(Er)pressefreiheit

Bei all dem Jubel über Assanges Freilassung darf man nicht vergessen, wer ihn ins Gefängnis gebracht hat.

Kennen Sie den Unterschied zwischen Ehepartner und Hund? Sperren Sie beide für eine Stunde im Kofferraum ihres Autos ein, öffnen Sie den Kofferraum und Sie finden es heraus! Dieser sarkastische Vergleich kam mir in den Sinn, als ich durch die euphorischen Reaktionen von der Freilassung von Julian Assange erfuhr. Denn die Freilassung hat einen Haken: Assange muss sich der Spionage schuldig bekennen, dann darf er von den Marshall-Inseln später weiter nach Australien reisen. Zunächst jedoch darf Erleichterung angebracht sein, zumal bei seiner Familie.

Seit dem 11. April 2019 saß Assange im Belmarsh-Gefängnis in London, nachdem man ihn aus seiner Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft gezerrt hatte. Sieben Jahre Asyl, fünf Jahre Haft – und das noch bevor ein ordentliches Gericht über seine Schuld beraten hat. Fünf Jahre Haft, um zu klären, ob ein australischer Staatsbürger an die USA ausgeliefert werfen darf. Fünf Jahre, in denen Assange immer wieder als Whistleblower dargestellt wurde, obwohl er das weder war noch ist. Assange ist Journalist und Betreiber einer Plattform, auf der Whistleblower ihr brisantes Material hochladen können.

Was heute also wirklich passiert ist, ist dies: Ein Journalist/Publizist, der mit seiner Arbeit auf viele wichtige Füße trat, hat sich nach jahrelangem, unerträglichem Druck der Spionage für schuldig erklärt. Gewissermaßen ging der Kofferraum auf und die Weltpresse feiert einen Sieg, der keiner ist. Gewonnen hat die US-Regierung unter Joe Biden, der heute gleich drei Geschenke bekam. Ein Schuldeingeständnis, einen medial gut verwertbaren Gnadenakt und die Bestätigung, dass man unbequeme Journalisten für lange Zeit in der Versenkung verschwinden lassen kann, ohne dass jemand nach der Rechtmäßigkeit fragt oder Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz äußert. Eingefädelt unter Bidens Vizepräsidentschaft, verpennt, ignoriert oder unterschätzt unter Trumps Präsidentschaft, und Präsident Biden sammelt jetzt die Lorbeeren ein.

Rückblende

Im Jahr 2010 veröffentlichte Wikileaks die Militärdokumente, die man von Chelsea (damals noch Bradley) Manning erhalten hatte. Die Obama-Administration war alles andere als glücklich darüber, nun im Internet lesen zu müssen, wie flapsig und undiplomatisch etwa Botschaftspersonal intern über so manchen ausländischen Politiker redete. Doch neben Peinlichkeiten gab es auch Handfestes und Inkriminierendes über das Vorgehen von US-Truppen in Afghanistan und im Irak zu lesen. Whistleblower Manning vertraute sich unvorsichtigerweise seinem Freund Adrian Lamo an, der dann die Behörden informierte. Man hatte die Quelle gefunden, nun galt es den auszuschalten, der so ungeniert daraus soff.

Manning wurde 2017 von Obama bei dessen Abgang aus dem Oval Office begnadigt, Julian Assange saß da noch in der ecuadorianischen Botschaft fest. Als Manning 2019 vor einer Jury als Zeuge gegen WikiLeaks aussagen sollte, war Assange bereits inhaftiert. Weil Mannings die Aussage verweigerte und sich auch von Beugehaft nicht einschüchtern ließ, scheiterte der Prozess. Der Whistleblower Manning war nun frei, der Überbringer der üblen Nachricht, Julian Assange, hatte da noch fast fünf Haftjahre vor sich, zu denen er nie verurteilt wurde. Zeit, die ihm geraubt wurde und für die er mit großer Wahrscheinlichkeit niemals entschädigt wird.

