Tamara Wernli / 23.09.2016 / 06:12 / Foto: Bundesarchiv/ Georg Pahl / 7 / Seite ausdrucken

Sexuelle Belästigung: Minenfeld Arbeitsplatz

Roman Burger, Aushängeschild der Schweizer Gewerkschaft Unia, ist gerade über eine Belästigungs-SMS gestolpert. Ausgerechnet er, ein lautstarker Frontkämpfer für soziale Gerechtigkeit. Man ist geneigt das zu verhöhnen, sollte es aber bleiben lassen: Der Mann hat sich zwar danebenbenommen, aber die Situation am Arbeitsplatz ist delikat – besonders Führungskräfte fühlen sich immer mehr "wie auf einer Bombenentschärfungs-Mission", so ihre Schilderung. Ihr korrektes Verhalten spiele dabei keine Rolle.

Es ist indiskutabel: Wenn Vorgesetzte ihre Machposition oder das Abhängigkeitsverhältnis eines Mitarbeitenden zum Unternehmen ausnützen und die Person mit ungebetenen Annäherungen sexueller Art bedrängen, gehört das bestraft. In diesem Text möchte ich jedoch eine andere Facette hervorheben: Die Grauzone. Jenes Verhalten, das für mich nicht in jedem Fall verurteilungswürdig ist, den Begriff "sexuelle Belästigung" verzerrt und damit die Ernsthaftigkeit der Thematik untergräbt.

Laut einer repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2015) gehören "zweideutige Kommentare, Witze mit sexuellem Bezug" zu den am häufigsten erlebten Belästigungen an deutschen Arbeitsplätzen. Betroffen sind Frauen und Männer. Zweideutige Kommentare und Witze mit sexuellem Bezug – für mich gehören sie, anders als etwa die Aufforderung zu unerwünschten sexuellen Handlungen oder Aufforderungen wie "Setz dich auf meinen Schoss", zur Grauzone.

Zählt tatsächlich alleine das Empfinden des Empfängers?

Experten beschreiben sexuelle Belästigung so: "Entscheidend ist, wie es beim Empfänger ankommt. Darum geht es, und nicht um die Motive des Absenders", sagt Karin Moos von der "Frauenberatung Sexuelle Gewalt" in Zürich gegenüber der Tageszeitung 20 Minuten. "Wenn man es als störend und unangenehm empfindet, ist es falsch." Das scheint mir nur halbwegs logisch. Unter dem Aspekt betrachtet wäre dann ja schon ein "Guten Morgen!"-Gruss möglicherweise falsch. Käme es nur auf das Empfinden des Empfängers an, müsste man den Absender im Fall einer Beschwerde ja gar nicht mehr anhören.

Ich weiss von einem Abteilungsleiter eines Basler Unternehmens, der seinen Mitarbeitenden in der Cafeteria unbedacht einen Frauenwitz erzählte – und deswegen von einer Mitarbeiterin flugs bei der Personalabteilung wegen sexueller Belästigung angeschuldigt wurde. Es ist kein Einzelfall. Sich wegen eines schlüpfrigen Witzes oder Kommentars oder einer Flirt-SMS zu empören, halte ich persönlich für Unsinn, übersensibel und schädlich für das gesamte Arbeitsklima. Man kann nicht alles einklagen. Dumme Sprüche, Flirten, Ausloten, wie weit man gehen kann – es ist menschlich, auch von einer professionellen Ebene lässt es sich nie komplett trennen. Gleich von sexueller Belästigung auszugehen, ohne Abwägen – war es eine gedankenlose Äusserung, eine Anmache, setzt es mich auf irgendeine Art unter Druck? – ohne konfrontierendes Gespräch, trägt nicht zur Lösung des Problems bei.

Denn ist es nicht so, dass man eine Flirt-SMS, einen Witz mit sexuellem Bezug oder einen anzüglichen Kommentar schnell mal als unangenehm empfindet, wenn es von jemandem kommt, dem man nicht gut gesinnt ist? Und über den selben Kommentar aus Richtung einer sympathischen Person einfach nur emotionslos die Augen rollt? Wie man eine Situation auffasst oder wo man seine Toleranzgrenze zieht, ob man einen Flirt, einen Kommentar als harmlos oder aufdringlich wahrnimmt, beruht doch auch auf den Sympathiewerten des Absenders.

Und dabei sind ja auch wir Frauen nicht immer ganz unschuldig: Mit ihrer Kleidung setzen Damen zwar gerne und selbstgefällig ihre erotischen Reize in Szene, rauschen in sexy Shorts und mit vielversprechenden Dekolletés ins Büro, so dass die Herren praktisch zum Hingucken gezwungen werden und Klimaanlagen wegen zu viel Pulsschlag auf Hochtouren laufen. Späht dann aber einer (oder der Falsche) mal ein bisschen zu lange, oder fällt der Spruch "Du lässt heute ganz schön meinen Blutdruck steigen!", ist es auch wieder nicht recht.

In den USA fahren viele Männer nicht mehr mit einer Arbeitskollegin Aufzug

Weil umgekehrt Männer im Hinblick auf weibliche Signalentsendung häufig nicht gerade als Schnell-Checker bezeichnet werden können – liebe Herren, ein für alle Mal: wenn Frauen nach eurer Bewunderung streben, ist das nicht in jedem Fall als sexuelles Angebot aufzufassen! –, darf man ihnen auch mal unmissverständlich sagen, wenns genug ist. Zu einer selbstbestimmenden Person, die wir ja alle sein möchten, gehört eben auch die Konfrontation des Gegenübers, der Versuch, die Lösung eines Problems zuallererst selbst herbeizuführen – und der Mut, unbequeme Tatsachen anzusprechen.

