Mauretanien in Japan. Bevor die moderne Kühltechnik Einzug hielt, war Sushi eine Delikatesse, die nur für den Kaiser von Japan zubereitet wurde. Ein Blauflossen-Thunfisch von rund 222 Kilogramm Gewicht ging im Januar 2013 für einen Rekordpreis von 1,76 Millionen Dollar über die Ladentheke. Die Demokratisierung von Sushi hat für das Leben im Meer alles verändert.

Die Biomasse Fisch entspricht in besonders ausgebeuteten Fischgründen nur noch einem Zehntel der Menge, die dort vor einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten anzutreffen war. Die gesamte Population des Kabeljaus vor Cape Cod in Massachusetts wiegt heute vielleicht noch drei Prozent des Gewichts der Kabeljau-Population dort im Jahr 1815. Ein durchschnittlicher Schwertfisch, gefangen vor den Küsten New Englands, wog 1860 noch zirka 227 Kilogramm. Im Jahr 1930 waren es nur noch gut 91 Kilogramm. Um im Meer wild überleben zu können, braucht eine nicht-geschützte Art Zeit, sich vor dem Fang fortzupflanzen.

Wie verhält sich der Konsum von Fisch, der unsere Ozeane auszehrt, zu den 800 Millionen Tonnen an Tierprodukten, die die Menschheit zu sich nimmt? Die Menge konsumierten Fisches entspricht ungefähr einem Fünftel der Menge des Fleisches von Landtieren. Im Jahr 2012 wurden 90 Millionen Tonnen Fisch in Salz- und Süßwasser gefangen und 66 Millionen Tonnen stammten von Fischfarmen.

Farmen statt Fischen

Amerikaner essen relativ wenig Meerestiere – lediglich sieben Kilogramm pro Person im Jahr. Allerdings stammt der Großteil dieser sieben Kilogramm aus Wildfang. Und dieser Bruchteil an der gesamten Ernährung, möge er noch so klein sein, ist es, der die Ozeane völlig erschöpft. Wir wissen allerdings, wie wir es besser machen können: In grauer Vorzeit begannen unsere Vorfahren damit, den Landtierbestand zu verschonen, indem sie anfingen, Tiere zu halten und zu züchten. Wenn wir weiterhin Meerestiere essen möchten, dann sollten wir anfangen, den Anteil der Tiere zu erhöhen, die wir züchten und in Farmen halten und den klassischen Fischfang drastisch reduzieren.

Die gute Nachricht ist, dass wir die Fischzucht nicht neu erfinden müssen, denn es gibt sie schon seit sehr langer Zeit. In China züchtet man bereits seit Jahrzehnten mit großem Erfolg Pflanzenfresser wie beispielsweise Karpfen. Folgt man dem chinesischen Beispiel, verfüttert man den von Bauern an Land angebauten Mais an die pflanzenfressenden Fische in einem Teich. Ein Großteil der Aquakultur zur Zucht von Welsen nahe der Golfküste der USA sowie die Karpfen- und Buntbarschzucht in Südostasien und auf den Philippinen verfährt nach diesem Prinzip. Jeder Fisch, der in einem Teich gezüchtet wird, rettet einem Fisch im Meer das Leben. Ebenso wie Geflügel verwandeln Fische das gefütterte Pflanzenprotein in Fleischprotein. Und weil sie nicht die ganze Zeit stehen müssen, sind sie darin sogar noch effektiver als das liebe Federvieh: Sie schaffen 2,94 Liter pro Kilogramm!

All die Verbesserungen, die die Geflügelproduktion im Bereich der Aufzucht und der Seuchenbekämpfung besser und effizienter gemacht haben, können und wurden bereits auf Aquakulturen angewendet. Wie ein primitiver Hirte seine „Razorback“ genannten verwilderten Schweine durch die Eichenwälder streifen ließ, so werden in vielen Fischfarmen die Jungfische, beispielsweise Lachse, in das Meer entlassen, um dort weiter an Gewicht zuzunehmen, indem sie sich vor allem an ihren natürlichen Nahrungsquellen gütlich tun. Wenn sie ausgewachsen sind und zum Laichen an ihren Geburtsort zurückkehren, werden sie gefangen und entsprechend weiterverarbeitet. Die jungen Lachse in den Aquakulturen werden mit kleinen Fischen wie Bunker, Sardellen oder Sardinen – oder deren Öl – großgezogen. Im Grunde genommen verwandeln wir also eine „billige“ Fischart in eine ökonomisch wertvollere. Eine Abkehr von dieser als „Ocean Ranching“ bezeichneten Methode hin zu tatsächlichen Fischfarmen in begrenzten Bereichen des Meeres könnte die Fischbestände vor der totalen Erschöpfung bewahren. Natürlich könnte man alternativ versuchen, Lachs und andere Fleischfresser davon zu überzeugen, Tofu zu essen. Auch davon sind wir nicht mehr weit entfernt.

