Necla Kelek (2): Frauenunterdrückung per Gesetz

Kein Herrschaftssystem, sei es eine Diktatur oder eine Demokratie, kann auf Dauer im Zustand der Willkür existieren. Und wenn eine Gesellschaftsordnung wie die islamische Umma im Kern auf der Annahme beruht, dass der Mann nach göttlichem Willen über die Frau zu herrschen habe, wenn Gläubige bessergestellt werden als Nichtgläubige, wenn diese Annahme davon ausgeht, dass die göttliche Offenbarung nicht verhandelbar ist, so ist diese Ordnung zunächst einmal nicht gerecht, aber im herkömmlichen Sinne Recht.

Die Scharia, wie das islamische Recht in seiner Gesamtheit und Bedeutung verkürzt auch genannt wird, ist ein Rechtssystem, auch wenn es nach heutigem oder westlichem Verständnis Unrechtsherrschaft legitimiert. Man darf sich das islamische Recht allerdings nicht als ein übergreifendes, einigermaßen klares Gesetzeswerk mit kalkulierbaren Lösungen oder gar als ein Gesetzbuch vorstellen, sondern es ist ein „religiöses Normensystem“, wie der Jurist al-Na’im sagt. „Das weite Verständnis der Scharia umfasst die Gesamtheit aller religiösen und rechtlichen Normen, Mechanismen zur Normfindung und Interpretationsvorschriften des Islam, also etwa der Vorschriften über Gebete, Fasten, das Verbot bestimmter Speisen und Getränke wie Schweinefleisch und Alkoholisches und die Pilgerfahrt nach Mekka ebenso wie Vertrags-, Familien und Erbrecht.“

In meiner Betrachtung über die Familie ist das islamische Recht wichtig, weil das Ehe- und Familienrecht die entscheidende Rolle bei der Konstituierung der islamischen Gesellschaft und der Legitimation der Unterdrückung der Frau spielt. Die rechtliche Kodifizierung des Verhältnisses von Mann und Frau in Ehe und Familie ist die Basis, auf der seit über tausend Jahren Frauen in Abhängigkeit gehalten werden. Kein anderes Rechtsgebiet der Scharia, weder das Staats-, Vertrags-, Wirtschafts-, Gesellschafts-, noch das Strafrecht, war so früh und umfassend ausformuliert wie das Personenstands-, Ehe- und Familienrecht. Das Ehe- und Familienrecht des Islam ist denn auch bis heute in fast allen vom Islam dominierten Staaten in weltliches Recht übernommen worden.

Das osmanische Familiengesetzbuch vom 25. Oktober 1917 entstand mitten im Ersten Weltkrieg und kurz vor dem Ende des immerhin über sechs Jahrhunderte existierenden Osmanischen Reichs. Es war das erste auf der Grundlage der Scharia gegründete Gesetzbuch der islamischen Welt. Es wurde in Jordanien, im Libanon, in Palästina und später auch (abgeändert) für die muslimische Bevölkerung in Israel übernommen und ist immer noch Grundlage des Familienrechts in diesen Ländern. Wie sich die islamische Auffassung über die Familie in einem weltlichen Gesetz dokumentiert, zeigt das der osmanischen Vorlage entsprechende Beispiel aus Syrien im Anschluss.

Herrschaft des Mannes in Familie und Gesellschaft

Eine Ausnahme bildet hier die heutige Republik Türkei, die sich von den Gesetzen des Osmanischen Reiches gelöst hat, und in der mit der Republikgründung das europäische Zivil- und Personenstandsrecht eingeführt wurde. In Tunesien, obwohl es sich in der Verfassung zum Islam als Staatsreligion bekennt, wurden 1957 die religiöse Ausrichtung des Familienrechts weitgehend aufgehoben, die Polygamie verboten und die Frauenrechte gestärkt.

Eine negative Entwicklung gibt es in Indonesien, wo unter dem Einfluss von Islamisten in den letzten Jahren islamkonforme Regelungen rechtlich kodifiziert zum Gesetz wurden. Die Familiengesetzgebungen im Iran, in Pakistan, aber auch in Ägypten enthalten immer noch Spuren der von den Kolonialstaaten Frankreich und England eingeführten bürgerlichen Gesetze. Obwohl in der Praxis im Alltag offensichtlich das nichtkodifizierte Scharia-Recht angewandt wird.

Die historisch gewachsene orientalische Familie, wie sie durch das islamische Familienrecht rechtlich installiert wurde, ist die Basis der Herrschaft des Mannes in Familie und Gesellschaft. Das Prinzip der patriarchalen Herrschaft des ältesten Mannes über den Familienverband findet seine Entsprechung noch heute in den gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen. (…) Frauen sind in dieser Gesellschaft entmachtet. Sie haben allenfalls Macht im Haus, bei der Führung des Haushalts. Dem Mann aber gehört die Öffentlichkeit, und er ist Herr über seine Familie. Zusammen bilden die Männer eine das Zusammenleben dominierende Gemeinschaft. Ihre Religion, der Islam, legitimiert sie.

