Raus aus der Blase, rein in den Wettstreit der Ideen!

Von Sabine Beppler-Spahl.

Wer zum Battle of Ideas nach London fährt, verlässt die Komfortzone der herkömmlichen Gewissheiten und begibt sich an einen Ort, in dem die einschränkenden Regeln des „safe space“ nicht gelten. So beschreibt der Australier Nick Cater, Kolumnist der Zeitung „The Australian“ und einer der über 450 Redner, das Debattenfestival, das in diesem Jahr zum 15. Mal ausgetragen wurde. „Free Speech Allowed“ (Freie Rede erlaubt) ist das Motto des zweitägigen Events mit seinen über 100 Podiumsdebatten und über 3.500 Teilnehmern. Gegründet wurde das Festival vor 15 Jahren von Claire Fox, der Vorsitzenden der parteiunabhängigen Academy of Ideas. Und weil immer mehr Teilnehmer dazu kamen, findet es seit acht Jahren im Barbican Centre, dem größten Kultur- und Konferenzzentrum Londons, statt.

Kontroverse, sensible Themen scheuen die Organisatoren des Festivals nicht und so wurde auch in diesem Jahr wieder über alles diskutiert: von staatlicher Souveränität, EU, Demokratie  und Meinungsfreiheit über künstlicher Intelligenz, Bildung, Identitätspolitik, Ökologismus, Islam, Brexit bis zu Innerer Sicherheit und Zombie-Ökonomie. In Zeiten, da immer mehr Politiker sowie Journalisten nervös auf den freien Austausch von Ideen (etwa im Internet) reagieren und eine Verrohung des öffentlichen Diskurses fürchten, ist es tröstlich, dass es so etwas wie dieses Festival gibt. Beim Battle of Ideas wird hart diskutiert und alles darf hinterfragt werden – aber es geht dennoch zivilisiert zu.

Viele denken, es sei heutzutage schwer, öffentliche Debatten zu führen, sagt die Mitorganisatorin des Festivals, Ella Whelan. Doch ihre Erfahrung sei, dass wenn man sein Thema kennt und den Mut hat, dem Publikum auch eine schwierige Diskussion zuzutrauen, immer eine gute Debatte möglich ist. Wie könne man eine klare eigene Meinung bilden, wenn man sich nur in Echokammern bewegt und keine gegnerischen Ansichten zulässt?

Niemand überfordert oder persönlich beleidigt

Das heißt nicht, dass es zahm oder langweilig zuging. Ein großes Problem sieht Whelan in den oft selbst auferlegten Tabus, die in Sätzen wie „das kann man doch nicht sagen“ zum Ausdruck kommen. In einer Diskussion kam es zu einem Schlagabtausch zwischen einem Redner und Teilen des Publikums über die Frage, wie die Zukunft des Planeten gesichert werden könne und ob die Aktionen von Extinction Rebellion menschenfeindlich und undemokratisch seien.

In einer anderen Session musste sich ein Mitglied des House of Lords anhören, er solle sich lieber für die Abschaffung dieser nicht gewählten, elitär-feudalen Organisation einsetzen, statt für die EU. Trotzdem fühlte sich niemand überfordert oder persönlich beleidigt. Im Gegenteil: Die Debatte ging erst nach diesen Wortmeldungen richtig los. In dem randvollen Saal, in dem über 300 Personen saßen, ging es um die Frage, wer und was eigentlich „das Volk“ ist, wie weit die Demokratie gehen müsse und wo die Grenzen zwischen Politik und Rechtsprechung gezogen werden sollten.

Besonders erstaunlich ist, dass das jährliche Festival nur von einem kleinen Team, bestehend aus 15 Mitarbeitern auf die Beine gestellt wird. Finanziert wird es vor allem durch Sponsoren (darunter auch das Barbican Centre, die britische nationale Lotterie „Camelot“, der Spirituosenhersteller Diageo). Hinzu kommen die Beiträge der Mitglieder der Academy of Ideas. Ohne das große Engagement und den festen Glaube an den hohen Wert des freien Austauschs von Ideen der vielen zusätzlichen Helfer wäre die Organisation eines solchen Festivals nicht möglich. Und die Arbeit ist mit dem Festivalwochenende nicht beendet. Schon am Montag danach heißt es, „nach dem Battle ist vor dem Battle“; denn zusätzlich zu der Veranstaltung in London finden in verschiedenen europäischen Städten sogenannte „Satellite Events“ statt.