Vorgesetzten muss auch klar sein, dass ihrem Verhalten mehr Gewicht anhaftet und ein Chef nicht gleichzeitig Kumpel sein kann. Einen Wink hat aber jeder zugute. Bei Unbelehrbarkeit oder beim eingangs erwähnten Beispiel der mutwilligen Bedrängung und des Machtmissbrauches sollte man eine Enthüllung nicht fürchten, von seinen Rechten Gebrauch machen und den Weg der offiziellen Beschwerde gehen. Kein Job der Welt ist es Wert, in seiner Würde verletzt zu werden.

Führungskräfte überlegen es sich heute zweimal, bevor sie Mitarbeitenden ein Kompliment machen. Betritt eine Arbeitskollegin mit hübsch ausgestelltem Vorbau den Raum, krallen sie ihren Blick verzweifelt an der Decke fest, wie mir einige erzählen – erst recht dann, wenn sich die Dame in dem Moment auch noch entscheidet, an ihren Riemchenschuhen herumzufummeln. In den USA fahren viele Männer nicht mehr mit einer Arbeitskollegin Aufzug. Gemäss einem Artikel von Focus.de gibt es auch in Deutschland immer mehr Geschäftsführer, die nicht mehr alleine mit einer Frau im Raum sprechen, aus Angst, hinterher der Anmache beschuldigt zu werden. Eine ungute Entwicklung. Gesunder Menschenverstand, Respekt und vor allem eine Portion Humor sind noch immer die besten Ratgeber für ein angenehmes Miteinander.

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung.

Foto: Bundesarchiv/Georg Pahl CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 23.09.2016

So wie das strikte Rauchverbot in den betroffenen Regionen zum Kneipensterben und Verschieben großer Bereiche des sozialen Mitein- anders in den reinen Privatbereich verschoben hat, tötet die Totale Politische Korrektheit jegliches soziale Miteinander, vor allem wegen der Unmöglichkeit, in allen Fällen der Kommunikation vorab die jeweilige persönliche Befindlichkeit auszuloten. So wird sich ggf.  ein vegan orientierter Anwesender bereits über ein Gespräch in der Gruppe zur Qualität der in der Kantine angebotenen Schnitzelgerichte als persönlich “belästigt” beschweren.

Regina Schweizer / 23.09.2016

Liebe Frau Wernli, Ich kann nur “Bravo” sagen zu diesem sachlichen, differenzierten Artikel über ein emotionsbeladenes Thema! Weiter so! R. Schweizer

JF Lupus / 23.09.2016

Alleine diese Formulierung, gesprochen von Vorgesetzten oder Kollegen, wäre in Gutmenschen-Deutschland schon sexuelle Belästigung: “Betritt eine Arbeitskollegin mit hübsch ausgestelltem Vorbau den Raum…” Wie derzeit fast alles ist auch dies maßlos übertrieben, eine weitere Einengung der Freiheit, eine weitere Gängelung des Souveräns.

Philipp Richardt / 23.09.2016

Egal, was wir Männer machen, wir machen es falsch. Gucken wir, sind wir Schweine. Gucken wir nicht, sind wir Schwule. Tun wir so, als würden wir nicht gucken, sind wir Spacken. (Ausser wir heissen George Clooney - fühle ich mich jetzt diskriminiert?)

Dietrich Herrmann / 23.09.2016

“Betritt eine Arbeitskollegin mit hübsch ausgestelltem Vorbau den Raum…”, ist nicht gerade DAS die sexulee Belästigung der Arbeitskollegen? :o) Verkehrte Welt.

Klaus Ziegler / 23.09.2016

“du hast mich so verletzt…” ist etwas, was viele von uns aus Beziehungen kennen. Die Traumatherapie bietet hier eine erfrischende Sicht darauf, sind es nämlich oftmals eben nicht Verletzungen, die der “Täter” verursacht, sondern alte Schmerzpunkte, die durch einen Satz oder eine Verhaltensweise berührt werden. So ist eben auch zu erklären, daß Menschen ganz unterschiedlich auf eine Bemerkung oder Handlungsweise reagieren. Und es ist natürlich in ihrem angeführen Statement von Frau Moos recht einseitig, hier nicht nach der Intension des Absenders zu fragen. Es ist gleichzeitig auch nicht hilfreich für den “Verletzten”, die Verantwortung ein Leben lang anderen in die Schuhe zu schieben, sind es doch die eigenen alten Wunden, die hier immer wieder weh tun. Sich dieser Verantwortung zu stellen, heist die Opferrolle verlassen, an die man sich so gut gewöhnt hat.

Wolfgang Janßen / 23.09.2016

Ein Mann ist doch schon per Chromosomensatz kriminell. Erinnert sei hier nur an den Fall eines Biologielehrers, der von einer Kollegin beschuldigt wurde, sie in einer großen Pause in der Biologiesammlung anal vergewaltigt zu haben. Ihre Aussage allein genügte zur Verurteilung.  Der Mann hat eine fünfjährige Gefängnisstrafe in vollem Umfang abgesessen, weil er nicht bereute, was er nicht zu bereuen hatte. Erst danach stellte sich durch den mutigen Einsatz einer Frau(!) seine Unschuld heraus.

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