Okinawa hat ein Lärmproblem, das sich wohl nur im Bereich der internationalen und Sicherheitspoltitik lösen ließe. Über den Köpfen der Einwohner fliegen regelmäßig die Ospreys des U.S.- Airforce Special Operations Command.
The ongoing dispute over the relocation of U.S. Marines on Okinawa should be quickly settled. This isn’t just an issue for the U.S. and Japan. It has regional implications. Ed Royce
Okinawa sei „among American Military bases“ berichten einige der lokalen O‘khinas, die lange zurückreichende Wurzeln auf diesen südseeischen Inseln im Ostchinesischen Meer haben. Ihr früheres Königreich Ryūkyū, das sich mit mehr als 160 Inseln bis weit nach Ost-Südost in den Pazifik hinein erstreckte, liegt näher an Taiwan als an der japanischen Hauptinsel Honshu, es war historisch kulturell enger verbunden mit sino-malaiischen und siamesischen Kulturen als mit denen des japanischen Yamato. Ryūkyū kam schließlich als neu ernannte Präfektur Okinawa erst in der Meiji-Periode 1879 zum japanischen Reich hinzu – so, wie das klassische Japanisch erst im 20. Jh auf ihren Inseln dominant wurde. Bis heute pflegen sie hier Südsee-Gebräuche und eigene Dialekte (Japanisch-Ryūkyū) auf jeder Insel, die selbst sprachlich versierten Japanern teils unverständlich sind.
Mit der japanischen Kapitulation 1945 änderten sich auch für Okinawa grundlegende Verhältnisse, wie beispielsweise militärische Besatzer auf gewaltige Flächen umfassendem Militärgelände als Mitbewohner hinzukamen – US-Marine Camps Foster, Hansen, Lesser, Schwab, Butler, Kadena Airbase, Airstation Futenma (über ihre Verlegung gibts seit dem Einsatz der titelgebenden Osprey-Flieger eine andauernde Debatte) und mehr beherbergen mittlerweile fast 20.000 Marines allein auf der Hauptinsel und ein paar O’khinas raunen halb im Spaß „Hätten wir nur nicht ‚The battle of Okinawa’ verloren.”
Dies war die grausamste, fast 3 Monate währende Schlacht der US-Truppen im Pazifikkrieg, ihr Blutzoll stellt selbst D-Day und mörderische Kämpfe gegen die deutsche Wehrmacht und ihre Verbündeten in Europa in den Schatten. Der ungebrochene Kampfeswillen japanischer Soldaten bis zum Tod erschien den Amerikanern so nebulös wie offensichtliche Angst und Hass der Zivilbevölkerung; freilich war Okinawa auch die letzte große Insel und sozusagen das letzte Bollwerk vor dem endgültigen Angriff mit Truppen auf die Hauptinsel Honshu.
„Asien den Asiaten“
Die Zerstörung vieler Ortschaften auf Okinawa lag bei mehr als 90 Prozent; ein paar tausend japanische Soldaten wurden im Laufe der Kämpfe zwar gefangengenommen, doch weit über 100.000 Japaner wurden während der Kämpfe getötet, nahmen sich selbst das Leben oder starben bei Kamikaze-Aktionen (besuche hierzu Okinawa Peace Memorial Park oder Sakima Art Museum Ginowan). Mit der Erkenntnis weitreichender Ahnungslosigkeit japanischen Lebens, ihrer Gebräuche und Sitten erstellte die amerikanische Anthropologin Ruth Benedict im Auftrag ihrer Regierung noch zu Kriegszeiten eine kulturelle Studie über die Hintergründe widersprüchlichen japanischen Verhaltens (Chrysantheme und Schwert), das amerikanische Entscheidungsträger neben weiterreichenden geo-strategischen Überlegungen zum Abwurf ihrer Nuklearbomben über Hiroshima und Nagasaki mitbewegt haben mag.
