Rainer Bonhorst / 08.07.2024 / 11:30 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

Die Zocker von Paris und London

Zweimal politisches Panik-Poker. Der eine Zocker, Rishi Sunak, hat aus Verzweiflung alles auf eine Karte gesetzt und ist jetzt weg vom Fenster. Der andere, Emmanuel Macron, hat mehr erreicht als ihm lieb sein kann.

Der Brite Sunak wusste wohl, dass sein Bluff scheitern würde. Er saß ja mit leeren Händen am Tisch. Der Franzose Macron hat die rechten Geister, die er am meisten fürchtete, erst einmal vertrieben. Aber wie wird er die linken Geister, die er so nicht rufen wollte, wieder los. Im Vergleich erscheint Deutschland fast als ein Hort der Langeweile.

Eigentlich wollte Macron seinen Mitte-Verein vor dem Angriff des Nationalen Bündnisses retten, um seine letzten drei Jahre in gemütlicher Partnerschaft mit seinem Parlament zu Ende zu bringen. Aber was hat er sich eingehandelt, nur weil er sich von den Europawahlen ohne überwältigende Not zu seinem Panik-Schritt verleiten ließ! Europas Parlament wählt man nun mal nicht mit dem bitterem Ernst, den sich die Berufseuropäer wünschen. Da kann es schon mal passieren, dass Marine Le Pens Nationale Vereinigung eine Mehrheit erzielt, weil man damit dem ungeliebten Präsidenten schlaflose Nächte zu bereiten kann.

Aber daheim, wenn es um Frankreich geht, machen die Wähler dann doch ernst. Und im eigenen Land ärgern die Franzosen ihren Präsidenten auf andere Weise. Indem sie zwar das tun, was er wollte, aber nicht so wie er es gerne gehabt hätte. Le Pen nur noch Nummer drei im Parlament - da muss sich der Präsident im Prinzip freuen. Aber das Lachen dürfte ihm im Halse stecken bleiben. Denn die Linken haben Macron nicht nur als Verzierung im Kampf gegen die gefürchtete Rechte gedient. Sie haben Macrons Mannschaft kurzerhand auf den zweiten Platz verwiesen und sich als „Neue Volksfront“ an die Spitze des Parlaments gespielt. Die drohende Kohabitation, die der Präsident mit rechts vermeiden wollte, muss er nun mit einem linken Partner versuchen, der ihm kaum besser liegt. In Frankreich hat zwar der Präsident das ganz große Sagen. Aber der Regierungschef ist keineswegs nur ein Handlanger. Schon gar nicht dann, wenn hinter ihm eine andere Mannschaft steht als die des Präsidenten. Im Poker nennt man das: Er hat sich verzockt. Oder geht sein Bluff doch noch auf?

Frankreichs Linke, von Quasi-Kommunisten über Sozialisten bis hin zu den Grünen, sind eigentlich ein zerstrittener Haufen. Sie haben sich für diese Wahl zusammengerauft. Aber werden sie die improvisierte Volksfront bleiben, wenn es darum geht, wer den Regierungschef und die anderen wichtigen Posten stellt? Das können noch spannende Wochen oder gar Monate werden, bis eine neue Regierung steht. Wie dringend man sie braucht ist eine andere Frage. Belgien hat vor einiger Zeit ja gezeigt, dass man ohne lästige Regierung wunderbar leben kann.

Durchregieren, aber wohin?

Derweil müssen in England – ebenfalls nach der Neuwahl-Panik-Attacke des Premierministers - die Konservativen ums politische Überleben kämpfen. Und von den Oppositionsbänken aus zuschauen, wie Keir Starmer mit seiner Labour-Partei das Ruder herumwirft. Naja, vorsichtig umlegt.

Anders als in Frankreich herrschen in England nun so klare Verhältnisse wie schon lange mehr. Das kuriose englische Wahlsystem hat dafür gesorgt, dass die Labour-Partei mit dreißig Prozent der Stimmen jetzt sechzig Prozent der Abgeordnetenplätze belegt. Ganze 412. Damit könnten sie das ziemlich kleine Unterhaus fast allein füllen. Keir Starmer kann, was sich Angela Merkel immer gewünscht hat: Er kann durchregieren. Aber womit? Ein Geld hat er keines, wie man in Bayern sagt. Seine Ambitionen sind darum maßvoll. Von einer linken Revolution, die viele Franzosen derzeit – verfrüht - bejubeln, kann in England nicht die Rede sein. Auf der Insel wird es einen sozialdemokratischen Umbau unter Mangelbedingungen geben.

