Sebastian Biehl, Gastautor / 29.06.2024 / 11:00 / Foto: WikiCommons / 24 / Seite ausdrucken

Gerechtigkeit für Gelsenkirchen!

Es ist müßig, sich über hässliche Städte zu ereifern, aber wo wäre Deutschland ohne seine Industriestädte heute?

Bei der EM sehen wir unser Land und unsere Städte aus der Perspektive der Besucher und bekamen das bestätigt, was hierzulande eigentlich jeder weiß: München ist schön und entspricht dem deutschen Cliché, Berlin ist aufregend, aber chaotisch, Frankfurt abweisend und teilweise dreckig, Gelsenkirchen hässlich und langweilig. Das sagten vor allem die britischen Journalisten und die britischen Fußballfans, dabei müssen die nur nach Birmingham, Leeds, Manchester oder Coventry fahren, um das gleiche Schema bei sich zu sehen.

Städteranglisten von den schönsten und hässlichsten Städten Deutschlands und der Welt sind ständig im Internet zu finden und werden in Debattenforen diskutiert. Wenig erstaunlich, sind die üblichen Verdächtigen bei den hässlichen Städten, neben Gelsenkirchen oft Ludwigshafen, Wolfsburg, Essen, Duisburg, Oberhausen, Bitterfeld, Gießen oder Dortmund. Unter den schönen Städten sind München, Heidelberg, Tübingen, Nürnberg, Passau, Trier, Münster, Weimar und Dresden. Erstere sind fast immer Industriestädte, die dazu im Krieg genau deswegen fast vollständig zerstört worden sind, letztere oft Universitäts-, Bischofs- oder Residenzstädte, die wegen ihrer relativ geringen Kriegsbedeutung auch nicht so arg beschädigt wurden (Ausnahme ist natürlich Dresden). Wie man weiß, musste es nach den Zerstörungen des Weltkrieges schnell ans Aufbauen gehen und da war weder Zeit noch Geld für historisch getreue Restaurierungen oder architektonisch ansprechende Neubauten da.

Hässlich, aber wichtig

Es ist müßig, sich über hässliche Städte zu ereifern, als ob sie ihre Hässlichkeit gewählt hätten. Sicher, mancher Stadtrat hat es nicht begriffen, dass man eine Stadt durch Grünanlagen, Abriss hier und Restaurierung dort etwas aufhübschen kann, aber aus Gelsenkirchen oder Oberhausen kann auch beim besten Willen kein Heidelberg oder Rothenburg ob der Tauber werden. So wenig, wie ein Malocher, dem die harte Arbeit ins Gesicht geschrieben steht, wie ein geschniegelter Banker oder wie ein Bildungsbürger in der Oper aussehen kann, auch wenn er Anzug anzieht und sich frisiert. So, wie es Arbeiter geben muss, muss es auch die Arbeiterstädte geben, ebenso wie Akademiker und Universitätsstädte.

Da sind wir dann bei dem wichtigsten Punkt: Ohne seine zahlreichen, eher unattraktiven Industriestädte wäre Deutschland ein armes Land. Das Geld, das früher im Ruhrgebiet oder im Chemiedreieck Halle-Leuna-Bitterfeld erwirtschaftet wurde und immer noch in Orten wie Wolfsburg, Rüsselsheim, Ludwigshafen, Leverkusen etc erwirtschaftet wird, bezahlte über die Steuereinnahmen aus Industrie und Bergbau für die Bauten in den Haupt- und Residenzstädten.

Mit der Wirtschaftsleistung des Ruhrgebiets bauten sich die Hohenzollern ihre Schlösser, die Universitäten und die Villenviertel von Berlin. Ähnlich war es in anderen Gegenden, wo so manche Stadt zum architektonischen Kleinod wurde, weil anderswo das Geld erarbeitet wurde. Mehr noch, auch die Arbeiter und Angestellten, von den Direktoren ganz zu schweigen, gaben ihr Geld lieber beim Urlaub in den schönen Gegenden aus statt dort, wo sie wegen der Arbeit wohnen mussten. Wenn es dann in Rente ging, dann verließ man oft die Arbeiterstadt und zog in die beschaulichen Städtchen in der Natur. Nach dem Strukturwandel gab es dann nicht mal mehr die Arbeiter, sondern vor allem Arbeitslose und immer mehr Migranten. Wer soll da für städtebauliche Verschönerung bezahlen?

Aber wo wäre Deutschland ohne seine Industrie heute, zum Preis vieler gesichtsloser Städte? Vielleicht dort, wo viele beliebte Urlaubsgegenden wie Süditalien, Griechenland und Portugal sind: mit vielen pitoresken und romantischen Städten, aber einer armen Bevölkerung, die gezwungen ist, Arbeit im Ausland zu suchen oder sich den deutschen Touristen (einschließlich der Malocher aus den Industriestädten) als Kellner und Andenkenverkäufer andienen muss.

