Von Sebastian Biehl
Südafrika hat gewählt. Diese Wahl wurde von den Medien zur Schicksalswahl und zur wohl unvorhersehbarsten Wahl seit 1994 hochgeschrieben. Es wurde spekuliert, dass der African National Congress (ANC) wegen der katastrophalen Regierungszeit von Präsident Jacob Zuma (2009-2018) seine absolute Mehrheit verlieren und die größte Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) dann eine breite Koalition bilden könnte, oder dass der ANC knapp gewinnt, aber die Kontrolle über eine oder sogar zwei Provinzen verliert.
Nun sieht es eigentlich auf den ersten Blick so wie immer aus: Der sozialistische ANC bleibt mit weitem Abstand die stärkste Partei, mit absoluter Mehrheit; die liberale DA bleibt die amtliche Opposition, dann folgen die radikal linken Economic Freedom Fighters (EFF) und mit weitem Abstand verschiedene kleinere Parteien. Die Regierungspartei behält die Kontrolle über alle Provinzen außer West-Kapland, was schon vorher fest in den Händen der DA war. In einem europäischen Land wäre die Regierungspartei, die eigentlich alles falsch macht und für ausufernde Korruption, kaputte Infrastruktur und hohe Kriminalität verantwortlich ist oder nichts dagegen tut, bei den Urnen abgestraft worden.
Interessante Verschiebungen
Wenn man sich allerdings das Ergebnis näher anschaut, gibt es doch einige interessante Tendenzen. Erstmal war die Wahlbeteiligung wesentlich geringer, mit 65 Prozent gegenüber 73 Prozent bei der letzten Wahl 2014. Das Regenwetter spielte eine Rolle, aber es war auch ein Ausdruck des Protestes: Viele ernüchterte ANC-Wähler bleiben eher zu Hause, als eine andere Partei zu wählen. Der ANC hat zwar hoch gewonnen mit knapp 58 Prozent, aber doch erheblich an Unterstützung verloren mit minus 4 Prozent, und noch wesentlich mehr an Wählerstimmen verloren. Die DA konnte ihr vorheriges Ergebnis von 22 Prozent nicht halten und fiel leicht auf knapp 21 Prozent. Sie hat zwar einerseits ein paar schwarze Wähler dazugewonnen, andererseits wesentlich mehr weiße Wähler an die konservative Minderheitenpartei Freedom Front (FF) verloren. In enigen Provinzen verlor die DA auch ihren Status als größte Oppositionspartei an die EFF. Die DA wird von einigen ihrer traditionellen Unterstützer als ANC-light angesehen und bewegt sich unter ihrem Chef Mmuzi Maimani immer mehr nach links.
Die EFF hat zwar zugelegt, von 6 Prozent auf 10 Prozent, aber insgesammt weniger stark als erwartet, vor allem wenn man bedenkt, wie viele Fehler der ANC gemacht hat und wie prominent die EFF in den Medien vorkam und wie viel Getöse sie macht. Auch in Südafrika hat Extremismus seine Grenzen. Andere noch extremistischere schwarze Parteien wie Black First Land First (BLF) schnitten sehr schlecht ab, trotz der aufgeheizten Debatte um die entschädigungslose Enteignung.
Mit weitem Abstand folgt die Zulu-dominierte Inkatha Freedom Party (IFP) mit 3,5 Prozent und danach die FF mit 2,5 Prozent. Die FF war der relative Wahlgewinner mit dem größten Zuwachs, nicht nur prozentual, sondern auch was Wählerstimmen betrifft. Es scheint so, als ob mehr Afrikaaner (Afrikaanssprachige Weiße) und auch ein paar Coloureds (Mischlinge) ihr Heil nicht mehr in der liberalen, multi-ethnischen Politik, sondern eher in der Identitätspolitik suchen. Das starke Auftreten der FF gegen Enteignungen und Farmermorde spielt auch eine Rolle. Einige kleinere Parteien, die bei vorherigen Wahlen neu und erfolgreich waren, flogen aus dem Parlament, andere neue kamen hinzu, aber alle im Bereich unter einem Prozent.
Arbeitsplätze sind das dringendere Problem
Für Präsident Cyril Ramaphosa ist das Ergebnis des ANC, der mit einem blauen Auge davon kam, eigentlich genau richtig. Hätte die Regierungspartei ähnlich gut wie beim letzten Mal abgeschnitten, würde das bedeuten, dass den Wählern Korruption, Kriminalität und schlechte Verwaltung völlig egal sind und die Regierung weitermachen kann wie bisher. Zuma und seine Anhänger im ANC hätten sich bestätigt fühlen können. Wäre die Partei zu stark zurückgefallen, oder hätte sogar die absolute Mehrheit verloren, würde der Präsident sich gegen Kritik und Rücktrittsforderungen zu erwehren haben. Auch das mäßige Abschneiden der EFF gibt Ramaphosa etwas Zeit und Spielraum mit der sogenannten Landreform.
Arbeitsplätze sind das dringendere Problem und eine Re-Industrialisierung muss unbedingt in Angriff genommen werden. Nun kann Ramaphosa vorsichtig seine Macht konsolidieren und mit den angekündigten wirtschaftlichen Reformen beginnen. Die Börse sah dies ähnlich und stieg nach der Wahl an. Es ist vielsagend, wenn das Land erleichtert ist, dass seine sozialistische, korrupte und uneffiziente Regierung wieder die absolute Mehrheit bekommen hat, weil alle anderen Szenarien (die die EFF einschließen) noch schlimmer sind.
Es ist allerdings noch ein sehr weiter Weg bis hin zu einem besseren Südafrika für alle, wie es der ANC verspricht. Ramaphosa muss erst einmal den Augiasstall seiner eigenen Partei ausmisten und sämtliche korrupten Zuma-Leute entfernen. Inzwischen drängen die Probleme des Landes zu schnellem Handeln. Möglicherweise war es das letzte Mal, dass die Wähler dem ANC noch eine Chance gaben.
Sebastian Biehl lebt in Südafrika