Die Haupthoffnung ist, dass das Königreich jetzt erst einmal professioneller regiert wird als in den vergangenen Jahren. Die Konservativen waren zuletzt alles anders als konservativ, sondern eher eine Villa Kunterbunt voller Streithähne und Streithennen. Und dieser Streit wird erst einmal weiter gehen. Es muss dringend geklärt werden, wer die dezimierte Fraktion (von satten 365 auf blasse 120) aus der Misere herausführt. Und wie: Mehr rechts im Stile des Lautsprechers Nigel Farage, der mit seiner Reform-Partei zum Abstieg der Konservativen beigetragen hat. Oder mehr mittig a la CDU, was eher zur Tradition der Torys gehört.

Und Keir Starmer? So groß seine Mehrheit im Unterhaus ist, so dünn ist seine Mehrheit im Land. Da kann sich schnell etwas verschieben, wenn er die Landsleute enttäuscht, die ihm diesmal aus Protest gegen die chaotischen Konservativen die Stimme gegeben haben.

Es kann die Zeit kommen, in der er sich wünscht, es so gemütlich zu haben, wie das Dreierbündnis in Berlin. Das liegt sich zwar ständig in den Haaren, rauft sich aber immer wieder zusammen. Wie jetzt beim Haushalt. Es ist eben alles relativ. Was in Deutschland als Kuddelmuddel gilt, kann von außen betrachtet als ein Hort der Stabilität wirken. Unsere raufenden Dreier werden aneinander gekettet ihre Zeit bis zum Herbst nächsten Jahres durchziehen. Und danach wird es mit ein, zwei anderen Darstellern ähnlich weitergehen.

Davon kann Emmanuel Macron derzeit nur träumen. Und Keir Starmer hat gar keine Zeit zu träumen. Den Briten geht es nicht gut, ihre sprichwörtliche Geduld dürfte schnell aufgebraucht sein. Seine beste Hoffnung: eine behutsame, aber für die Wirtschaft förderliche Annäherung an Europa. Seinen neuen Außenminister David Lammy hat er gleich nach der Wahl zu Annalena Baerbock nach Berlin geschickt.

Rainer Bonhorstgeboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Franz Klar / 08.07.2024

Alles Anfänger im Wertewesten :  In Moskau wird nicht gezockt . Da steht das Wahlergebnis schon vorab fest .

Barbara Strauch / 08.07.2024

Wolf Hagen: Sie haben sowas von recht! Der Übermut der Politik (legal, illegal, scheißegal) hat eine brandgefährliche Situation geschaffen. Gott helfe uns und unserm Vaterland!

Sam Lowry / 08.07.2024

“Diese Low-Level-Performer haben Ihrer Meinung nach Alles richtig gemacht, oder ?” Ja, genau nach Auftrag…

Robert Korn / 08.07.2024

An diesem Herrn Melechon wird der Herr Macron noch viel Freude haben. Dieser Mechelon ist ein Trotzkist, also im Herzen ein permanenter Revolutionär mit globalen Umsturzwünschen. Das sind harte Hunde, deren Bereitschaft zu Kompromissen sehr überschaubar ist. Selbstverständlich lehnt er “Brüssel”, die NATO ab - und die Deutschen mag er gleich gar nicht. Mit einer derartigen Regierung werden auch die aktuell Applaudierenden in Berlin noch ganz viel Freude haben.  Ich schaue mir das gerne an…

Gerhard Schweickhardt / 08.07.2024

Vor sehr vielen Jahren hatte ich ein Wahlplakat aus GB zu Thatsher Zeit aufgeschnappt: Labour does’nt work. Und in Erinnerung geblieben. Ich hoffe alle europäischen Regierungen werden die Invasion stoppen. Sonst ist Europa pleite und versinkt im Kalkutta Chaos. Beim Friedenswillen sehe ich leider schwarz.  