Solange dies so ist, wird sich in der islamischen Welt nichts ändern. Voraussetzung für eine Emanzipation und Befreiung der Frau ist die Delegitimierung dieser Männerherrschaft. (…)

Das syrische Personalstatusgesetz, erstes Buch: Die Ehe

Art. 1

Die Ehe (zawāǧ) ist ein Vertrag zwischen einem Mann und einer Frau, durch den ihnen der geschlechtliche Umgang miteinander erlaubt wird und der die Begründung des gemeinschaftlichen Lebens und die Zeugung von Nachkommen bezweckt.

Art. 2

Das Verlöbnis, das Versprechen, die Ehe zu schließen, die Rezitation der Eröffnungssure des Korans, die Übergabe der Brautgabe und die Annahme von Geschenken stellen keine Eheschließung dar.

Art. 3

Jeder der Verlobten kann das Verlöbnis auflösen.

Art. 4

(1) Leistet der Verlobte die Brautgabe (mahr) in Geld und kauft die Frau sich hiervon ihre Ausstattung (ǧahāz) und tritt der Mann daraufhin von dem Verlöbnis zurück, hat die Frau die Wahl, den entsprechenden Geldbetrag oder die Ausstattung herauszugeben.

(2) Löst die Frau das Verlöbnis auf, muss sie die Brautgabe oder deren Wert zurückerstatten.

(3) Freiwillige Zuwendungen unterliegen den Vorschriften über die Schenkung (hiba).

Art. 5

Die Ehe wird durch das Angebot (īǧāb) des einen und die Annahme (qabūl) dieses Angebotes durch den anderen Verlobten geschlossen.

Art. 6

Das Eheangebot und die Annahme erfolgen entweder wörtlich oder durch Verwendung von Formulierungen, die üblicherweise in diesem Sinne verstanden werden.

Art. 7

Angebot und Annahme können schriftlich erklärt werden, falls eine der beiden Vertragsparteien abwesend ist.

Art. 8

(1) Bei der Eheschließung ist die Stellvertretung (taukīl) zulässig.

(2) Der Vertreter (wakīl) kann die Vertretene nicht mit sich selbst verheiraten, es sei denn, diese Möglichkeit ist in der Vollmacht vorgesehen.

 

Dies ist ein Auszug aus Necla Keleks neuestem Buch „Die unheilige Familie. Wie die islamische Tradition Frauen und Kinder entrechtet“, 2019, München: Droemer, hier bestellbar.

Lesen Sie morgen: Konkrete Maßnahmen, um Frauenrechte durchzusetzen.

Teil 1 finden Sie hier.

Teil 3 finden Sie hier.

Teil 4 finden Sie hier.

 

Necla Kelek, Soziologin, wurde 1957 in Istanbul geboren. Als Autorin verschiedener Bücher prägte sie die deutsche Debatte um Integration, vor allem als Kritikerin des autoritären Frauenbilds im traditionellen Islam. Sie ist Teil des Vorstands der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“.

Foto: Medienmagazin pro Flickr CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Sabine Schönfelder / 11.03.2020

Martin@Schrott,  genau hier beginnt die Wirklichkeit. Mit der Delegitimierung der Männerherrschaft verhält es sich ungefähr so, wie mit dem Umbau der EU zu einer wirtschaftlich sinnvollen Gemeinschaft: Kein Mensch läßt sich freiwillig angenehme Privilegien nehmen. Nicht der EU-Vollversorgte und noch weniger der ausgepamperte Ali aus dem Morgenland. Der Muselmane lebt das perfekte Macho-Leben auf Kosten seines weiblichen Bevölkerungsanteils. Ist doch cool! Egal wieviel Pech er beim Denken hat, alles hört auf sein Wort, und warum??  Weil er ein Männchen ist, weil er kein Mädchen ist, weil er ein Mähähänchen ist…...

Hermine Mut / 11.03.2020

Danke für Ihren informativen und wichtigen Beitrag, Frau Kelek !