Japan war im Pazifikkrieg ursprünglich unter der Losung “Asien den Asiaten” gestartet und hatte damit begonnen, die damals in diesem Erdteil vorherrschenden Kolonialmächte England, Frankreich, Niederlande, USA aus ihren Besitzungen zu vertreiben. Doch war das eben nicht alles, wie es sich schon in China mit der Errichtung des japanischen Marionettenstaates Mandshukuo abzeichnete, und bei verschiedenen Protagonisten setzte sich die Ideologie japanischer Vorherrschaft über Asien und andere asiatische Völker durch, auf die sie herabschauten. Auch Militärs spielen manchmal ihr ganz eigenes Spiel und verschiedene Kriegsverbrechen, gerade gegenüber der asiatischen Zivilbevölkerung, sind dokumentiert (tausende Japaner wurden abgeurteilt und mehr als 900 nach Kriegsende hingerichtet). Ob und wie der japanische Angriff gegen den Flottenstützpunkt Pearl Harbor als ein bewusst robuster Schlag zum Auftakt einer ohnehin unausweichlichen, kriegerischen Auseinandersetzung gegen die USA zu bewerten ist, debattieren bis heute Kriegshistoriker.
Jetzt aber ist Republic of China (Taiwan) gleich nebenan südwestlich von Okinawa, weiter westlich über die Meeresenge Formosastraße kommt schon die asiatische Festlandküste mit People’s Republic of China (China), und in Reichweite ihrer kriegserprobten Nachbarn (Korea, China, Russland), mit denen sie in der Vergangenheit die Waffen kreuzten, sind viele Japaner heutigentags vielleicht froh, auf Seiten der USA zu stehen. Amerikaner jedenfalls scheinen nicht nur aus strategischen Gründen gern auf Okinawa zu sein – die Lebenshaltungskosten hier sind im Vergleich zum Rest Japans und den USA weniger hoch (es werden aber auch geringste Mindestlöhne für einfache Jobs gezahlt), Südsee-Schönheiten dieser Inseln sind gern gesuchte Models, und die Anzahl gemischter Paare mit einer japanischen Ehefrau ist auf Okinawa um ein Vielfaches höher als nördlich davon. Wie übrigens auch Japaner ihrerseits gern auf den pazifischen Inseln des amerikanischen Bundesstaates Hawaii heiraten und leben, wo sie fast ein Fünftel der Bevölkerung stellen und Japanisch wie eine dritte, inoffizielle Amtssprache erscheint; allerdings im Unterschied zu den amerikanischen Marines auf Okinawa sind sie dort ausschließlich als Geschäftsleute, Surfer u.a. Privatpersonen.
Jene oben erwähnten Osprey (V-22) sind nun spezifisch konstruierte Raubvögel – dieses neuartige Fluggerät, das übrigens inzwischen auch zum Bestand der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte gehört, transportiert zwei bis drei Dutzend Marines oder bis zu 5 Tonnen Ladung, es verknüpft mit seinen Drehrotoren zum Auf- wie Antrieb und der Fähigkeit zur Luftbetankung die Eigenschaften von Helikoptern mit Langstrecken-Turbopropfliegern und wurde nach dem Einsatz-Desaster in der iranischen Wüste (1980, Operation Eagle Claw) im Militärauftrag von Bell und Boeing konstruiert. Die Entwicklungskosten explodierten derart ($30 billion in 1988, and counting), dass der damalige Verteidigungsminister Cheney das Programm mehrfach stoppen wollte, doch immer wieder vom Kongress davon abgehalten wurde.
Das U.S.-Airforce Special Operations Command wirbt mittlerweile mit brillanten Osprey V-22 Werbevideos, Marines lieben sie aufgrund ihrer taktischen Vorzüge. Speziell für Search and Rescue-Missions hinter feindlichen Linien und gemäß dem Anspruch einer globalen Eingreiftruppe ist der Name dieses Raubvogels, der in seiner natürlichen Form auf nahezu allen Kontinenten anzutreffen ist, in ihrem Sinne treffend gewählt. Auch die Filmindustrie entdeckte diese besonderen Flieger, deren Stückkosten bei > $70 Mio gehandelt werden, als kinematographisches Accessoire (Transformers, Resident Evil, Spectral, Mission Impossible u.a.).