Manfred Werner / 08.07.2024

Wer als erste Amtshandlung zu Trampolina B. fährt, den kann ich nicht ernstnehmen.

Joerg Gerhard / 08.07.2024

Der RN hat prozentual genau soviele Stimmen bekommen wie Labour etwa 33%. Labour hat dafuer eine Riesenmehrheit an Sitzen bekommen, der RN den 3. Platz. Der grosse Unterschied und Grund dafuer war, dass diesmal die Rechten eben keine Absprachen à la Fankreich’s Linke gemacht haben. Die linken Parteien insg. haben aber auch in UK mehr Stimmen als die rechten bekommen, dieehrheit der Bevoelkerng will auch dort, da sie mittlerweile von Staatsknete abhaengig ist, einen aufgeblaehten Staat. Der wirkliche Unterschied ist, dass es a) in UK mittlerweile fuer den Buerger komplett irrelevant ist wer von den beiden grossen Altparteien regiert und b) dass in Frankreich der RN oekonomisch auch links ist, die einzigen, wenigen Marktwirtschaftler sind dort im republikanischen Block zu finden, was ebenso wie in UK die Meinung und Lage der Bevoelkerung ziemlich gut widerspiegelt.

Caroline Stonefield / 08.07.2024

Ein “weiter so” wird es in Deutschland nicht ewig geben. Einmal kommt auch hier der “point of no return”. Ich denke, dann werden einige der heutigen Politdarsteller von Merz über Scholz bis Habeck ihr politisches Armageddon erleben. Schiß bis obenhin haben sie doch schon heute.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Rainer Bonhorst / 25.07.2024 / 10:00 / 31

Wer hat Angst vor Kamala Harris?

Natürlich ist noch längst nicht gesagt, wer das Rennen gewinnt. Aber das ist es ja: Es ist wieder alles offen. Die beste Hoffnung der Republikaner…/ mehr

Rainer Bonhorst / 16.07.2024 / 06:00 / 95

Tja, liebes Berlin: Trump kommt 

Trump kommt. Was tun? Beten? All denen, die den nun fast hundertprozentig sicheren nächsten US-Präsidenten für den Gottseibeiuns halten, könnte in der Tat nichts anderes…/ mehr

Rainer Bonhorst / 04.07.2024 / 06:03 / 23

Englands Fourth of July

Heute feiern die Briten ihren eigenen Fourth of July mit einer Parlamentswahl, die voraussichtlich ebenfalls einer Revolution gleichkommt. Nach 14 konservativen Regierungsjahren wird mit an…/ mehr

Rainer Bonhorst / 29.06.2024 / 12:00 / 39

Der Altersverwirrte und die Mauschler

US-Präsident Joe Biden führte sich vor laufender Kamera selbst als kaum amtstauglich vor, ohne dass sein Herausforderer etwas dafür tun musste. Und wie reagiert Europa?…/ mehr

Rainer Bonhorst / 25.04.2024 / 14:00 / 6

Scholz und Sunak – ein spätes Traumpaar

Sie passen gerade gut zueinander: Ihre Länder stecken im Krisen-Modus und sie sind letztlich nur noch Regierungschefs auf Abruf. Er kam spät nach Berlin, aber…/ mehr

Rainer Bonhorst / 17.04.2024 / 10:00 / 31

​​​​​​​Die Bayer(n)-Revolution

Rekordmeister Bayern muss den Meistertitel an Bayer abgeben. Ein Menetekel für die Politik? Wie wird es weitergehen? San mir net mehr mir? Ist rheinisch das…/ mehr

Rainer Bonhorst / 12.03.2024 / 17:00 / 9

Die Kate-Krise oder viel Lärm um nichts?

Ein Familienfoto der Royals ist schon kurz nach Erscheinen als ungelenke Bildmanipulation entlarvt worden. Medialer Wirbel dank Photoshop! Ist Englands königliche Familie eine Fälscherbande? Wenn ja, dann keine…/ mehr

Rainer Bonhorst / 08.03.2024 / 12:00 / 19

Bye bye Nikki, hello Oldies

In den USA duellieren sich Biden und Trump um den Einzug ins Weiße Haus. In diesem Alter würde man in Deutschland weniger auf Karriere als…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com