Makaber ist, wem diese Freilassung als Sieg zugerechnet werden soll: „Nach 14 Jahren siegt die Diplomatie“, schreibt der Stern, und hat er damit nicht recht? Ein Sieg des Rechtssystems, der Humanität oder der Pressefreiheit kann hier jedenfalls ausgeschlossen werden. Offensichtlich war hier die Politik am Werk, die in Hinterzimmern geheime Abwägungen fern des abgelenkten Elektorats trifft – genau solche Dinge waren es, die wir dank WikiLeaks staunend aber eben nur kurz zur Kenntnis bekamen. Du kommst der Politik in die Quere, die Politik sperrt dich in den Kofferraum – und die Politik holt dich dort auch wieder raus, wenn es ihr in den Kram passt. Hier bitte „schuldig“ ankreuzen, sehr schön. Noch dort und da unterschreiben, gute Reise und grüß die Kängurus von uns!

Enthüllt mal wieder etwas, liebe Stern-Kollegen

Wikileaks schaffte 2010 eine Erschütterung der Macht. Für kurze Zeit wurde der Vorhang weggezogen, und jeder konnte sehen, „wie die Wurst gemacht wird“. Der Fall Assange war das Menetekel für die Presse, bei aller Berichterstattung doch besser nicht zu weit zu gehen und mit der Macht besser den Ausgleich zu suchen, als allzu kritisch zu sein. Man setzt Reichweite und den Zugang zur Macht nicht für irgendeine Wahrheit aufs Spiel, ob man nun zum Tee ins Weiße Haus eingeladen wird oder mit Kanzler Scholz im Regierungsflieger sitzen darf. Ein „Märtyrer der Pressefreiheit“ sei Assange natürlich nicht, versichert der Stern. Vielmehr sei er ein Aktivist, ohne dass der Begriff hier näher beleuchtet wird. Mit Aktivisten kennt man sich beim Stern ja eigentlich aus, manche wie Luisa Neubauer wohnen dort mietfrei in Blatt und Köpfen. Doch im Gegensatz zum Klima hat der Gegenstand des Aktivismus von Assange, die Transparenz und Verantwortlichkeit der Politik, keine Lobby in der Mainstreampresse.

Mangelnde Schwärzungen in den WikiLeaks-Dateien lautete einer der Vorwürfe aus Politik und dem handzahmen Blätterwald. Assange bringe Informanten und Politiker in Gefahr! Als die RKI-Protokolle dann 14 Jahre später etwas zu viele Schwärzungen enthielten, hatte man sich in der Presse schon so auf regierungsamtlich genährte Befürchtungen eingelassen, dass man die Klage auf Herausgabe und die Recherche der Dokumente gleich ganz bleiben und einem kleinen Magazin mit großen „Cojones“ namens „Multipolar“ überließ.

Aber ich schweife ab, und wir wollen doch heute anstoßen auf die Befreiung von Julian Assange. Und das sollten wir! Wir sollten nur nicht vergessen, dass es ein und dieselbe Hand war, die ihn erst eingesperrt und dann wieder aus dem Kofferraum herausgelassen hat. Und wir leben in einer Welt, in der die Politik dafür sorgen kann, dass die Strafe dem Urteil gern mal vorauseilt und in der es weder an moralischen Begründungen für solches Vorgehen mangelt, noch am Willen der Öffentlichkeit, das hinzunehmen. Kein Grund also, die Hand zu lecken, die zu solchen Mitteln greift. Und jetzt enthüllt mal wieder etwas, liebe Stern-Kollegen. Es müssen ja nicht gleich die Höcke-Tagebücher sein!

 

Roger Letsch, Baujahr 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de

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Leserpost

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Marcel Seiler / 27.06.2024

So unschuldig, wie hier dargestellt, ist Julian Assange nicht. Seine Veröffentlichung von Dokumenten hat Menschen ihr Leben gekostet. Es gibt eben einen Konflikt zwischen berechtigten Geheimhaltungsbedürfnissen von Regierungen, etwa in militärischen Konflikten und bei Geheimdienstoperationen, und der Pressefreiheit. Die Inhaftierung von Julian Assange war nicht unberechtigt.

Boris Kotchoubey / 27.06.2024

Man kann sich nicht vorstellen, dass jemand, der über die Verbrechen der russischen Armee nur ein Hunderstel dessen schreibt, was Assange über die Verbrechen der amerikanischen geschrieben hat, je lebendig aus dem Gefängnis rauskommt. Nicht nur dieser, sondern jeder seiner Unterstützer und jeder, der mit einem Plakat “Free ...” auf der Straße erscheint, wäre in Russland schon längst im tausende Kilometer entfernten Arbeitslager.