In diesem Jahr sind das Veranstaltungen in Athen, Berlin, Brüssel, Dublin, Milan, Porto und Stockholm. Wer einen Eindruck vom Battle of Ideas haben möchte, aber nicht nach London reisen konnte, ist herzlich eingeladen, an diesem Samstag, dem 23. November, nach Berlin zu kommen. Die Themen, die diskutiert werden sind die Spaltungen in Deutschland, dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer sowie Sportwettbewerbe in Zeiten der Transsexualität und die Klimakrise.

Da es sich um eine Satellite Veranstaltung des Battle of Ideas handelt, sind alle Debatten auf Englisch. Aus Großbritannien (Academy of Ideas) werden Rob Lyons (Autor von „Panic on a plate” zum Thema Klima) und Dolan Cummings, (Autor von „That Existential Leap – a crime story” zum Thema Spaltungen und Populismus) sprechen. Weitere Redner sind unter anderen Michael Bittner (Kolumnist und Autor: Der Bürger macht sich Sorgen), Steffen Hentrich (Referent Umweltpolitik, FDP), Antje Hermenau (Autorin von „Ansichten aus der Mitte Europa: Wie Sachsen die Welt sehen), Matthias Honegger (Wissenschaftlicher Mitarbeiter IASS Potsdam), Sven Titz (Meteorologe und Journalist NZZ).

„Battle of Ideas Berlin 2019” - Samstag den 23. November, 14:00 bis 18:45 Uhr. University of Applied Sciences Europe, Dessauer Str. 3-5, 10963, Berlin. Weitere Informationen und Tickets unter battleofideas.org.uk.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Werner Arning / 19.11.2019

Geht so etwas in Deutschland? So richtig :  jeder darf seine Meinung sagen? Ohne Antifa und Trillerpfeife? Ohne Aufruf zum Widerstand? Ohne Sprechverbote? Fast nicht vorstellbar. So richtig frei? So wie in England? So richtige Diskussion? Mit ganz unterschiedlichen Meinungen? Auch mit abweichenden? Also auch mit solchen, die zwar den Gesetzen nicht widersprechen, die aber ansonsten unerwünscht sind? Also vom Mainstream abweichen? Nicht Merkel- und Spiegel- konform sind? Mit Meinungen, die Claus Kleber nicht gut finden würde? Bei denen er besorgt gucken würde, oder ein wenig aggressiv? So richtig sauer? Das alles dürfte dort gesagt werden? Nein, nicht in Berlin. Nein, das glaube ich nicht. Wir sind hier nicht in einem Demokratie-erprobten Land. Wir haben das noch nicht gelernt. So etwas würde uns überfordern. Freie Meinungsäußerung. Nein, das wollen wir hier nicht. Das ist uns nicht geheuer. Das kennen wir hier nicht. Geht doch nach England. Geht doch rüber, wenn es euch hier nicht gefällt.

Hans-Peter Dollhopf / 19.11.2019

So sieht also die Republik aus an einem gelungenen Wochenende. Jenseits von Wirsindmehr, von Feine Sahne Fischfilet und Grönemeyer. Ohne Gesabber von Merkel, ohne Tränen von Kleber. Keine Haltung, keine Antifa und kein Restle. Auch klar, dass die Reden auf der Berliner Veranstaltung in Englisch gehalten werden, denn man möchte das Volk der Dichter und Denker ja auch nicht überfordern!

HaJo Wolf / 19.11.2019

Freie Rede in Deutschland? Öffentlich?? JEHOVA!!