Unter ihrem Eindruck visueller Extravaganz meinen nun einige spöttisch, dass Osprey für Marines das sei, wofür der Porsche bei manchen Deutschen stehe – eine Schw*nzverlängerung zum Protzen, ein Männer-Spielzeug. Jawohl, Ospreys machen mächtig was her, wenn sie im Tiefflug über einen hinüberflattern, doch ist es ein großer Unterschied, ob sie im militärischen Irgendwo operieren oder über stark bewohntem Gebiet auch nach Einbruch der Dunkelheit noch ihren durchdringenden Schall verbreiten, wie in Ginowan, wo sich die umstrittene Futenma Air Station befindet. Freilich wurde vielerorts das Militär mittlerweile – nicht nur in den USA, sondern auch in Japan – ein erheblicher Wirtschaftsfaktor, der lokal generell akzeptiert wird, doch nicht wenige Anwohner klagen auch über schädigende Auswirkungen, die Ähnlichkeiten aufweisen zu Berichten von Leuten, die nahe an Windkraftanlagen wohnen.
Gesundheitsgefährdende Auswirkungen
Japaner möchten heutzutage allgemein in Ruhe gelassen werden, sie schätzen buddhistische Gelassenheit, zivilisatorischen Hochstand sowie kulturelle Blüte, sie pflegen und schützen ihre Umwelt – somit sind beispielsweise, anders als in DE, Solar- und Windenergieerzeugung oder Elektromobilität (auch) auf Okinawa marginal sowie „Klimaschützer“ unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Wer als Freund schöner Natur und Umwelt Genuss erstrebt, der möge einfach diese polynesisch geprägten Inselketten bewandern wie bewundern, und wer die bunte Meereswelt der Südsee erkunden will, ohne tauchen zu gehen, sollte im Ocean-Expo-Park Motobu das zweitgrößte Aquarium der Welt, Okinawa-Churaumi, besuchen. Es ist innerhalb einer weiträumigen Anlage am Meer, die auch wissenschaftliche Forschungseinrichtungen beherbergt und in der seit vielen Jahren in gesunder Vielfalt unter anderem die größten Fische der Erde (Walhaie) und viele weitere Meeresbewohner (verschiedene Haiarten, Manta- u.a. Rochen, Schildkröten, Delfine, Riesenkrabben usw.) in riesigen Becken und Aquarien in Nachbarschaft des Ozeans beim Durchlaufen zu bewundern sind.
Auch wenn sie ein großartiges Werk der Flugtechnik sind und aus militärtaktischer Hinsicht den Marines für Spezialoperationen ein überragend wichtiges Equipment wurden, erscheinen doch jene Ospreys inzwischen vielen O’khinas als enorm nervig, und mehr als ein Report bestätigt ihre gesundheitsgefährdenden Auswirkungen: „In the report, the groups expressed concern that the military bases in Okinawa and certain aircraft based there, particularly the MV-22B Osprey, were causing ‘grave health, environmental, and social problems’ for the local population. These included noise pollution, which as far back as 1980 has been categorized by the World Health Organization as an environmental health risk.”
Konsequent gehen nunmehr lokale Politiker und Initiativen offensiv dagegen vor, und zwar auf dem amerikanischen Weg: Sie erstreiten Millionenkompensationen durch Schadenersatzklagen und treiben damit zumindest den Preis für ausschweifende Osprey-Flüge, von den Marines augenscheinlich sehr geschätzt, enorm in die Höhe. Ist dies vielleicht eine Win-win-Situation? Nein, denn die Kosten tragen amerikanische Steuerzahler und Japaner; nur das U.S. Marine Corps wird mit reinem Lächeln von Lauterkeit beteuern: Advantages outweigh the disadvantages; all bills are paid by the government …
Bernd Hoenig ist Religionswissenschaftler, Jahrgang 1966, lebte in Berlin, traf seine heutige Ehefrau Mayu 2016 in Deutschland und lebt mit ihr Japan, wo sie ihre Firma (mittejapan.com) gründeten. Dieser Beitrag erschien zuerst in seinem Blog Japoneseliberty. Dort beleuchtet er bevorzugt nichtalltägliche Themen, beurteilt aus der liberalen Sicht eines abendländisch freien Geistes.