Vera Lengsfeld / 14.04.2024 / 14:00 / Foto: William Hodges / 4 / Seite ausdrucken

Von Tahiti an die Saale

Johann Reinhold Forster war der Vater von Georg Forster, einem deutschen Jakobiner, und ein rastloses Genie, was weder sein Umfeld noch sich selbst schonte.

Ab und zu ist es angebracht, sich vor Augen zu führen, auf welch großen Schultern alter weißer Männer, die heutzutage von Nichtwissern und Nichtkönnern pausenlos diffamiert werden, wir stehen. Wo trifft man heute noch Personen, die siebzehn Sprachen – darunter die klassischen – meisterhaft beherrschen, als Botaniker, Geologe, Schriftsteller hunderte Pflanzen, Tiere, Mineralien entdeckt und beschrieben und nebenbei einen Botanischen Garten angelegt haben? So ein Mann war der Weltumsegler Johann Reinhold Forster, der Vater des berühmteren Georg Forster, ein Genie ähnlichen Kalibers, wegen seiner aktiven Unterstützung der Jakobiner-Diktatur eine Ikone der Linken.

Reinhold, seit seiner Weltumseglung mit James Cook (Bild oben) eine Legende, wurde bald nach seinem Tod in Halle, wo er die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte, vergessen. Erst seit Neuestem interessiert man sich – zumindest in Halle – wieder für ihn. Aber anstatt ihn zu ehren, prangt am Hallenser Riebeckplatz eine Tafel zu Ehren seines Sohnes Georg, dem „Deutschen Jakobiner“. Die Unterstützung blutiger Diktaturen löst immer noch mehr Faszination aus als ihre Ablehnung. Manchmal gibt es aber durch Zufall so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit.

Das Bildnis neben der Tafel zeigt nicht Georg, sondern seinen Vater Johann Reinhold, der – anders als sein Sohn – eng mit Halle verbunden war. Es ist ein großes Verdienst des Hallensers Michael Pantenius, dass er eine Biografie Forsters sen. vorgelegt hat. Johann Reinhold Forster, der in seinem Leben zum Preußen wurde, ist nicht in Preußen geboren. Er stammt aus Dierschau, einem Städtchen bei Danzig, das damals polnisch-litauisch war. Nach Willen seines Vaters musste der Junge Theologie studieren. Das tat er in Halle, weil ein Studium dort als Eintrittskarte in den preußischen Staatsdienst galt. Allerdings erfüllte sich die Hoffnung nicht. Zunächst war Forster Pfarrer im Dorf Nassenhuben, wo sein Sohn Georg geboren wurde. Auf diesem Posten fühlte er sich – der u.a. auch das Koptische beherrschte, ohne das die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen nicht möglich gewesen wäre – unterfordert.

Nicht unbedingt ein angenehmer Charakter

In seiner Freizeit botanisierte er so erfolgreich, dass kein Geringerer als der seinerzeit berühmte Naturwissenschaftler Carl von Linné von seiner Sammlung beeindruckt war. Die russische Regierung wurde auf den kleinen Pfarrer aufmerksam und beauftragte ihn mit der Untersuchung des Wolgagebietes, in dem Katharina die Große Deutsche ansiedeln wollte. Obwohl er sich später mit den Russen überwarf, war der Auftrag für Forster das Entréebillett in die Welt der Naturforscher. Endgültig berühmt wurde Johann Reinhold durch seine Teilnahme an Cooks Weltumseglung, bei der auf Wunsch des Vaters auch sein Sohn Georg dabei war. Die naturwissenschaftlichen Sammlungen und die Berichte über diese Reise begründeten seinen Ruf als Genie.

Wie viele Genies war Johann Reinhold nicht unbedingt ein angenehmer Charakter. Er vernachlässigte seine Familie und brachte sie in Not, weil er sich teure Bücher und Landkarten kaufte, statt für einen ausreichenden Lebensunterhalt zu sorgen. Nicht nur seine Frau Justine, die sieben Kinder zur Welt brachte, musste als Übersetzerin Geld dazu verdienen, auch seine Töchter waren als Erzieherinnen und Übersetzerinnen tätig. Am meisten beutete er seinen Sohn Georg aus, der seine Tätigkeit für den Vater zum Teil als „ägyptische Sklaverei“ empfand.