Marie-Jeanne Decourroux / 19.11.2019

»... aber es geht dennoch zivilisiert zu«  Ich nehme an, »zivilisiert« im europäischen Sinn - z.B. des Areopag oder von Speakers Corner. Wohl kaum im Sinne der islamischen (Tabu-) Zivilisation (die es z.B. verbietet, die Verbrechen Mohammeds zu thematisieren). Und wohl auch nicht zivilisiert im Sinne der chinesischen (Harmonie-) Zivilisation, in der Konfliktvermeidung obestes Gebot ist. Die Crux ist, dass derlei Veranstaltungen zwar auf der Basis (einem Fundus) gemeinsaner zivilisatorischer Voraussetzungen möglich sind, zwischen sehr unterschiedlichen Kulturen aber kaum zu einem fruchtbaren Dialog führen werden. Dafür fehlen die starken unbestrittenen gemeinsamen Voraussetzungen. Denn weiterhin gilt, was der von mir verehrte Gilbert Keith Chesterton schrieb]: “Only a man who knows nothing of reason talks of reasoning without strong undisputed first principles. (Nur ein Mensch, der nichts von Vernunft versteht, spricht vom Denken [und in diesem Fall Diskutieren] ohne geteilte starke Voraussetzungen.)

Oliver Wilkening / 19.11.2019

Ich versuche seit heute Mittag mit jemandem, der mich als Rassisten bezeichnet hat, weil ich das Verhalten der Muslima beim Rausschmiß des St. Martins-Reiters als inakzeptabel bezeichnet habe, in einen Austausch zu kommen. Ich stelle meine Position dar, aber als Reaktion kommt nur, “was willst du mir damit sagen? und “dann brauchen wir kein Gespräch zu führen”. Also, was nützt es, das Diskutieren?

A. Ostrovsky / 19.11.2019

Eine schöne Idee! Sie funktioniert sicher auch in der Puppenstube, vielleicht sogar noch in London, weil der Stil der Briten dazu passt. In Berlin kann es aber nur zur Farce verkommen. Es ist letztendlich wieder ein Versuch, Wissenschaft durch Populismus des Halbwissens zu ersetzen. Das haben wir doch gerade. Dazu muß man vor allem nicht nach Berlin fahren, wenn man noch bei Sinnen ist und wenn man nicht zufällig ein Segelschiff findet, das nach Berlin fährt. Die Idee, dass irgendwelche Leute, mit halber Vorbildung zusammen kommen und sich dann demokratisch niederbrüllen, aber mit Anstand, wobei natürlich die AfD ausgeschlossen ist und jeder, der sich nicht eindeutig distanziert, und Klimaleugner sind sowieso gekaufte Gedankenverbrecher, die man nur momentan noch nicht richtig bestrafen kann. So eine demokratische Debatte braucht es vielleicht bei der Frage, ob wir Nicht-Asylberechtigte Nicht-Flüchtlinge weiter unbegrenzt hier haben wollen, weil sie nun einmal da sind. Dieser Veranstaltungsstil soll nur bitte nicht in immer wieder neuer Form auf echte Wissenschaft losgelassen werden. Reicht das IPCC nicht als populistische Veranstaltung ohne Bezug zu gründlicher und Verantwortlicher Wissenschaft? Wie stellen sich Max und Moritz und Lieschen Müller eigentlich die Wissenschaft vor? Das scheint das Hauptproblem zu sein!

Nico Schmidt / 19.11.2019

Sehr geehrte Frau Beppler-Spahl, nach Berlin kommen, zur freien Rede! Na, das wird ein Spaß. Auto abgefackelt, von der ANTIFA mit Mord und Totschlag bedroht werden, bespuckt werden, weil man ja ein Rechter oder Leugner der Klimakatastrophe ist. Alles dabei für ein gelungenes Wochenende. Dann doch lieber London. MFG Nico Schmidt

Heinrich Wolter / 19.11.2019

Ich bin gespannt, ob das in Berlin möglich ist. Schließlich wird dort ja nicht nur “Wahrheit” verbreitet, sondern auch “Fake News”, und vor so etwas muß uns natürlich die Antifa schützen.

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