Darum, kommen Sie das nächste Mal in eine der unansehnlichen Industriestädte, sagen Sie bescheiden: Danke Gelsenkirchen/Oberhausen/Ludwigshafen, ohne dich und andere wie du wäre Deutschland nie zum Wirtschaftsgiganten aufgestiegen.

 

Sebastian Biehl, Jahrgang 1974, arbeitet als Nachrichtenredakteur für die Achse des Guten und lebt, nach vielen Jahren im Ausland, seit 2019 mit seiner Familie in Berlin.

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Leserpost

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Holger Büchert / 29.06.2024

Tobias Meier. Wie schön, dass Sie geflissentlich den Verein 30 Kilometer weiter nicht erwähnt haben. Etwas anderes hätte mich als Dortmunder auch schwer enttäuscht. Aber keine Sorge. Für mich existiert Gkirchen auch nicht. Ihr schafft das schon noch. Das mit der dritten Liga, meine ich.

W. Renner / 29.06.2024

Lang, lang ist‘s her. „Aber wo wäre Deutschland ohne seine Industrie heute“. Die Frage sollte viel mehr lauten, wo ist Deutschland trotz seiner Industrie heute? Der Niedergang von Kohle und Stahl begann schon in den 80er Jahren.

sybille eden / 29.06.2024

Nun sollte man nicht vergessen, dass in vielen zerbomten Städten Speers Architekten und deren Schüler eine Chance sahen, endlich ihre Ideen und Träume verwirklichen zu können. Diesen Nazi - Architekten haben wir zum grossen Teil die barbarische Gestaltung der Innenstädte zu verdanken ! Übrigens auch in Ost-Berlin, denn kommunistische Architekten gab es nicht. Die “Platte” z.B. ist eine “Errungenschaft” der Nazis und passte perfekt zur neuen"sozialistischen Gesellschaft.” Hätte Hitler gewonnen, ständen diese Kästen in ganz Europa. Zum Teil tun sie dies ja auch, weil man diese Bauten als “modern” geframt hat. Sie sind aber nicht modern, sondern totalitär.

Thomas Kurt / 29.06.2024

Na da kommt ja die Zerstörung der deutschen Wirtschaftskraft durch die rotgrünen Faschisten gerade noch rechtzeitig, um auch aus den häßlichen Städten Schönheiten zu machen.

Rolf Wächter / 29.06.2024

Die Lobeshymnen auf die Indutriestädte stimmen für die Vergangenheit. Da waren auch Indutriestädte noch einigermaßen sauber und sicher. Heute: Eine Vielzahl krimineller oder nichtarbeitender Ausländer, die Städte schmutziger und unsicherer als früher. Die Industrie und damit die Malocher sind teilweise weg. Und damit auch diejenigen, die mit Kommunalsteuern und anderen Abgaben die Stadtkassen auffüllten.

Tobias Meier / 29.06.2024

Auch Gelsenkirchen hat schöne Ecken. Tatsächlich ist es eine der grünsten (Groß-)Städte des Ruhrgebietes. Und natürlich hat auch Gelsenkirchen einen Profifußballclub zu bieten, dessen Strahlkraft selbst in den Niederungen der zweiten Liga größer ist als die vieler Bundesligisten. Überhaupt gibt es m.E. deutschlandweit keine Stadt, die so eng mit ihrem Verein verbunden ist wie Gelsenkirchen. Selbst in Europa muss man lange suchen. Liverpool oder Napoli fielen mir da spontan noch ein. Als altem Kind des Ruhrgebietes stimmt mich etwas ganz anderes viel trauriger als die wenig ansehnlichen Innenstädte des Ruhrgebiets. Und zwar stirbt die gute alte und liebenswerte Malochermentalität im Ruhrgebiet langsam aber sicher aus. Diese Hemdsärmeligkeit, der verschmitzte Humor, die ehrliche Art, die Gastfreundschaft (“egal von wo du wechkomms”), all das findet man immer seltener. Gleiches gilt für die typische Ruhrgebietssprache: aus “dat” und “wat” wird zunehmend “isch” und “walla”. Verantwortlich für all das sind m.E. vor allem die Migration aus dem In- und Ausland sowie seit Jahrzehnten schlechte Wirtschaftslage, die ein echter Stimmungskiller in dieser Region ist. Weder rot-grün noch schwarz konnten hier jemals wirkungsvoll gegenlenken.

Bertram Scharpf / 29.06.2024

Ein alter Hut. 2006 waren Kassel und Saarbrücken dran, weil eine junge Schweizer Journalistin witzig sein wollte.

Rudolf Dietze / 29.06.2024

Früher waren es einzelne Städte, heute ist das ganze Land eine Industrielandschaft. Der Glaube versetzt Windräder. Was Häßlicheres gibt es nicht. Auf Bergeshöhen, in Wälder werden die Klimagläubigen beglückt.

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