Johann Georg schonte sich selbst nicht, Er arbeitete zwölf bis sechszehn Stunden am Tag. Das Resultat seiner rastlosen Tätigkeit sind 80 Bücher für Erwachsene, aber auch für Kinder, zu den unterschiedlichsten Themen. Eine seiner bewundernswertesten Schöpfungen ist zweifellos der Botanische Garten in Halle, der Forster seinen bemerkenswerten Bestand und seine Größe verdankt.

„Der Weltenruhm ist ein Wiesenblum“

Als kompromissloser Selbstdenker setzte sich Forster immer wieder für andere Freigeister ein, wie für seinen Mitbürger Carl Friedrich Bahrdt, dem Pantenius ein eigenes Buch gewidmet hat. Mit seinem Sohn Georg überwarf er sich endgültig, als dieser Politiker und Unterstützer der Jakobiner wurde. Georg starb vor seinem Vater verarmt in Paris. Johann Reinhold hat sein Ende kommen sehen und die richtige Diagnose für seine Todesursache gestellt: Atherosklerose.

Seine Reisetagebücher gehören zum Bestand der Staatsbibliothek Berlin. Nur der erste Band des Logbuchs der zweiten Weltreise konnte für Halle bewahrt werden. Einen Teil seines Nachlasses erwarb die Universität Göttingen. Mehr als 1.000 Gemälde und historische Landkarten befinden sich heute in mehr als 30 Museen der Welt. Seine etwa 3.000 Exponate umfassende Pflanzensammlung übergab Forster noch zu Lebzeiten an die Uni Halle, wo sie heute leider wegen technologischen Problemen und Baumängeln nicht öffentlich zu sehen ist, was sich hoffentlich bald ändert.

„Der Weltenruhm ist ein Wiesenblum“, wusste Forster. Er wurde auf dem Stadtgottesacker begraben, aber so gründlich vergessen, dass seine Grabstätte erst kürzlich nach intensiver Forschung wiederentdeckt wurde. Es wird Zeit, dass sein Bildnis am Riebeckplatz die ihm gebührende Gedenktafel erhält.

Michael Pantenius: Johann Reinhold Forster, Hasenverlag Halle 2021, 88 Seiten, 14,00 Euro

Vera Lengsfeldgeboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

Foto: William Hodges via Wikimedia Commons

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Gabriele Klein / 14.04.2024

Was Andres: Ich hoffe wir hören bald mehr von der Werteunion. Sollte es ein Buch zum Thema der gezielt eingesetzten Diffamierung in diesem Lande (auch im Hinblick auf diese Partei) mit Hilfe des neu geschaffenen Begriffsinhaltes “rechts” geben, würde mich eine solche Analyse brennend interessieren. Ich warte bis heute auf eine Begriffsdefinition von “rechts” und vor allem rechts-extrem, leider vergeblich.  Statt dessen scheint man sowas an ganz bestimmten Personen, deren Ruf es zu morden gilt festzumachen ohne weitere Begründung. Eine Mehrheit an Blättern scheint feige u. fieß genug in diesem Sinne in der ersten Reihe das falsche Zeugnis im biblischen Sinne abzugeben, über jene, die kein Gericht für Schuldig befand,.  Es scheint irgendwie so zu funktionnieren: Eine konkurrierende Partei wird dadurch “rechts-verdächtig”  wenn man in ihren Reihen d. unerwünschte Person X mit unbeschadetem Rufe entdeckt und umgekehrt wird auch ein Schuh draus: Person X wird “rechts” weil sie in dieser Partei entdeckt wurde. Das ganze hat jedoch einen weiteren logischen Haken: Sollte besagte, im verfassungsschutzrechtlichen Sinne verdächtige Person vorher in einer der Regierungsparteien langjähriges Mitglied gewesen sein ehe sie diese freiwillig verließ, bleiben diese regierenden Parteien, trotz dieser Mitgliedschaft in Sachen Verfassungsschutz über alle Zweifel erhaben. Ja, und jetzt frage ich mich, wo gibts denn sowas, dass sich Partei B allein durch die neue Mitgliedschaft von Person X als verdächtig rechts definiert? Partei A hingegen, in der diese Person ein vielfaches an Zeit als Mitglied saß komischerweise nicht?  Könnte es daran liegen dass die eine Partei an der Regierung ist und die andre nicht?  Falls ja, führt mich dies zur nächsten Frage: Beobachtet jetzt der Verfassungsschutz in Bezug auf die Verfassungs -oder in Bezug auf Regierungstreue?Was wenn eine Regierung sich nicht Verfassungstreu verhält, was es schon öfter i.d. deutschen Geschichte gab?