Volker Kleinophorst / 11.03.2020

@ S, Schönfelder. “Schauenˋs es liegt doch nicht am Geschlecht, wenn eine bescheuerte Person Deutschland regiert.” Wenn es nur eine “Person” wäre, wär es zu verkraften. “Die Frauenquote, noch einmal, ist politisch erwünscht von linken MÄNNERN und Frauen, um durch diese Neubesetzung auf hörige muntere (hysterische?) Hausfrauen zu setzen, die leichter zu fanatisieren (dumm?) sind.” Das bin ich ganz bei Ihnen. Wieso linke MÄNNER groß geschrieben werden? Ich rede da von Männchen, mehr akzeptiert ein Matriarchat nicht. (Außer im Bett natürlich.) “Wo bleibt denn EUER EINSATZ? Glaubt Ihr, indem Ihr andere Frauen beleidigt, die ebenso unter diesen linken Schwachmatinnen leiden, es würde irgend etwas besser?” 1. Och Putzi, Putzi, is Frauchen beleidigt. Da kann ich ja nur unrecht haben. Als Mann wird man den ganzen Tag von Frauen beleidigt, ist quasi Staatsziel. Gleichberechtigung beinhaltet auch das Recht, beleidigt zu werden. 2. Über meinen Einsatz wissen Sie doch gar nichts. Also mal ganz schön sachte. “Frauen mittlerweile immer selbstständiger werden” So lange Mann zahlt. (Der Staat ist in dem Fall auch ein Mann, Männer zahlen nämlich deutlich mehr Steuern.) “Strengt Euch mehr an.” Ja Mutti alles klar. Geht es sonst ohne Nachtisch ins Bett. Strengt ihr euch doch mal an. Das wär mal was Neues. Und bitte, machen Sie sich keine Sorgen wegen meines Selbstbewusstseins. Ich trete zur Diskussionen gegen jede Frauengruppe an. Da brauch ich nicht mal einen Sidekick. Aber: “Und trotzdem bekomme ich die Krätze, wenn ich das Urteil von Weinstein lese, die arme Sau. Er wird dem Zeitgeist geopfert, während in unserer Regierung jede Menge Kriminelle frei rumlaufen. So ist die Realität. Scheiße, sometimes.” Da sind wir voll auf einer Linie. Den Frauen abzufordern, zuzugeben, dass ein Matriarchat kein Land führen können, ist sicher viel verlangt. Ihr wollt doch nicht in Watte gepackt werden? Ihr werdet ja immer selbstbewußter. Aber ist noch Neuland. Das mit der Verantwortung kommt noch.

giesemann gerhard / 11.03.2020

@Heinz Gerhard Schäfer: Klar haben “die muslimischen Männer dieses Problem nicht”: Sie haben auch noch nie was erfunden. Im Übrigen, bei allem Respekt vor Frau Kelek, ich wäre schon froh, wenn die Kinderehen bei unseren muslimischen Freunden nicht so heftig dafür sorgen täten, dass die demographische Eroberung so prächtig läuft, befeuert durch Senkung der Generationenfolge auf so ca 15 Jahre, verbunden mit viel zu vielen Kinderchen - deren Lebensperspektive sich dann auf das Hinrennen zum Kuffar oder Kaffir erschöpft. Mit lautem Allähuäkhbärgeplärre an der griechischen Grenze. Oder sonstwo.

Thomas Scherer / 11.03.2020

Zitat: “Kein Herrschaftssystem, sei es eine Diktatur oder eine Demokratie, kann auf Dauer im Zustand der Willkür existieren.” Sind 600 Jahre keine Dauer?

H. Scheid / 11.03.2020

Alle Religionen (die meisten jedenfalls) sind Opium fürs Volk, von Menschen gemacht und haben bisher langfristig immer zu Kriegen geführt. Was Frau Kelek in ihrem Artikel zu recht anprangert, war bis vor wenigen Jahrzehnten in Deutschland, damals hier, ohne muslimischen Dogmatismus, die uneingeschrängte Macht der Männer in allen gesellschaftlichen Positionen! Durch die Modifizierungen (katholische Kirche) und Anwendung “christlicher Werte”, zurechtgebogen durch den Vatikan, war das Christentum ähnlich frauenfeindlich wie der Islam heute! Nun, wie in einigen Kommentaren zu lesen ist, sei die Gleichstellung der Frau heute in Deutschland mit einer geistigen Kastrierung unserer großartigen Männer gleichzusetzten. Das ist hanebüschender Quatsch. Hätte man Frauen nicht derart jahrhundertelang unterdrückt, wären die auch Erfinderinnen, Forscherinnen aber vermutlich keine Feldherrinen geworden. Was mich bei Frau Kelek wundert, ist die Tatsache, das sie immer noch dem muslimischen Glauben angehört.

F. Auerbacher / 11.03.2020

Wo ist das Problem? Außer Art. 8, den ich nicht so richtig einschätzen kann, ist doch alles gut geregelt. Ich sehe eigentlich nichts Dramatisches.

J.P. Neumann / 11.03.2020

Ich habe einige Jahre im Maghreb gearbeitet und darf sagen, dass es vollkommen ausgeschlossen ist, sich als Westler in eine islamische Gesellschaft zu integrieren.  Umgekehrt ist es für diese Menschen hierzulande sicher noch wesentlich schwieriger. Überhaupt verlaufen die Grenzen der islamischen Gesellschaften (falls man sie so bezeichnen kann), entlang von Rasse, Herkunft und Religion.  In dieser Reihenfolge. Deshalb ist die Integration mMn auch nichts weiter als politische Hütchenspielerei a la “Wir schaffen das”.  Dazu ein kleines Beispiel:  Anno 1998 verbot der König von Marokko die Vergabe von christlichen (gemeint sind europäische) Namen an Neugeborene. Dieses Verbot gilt seitdem weltweit, auch für alle Marokkaner im Ausland.  Mir ist keine Kritik daran bekannt.  Insbesondere nicht von der westlichen Presse.  Auch Verstöße gegen dieses Gesetz sind mir nicht bekannt, alle Marokkaner halten sich daran.

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