Wieder eine hervorragende Analyse von Jordan Peterson. Wenn Ideologie auf Wirklichkeit trifft, wird es unangenehm. Das gilt für private Vorstellungen wie für politische. Dabei unterscheidet sich Ideologie von nützlichen Gedankengebäuden durch ihren Absolutheitsanspruch, der verhindert, dass sie modifiziert oder gar verworfen werden kann. Der letzte Absatz scheint recht unbefriedigend - es bleiben die Konflikte übrig. Ich denke nicht, dass eine Kürzung des Seminars seitens der Achse der Grund für das Fehlen einer nachhaltigen Lösung für die beschriebenen Konflikte ist. Als Christ sehe ich nur eine Lösung: Mt. 16, 25: “Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.” Der erste Teil beschreibt genau die Erfahrung der zusammenbrechenden Vorstellungen im Leben. Der zweite bietet die Lösung an. Nach allem, was ich von Peterson gelesen und gesehen habe, ist er Wissenschaftler, aber kein gläubiger Christ. Seine Vorlesungen über die Bibel sind wertvoll, weil sie die darin enthaltenen Wahrheiten aus Sicht des Psychologen aufzeigen. Er untersucht die Bibel und befindet sich damit erkenntnistheoretisch nach Martin Bubers Einteilung auf der Ich - Es - Ebene. Wenn es dabei bleibt und Gott zum reinen Gedankenkonstrukt verkommt, müssen alle Lösungen aus uns heraus kommen. Dies kann nicht gelingen. Siehe oben. Eine tiefere Auseinandersetzung mit dieser Thematik findet sich auf medium.com: “Jordan Peterson’s Dangerous Misunderstanding of the Christian Faith”.
Man muss seine Vorstellung von sich selbst ändern. Aber wie zum Teufel soll das gehen? Wir müssen graben, graben , unaufhörlich graben. Ein kleines Beispiel. Im gesamten vorderen Orient sind unsere Archäologen unaufhörlich am buddeln. Was zum Teufel suchen sie dort unten nur? Sie hoffen unter dem ganzen Schutt von tausenden von Jahren mehr Gewißheit über die Zusammenhänge unseres Lebens zu finden. Das gleiche müssen wir mit unseren sogenannten Überzeugungen tun. Der ganze Schutt und Ballast an Fakenews, der sich in Jahrzehnten unter unserer Schädeldecke angesammelt hat , muß abgegraben werden. Oft ist es mühsam, aber äußerst hilfreich. So Stück für Stück werden wir ein kleines Wunder erleben. Wir brauchen den sogenannten Bekloppten nicht mehr zu beweisen ,dass sie bekloppt sind, Sie sind einfach nur Mitmenschen mit unterschiedlichen Begabungen. Diese neue Freiheit ist uns nicht mehr zu nehmen. Munter bleiben.
Die obige Beschreibung erklärt vielleicht auch die Ideologieanfälligkeit und Verbissenheit eines großen Teils der jetzigen Jugend (die ja heutzutage den Lebensabschnitt einstiger Zuordnung längst übersteigt, quasi eine „gefühlte Jugend“ ist, bis kurz vorm Greisenalter). Eine Jugend, die im antiautären Nach-68er Modus durch das fehlende Aufzeigen von klaren Grenzen und Anforderungen wie Disziplin und Durchhaltevermögen oft nur eine geringe Frusttoleranz entwickeln konnte, verbunden mit einem überentwickelten, nie auf die Realitäten hin zurecht gestutztem Selbstbewusstsein. Um Missverständnissen vorzubeugen, ich rede hier nicht autoritären Erziehungsmethoden von anno dazumal das Wort, und behaupte auch nicht, dass die ganze heutige Generationen (eigentlich ja schon Generationen) so aufgewachsen sei. Es geht um Tendenzen, die aber prägend sind für eine Gesellschaft. Dennoch bleibt die Frage, wie ideologiegefährdet eine Gesellschaft ist, in der schon mehrere Generationen mit nur mangelhafter Frusttoleranz aufgewachsen ist. Wie demokratiefähig sind Menschen einer solchen Gesellschaft, denn Voraussetzung funktionierender Demokratien ist auch ihre Flexibilität im Austausch von Meinungen. Ist eine solche Gesellschaft noch fähig zur Selbstkorrektur durch Eingeständnisse von falschen Entscheidungen?
Sich der Grenzen der “Wirkmächtigkeit“ des eigenen Willens bewusst zu sein, würde weder dem Lebensplaner noch dem Ideologen schaden. Und es würde sie ein Stück weit gelassener machen.
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