Gabriele Klein / 14.04.2024

PS: muss mich korrigieren unter muttersprachlichem Nieveau verstand ich nicht das was der EU Referenzrahmen drunter versteht sondern die Fähigkeit in der jeweiligen Fremdsprache elegant u. gut zu publizieren sowas scheint sich mir dann allermindestens auf Magisterebene eines Fremdsprachenstudiums zu bewegen.  Ich glaube dass so betrachtet kaum viel mehr geht als 2 Sprachen unter bestimmten Umständen (mehrsprachige Erzieher)  vielleicht auch noch 3 aber kaum mehr. Meine stinknormale Schulerfahrung lehrt: Man vergisst genau in dem Maße wie man etwas nicht einsetzt. Wenn jmd in 2 Sprachen publiziert was er laufend müsste um auf Stand zu bleiben, scheint er mir hinreichend beschäftigt, Ungewöhnlich ist das überhaupt nicht.  Autoren die das hervorragend konnten /können gibts zu Hauf von S.Beckett (sogar in Literatur) bis z. Frankfurter Schule. Auch bei Achgut dürften sich welche finden.

Karsten Dörre / 14.04.2024

Georg Forster nur auf Jakobiner zu reduzieren, wird weder ihm noch seinem Vater gerecht. Jakobiner war er nur knapp ein Jahr (Mainzer Republik). Wobei er schon ein Jahr vor seinem Tod zur französischen Revolution resigniert feststellte „Alles ist blinde, leidenschaftliche Wut, rasender Parteigeist und schnelles Aufbrausen, das nie zu vernünftigen, ruhigen Resultaten gelangt.“ Georg Forster war hochgebildet, Naturwissenschaftler, Ethnologe, Übersetzer (mehrere Sprachen) und Reiseschriftsteller, der keineswegs paradisische bzw. indigenenabwertende Reiseberichte verfasste.

Gabriele Klein / 14.04.2024

Danke f.hochinteressanten Beitrag. Nebenbei: Das mit Sprachgenie 17 Sprachen etc. beeindruckt mich nicht. Wer sich selbst ein klein wenig mit befasst wird fest stellen, dass sich hinter einer einzigen fremden Sprache gleich ein paar mehr verbergen. Mir wurde u.a. v. Lehrern/Muttersprachlern bekundet: Ja, wer z.B. Polnisch versteht versteht auch weitestgehend Kroatisch. Wer nen spanischen Geschäftsbrief übersetzen kann macht das auch mit einem portugiesischen, ohne ein einziges portugiesisches Lehrbuch je geöffnet zu haben. Dänen, Norweger und Schweden scheinen sich so wie ich hörte, mindestens so gut zu verstehen wie Polen u. Kroaten. So betrachtet werden aus gewissen Kenntnissen von vielleicht nur 4 Sprachen schnell 16+ (ohne großes Latinum) zumal noch die zwar nicht fallgleichen, aber doch sehr tiefen Verwandschaftsbeziehungen innerhalb gew. Sprachfamilien noch hinzukommen . Dass jemand auf sein Gebiet bezogen mit relativ wenig zusätzlichem Arbeitsaufwand sich 17 Sprachen bedienen könnte scheint mir nicht außergewöhnlich. An annähernd Muttersprachlerniveau in 17 Sprachen glaub ich nicht, sowas scheint mir mit 17 Doktortiteln vergleichbar. Des Weiteren geb ich auch noch Folgendes zu bedenken: “Nicht nur seine Frau Justine, die sieben Kinder zur Welt brachte, musste als Übersetzerin Geld dazu verdienen, auch seine Töchter waren als Erzieherinnen und Übersetzerinnen tätig.” Klingt verräterisch.Vielleicht ist man da auch bei der Schlußfolgerung in Sachen “Sprachgenie” ein paar Verwechslungen aufgesessen, u.hat das familiäre “Übersetzungsbüro” vergessen.Die Bedeutung dieser phänomenalen “Produktionsstätte” bleibt darob unberührt, ja wird durch entspr. Führungs/Organisationstalent sogar noch erhöht. Aus ner Familie ein Unternehmen zu machen scheint mir kein leichtes Kapitel d.BWL.J.R. Forster scheint dies wie J.S. Bach (hinter dem ich sehr vorsichtig nen ähnlich emsigen “Familienbetrieb”(+Schüler?) vermut scheinbar gelungen.

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