Cobia und Dorade vom Vegetarismus überzeugen

Der Cobia, auch Königsfisch oder Offiziersbarsch genannt, der in der Karibik und anderen warmen Gewässern weit verbreitet ist, bis zu zwei Meter lang und 80 Kilogramm schwer wird, ernährt sich von Krebsen, Kalmaren und kleinen Fischen. Vor kurzem gelang es Aaron Watson und anderen Wissenschaftlern des Instituts für Meeres- und Umwelttechnik der Universität von Maryland, diesen Fleischfresser zum Vegetarier zu machen. Mit einer Mixtur aus pflanzlichen Proteinen, Fettsäuren und einer Aminosäure-artigen Substanz, die sonst in Energy Drinks verwendet wird, konnte man den Cobia – und einen anderen beliebten Speisefisch, die Dorade – vom Vegetarismus überzeugen. Die Möglichkeit, fleischfressende Fische vegetarisch zu füttern, endet den verheerenden Kreislauf, in dem die Fischfarmer den Ozean komplett leer räumen, weil sie die kleinen Fische zur Aufzucht ihrer großen Fische brauchen.

Dasselbe gilt für die Filtrierer unter den Fischarten: Austern, Mies- und andere Muscheln. Mit entsprechender Berücksichtigung der Abwasserableitung, Kontrolle der Krankheitserreger und anderer Empfindlichkeiten kann man mit diesem Modell die Versorgung mit Fleisch von Meerestieren um ein Vielfaches erhöhen. Irgendwann werden wir Fisch vielleicht in geschlossenen Silos in hoher Dichte aufziehen und sie mit Proteinen füttern, die von Mikroorganismen hergestellt wurden, die ihrerseits von Wasserstoff, Stickstoff und Kohlenstoff leben. Diese Fische könnten zum Beispiel Störe sein, gefüllt mit Kaviar. Tatsächlich stammt ein Großteil des in Moskau verkauften Kaviars aus Stören, die in Aquarien in Norditalien gezüchtet werden.

Kurzum: Das großzügige Fangen wilden Fischs und die Zerstörung des Meereslebensraums müssen nicht weitergehen wie bisher. Mit kluger Aquakultur kann sich das Leben in den Ozeanen erholen, die Menschheit weiter versorgt werden, und die Natur kann sich erholen.

Ein Gärbottich für 30 Millionen Menschen

In einer Welt, in der sieben Milliarden Menschen zu ernähren sind, müssen Aquakulturen große Teile der Jagd auf wilde Fische, vielleicht sogar auf jegliches marines Leben ersetzen. Aber haben wir uns nicht schon längst daran gewöhnt, dass wir selbst im weitläufigen Amerika nicht genug wilde Enten oder wilde Blaubeeren produzieren können, um unseren Appetit darauf zu stillen?

Wir sind heute noch auf den Wasserstoff angewiesen, den Pflanzen mit ihrem Chlorophyll herstellen. Mein Kollege Cesare Marchetti hat darauf hingewiesen, dass man, hat man einmal den Wasserstoff gewonnen – z.B. mittels Kernenergie –, damit in unseren Küchen unter Zugabe verschiedener Mikroorganismen ganz verschiedene Substanzen produzieren kann. Seit Jahrzehnten schon stellen Wissenschaftler Nahrung für Astronauten für ihren Weg zum Mars her, indem sie Hydrogenomonas (das Bakterium Cupriavidus necator) mit einer Diät, bestehend aus Wasserstoff, Kohlenstoffdioxid und ein bisschen Sauerstoff, kultivieren. Daraus entstehen dann Proteine, die nach Haselnuss schmecken.

Pro Tag konsumiert ein erwachsener Mensch um die 100 Watt. Das Diablo Canyon-Atomkraftwerk in Kalifornien betreibt zwei Kernkraftanlagen mit einer Leistung von jeweils 1.100 Megawatt auf einer Fläche von anderthalb Quadratmeilen. Die Energiemenge von einigen Gigawattstunden, die in Diablo Canyon produziert wird, wäre ausreichend, um einige Millionen Menschen zu ernähren. Ein Morgen Kernkraftanlage kann Nahrung für über 2.000 Menschen bereitstellen, das ist mehr als zehnmal so viel, wie die erfolgreichen Landwirte David Hula und Randy Dowdy mit ihrem Mais erreichen.

Ein einziger kugelförmiger Gärbottich von 91 Metern Durchmesser könnte die Nahrungsgrundlage für die 30 Millionen Bewohner des Beckens von Mexiko bereitstellen. Bevor sie beim Konsumenten eintrifft, würde die Nahrung natürlich entsprechend in Form gebracht. Jeder Gourmet, der an dieser Stelle die Nase rümpft, sollte sich vor Augen führen, dass unsere raffiniertesten Lebensmittel, wie Käse und Wein, Produkte einer besonders fein abgestimmten Weiterverarbeitung einfacher Rohstoffe wie Milch und Traubensaft mithilfe von Mikroorganismen sind.

Ein solches Nahrungsmittelsystem würde der Menschheit erlauben, weltweit 90 Prozent des Landes und der Meere der Natur zurückzugeben, die im Moment noch zur Lebensmittelgewinnung genutzt werden. In manchen Orten, wie Petaluma und Eureka, beide liegen in Kalifornien, könnte man handwerkliche Landwirtschaft und Fischerei erhalten, um Geschmacksstoffe für die neue Massenware Tofu zu entwickeln.

Lesen Sie morgen in der letzten Folge: Hyperloop statt Auto

Professor Jesse H. Ausubel ist Leiter des Programms für menschliche Umwelt und Senior Research Associate der Rockefeller Universität in New York. Bei dieser Serie handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Amerikanischen.

 

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Teil 3

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Foto: Pixabay

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