Klara Altmann / 27.06.2024

“Gewonnen hat die US-Regierung unter Joe Biden, der heute gleich drei Geschenke bekam.” In meinen Augen haben sie alle verloren, es ist ein Ansehensverlust, der wohl nie wieder wett gemacht werden kann. Dieser Ansehensverlust trifft übrigens auch Schweden und Großbritannien gleichermaßen, haben sie sich doch zum Büttel des Unrechts machen lassen. Und Assange seinerseits wurde zum Symbol - eine kluge Politik wusste früher, warum man keine Märtyrer schafft. Die unrechtmäßige Behandlung eines freien Journalisten durch das US-Regime und seine Lakaien steht jetzt auf einer sehr langen Liste von Untaten, die ich den USA zurechne. China mag seine eigenen Bürger misshandeln, die USA die Bürger der gesamten Welt und zwar völlig willkürlich. Wie viele Millionen Menschen fielen den “gerechten Kriegen” der USA zum Opfer, die unter dem dünnen Deckmäntelchen wohl nicht viel anderes waren als Rohstoffkriege? Man höre Dr. Daniele Ganser zu all diesen Verbrechen. Assange ist ein berühmtes Opfer der USA, es gibt aber unzählige andere, die - so sie überlebt haben - heute in destabilisierten Staaten leben, in denen das Faustrecht herrscht oder noch eher das Waffenrecht. Die Politik der USA ist so menschenfeindlich wie eigennützig und längst betrifft die Haltung dort auch die eigene Bevölkerung. Wer hat unsere Politik gelehrt, in der Weise mit uns umzugehen, wie wir es seit Merkel in Deutschland erlebt haben? Wer hat sie gelehrt, Menschen und ihr Wohlbefinden für verzichtbar zu halten zugunsten eigener Ziele, die man allen zum Ideal erklärt, für die sie sich aufopfern sollen? Wohlgemerkt die anderen, ich sehe kein Opfer der Tätergruppe, der polit-medialen Klasse unter den Märtyrern. Dazu machen sie einfach die anderen. Das humanistische Menschenbild stellt den Mensch in den Mittelpunkt und der Mensch braucht ein friedliches und sicheres Leben, um etwas aufbauen und gestalten zu können für sich und für andere. Die Regierungen dieser Zeit treten auf wie Räuber dieses guten Lebens.

neuheide / 27.06.2024

Seit dem fall Assange gibt es in der westlichen Qualitätspresse,keine Sauereien US amerikanischen “Verfehlungen"mehr. Ob Foltergefängnisse in Abu Gharib,in Guantanamo,in der Ukraine und weltweit… All das hat auf “demokratische"Weise aufgehört zu existieren. Jetzt darf sich der Weltwächter für Demokratie wieder als Sinnbild für Demokratie/Demokratie und Freiheit präsentieren…

Silas Loy / 27.06.2024

Es geschah am hellichten Tage: Jahrelange Freiheitsberaubung, Missbrauch der Justiz, Erpressung eines Geständnisses. Und die Welt hat es gesehen. Damit haben weder Biden noch sonstwer in den USA oder dem UK gewonnen.

Chris Groll / 27.06.2024

Es ist gut, richtig und wichtig, daß Herr Assange endlich wieder auf freiem Fuß ist. Man kann sich nur wünschen und hoffen, daß er nicht ein völlig gebrochener Mann ist. Es ging in dieser ganzen Affaire doch nur darum, wirklich recherchierende Personen und der Wahrheit verpflichtete Journalisten mundtot zu machen. Dafür sind sich auch die “Rechtsstaaten” nicht zu schade. Deutschland ist übrigens ein Beispiel dafür. Da werden die Menschen, die die Wahrheit sagen und propagieren auch diffamiert/verleumdet/herabgewürdigt und sogar angeklagt und verurteilt. Allerdings war Herr Assange ein ganz spezieller Fall.  Menschenrechte und Würde zählten da nicht. Wie dieser Fall gehandhabt wurde, war einer Diktatur würdig, aber nicht demokratischen Rechtsstaaten.

BKKopp / 27.06.2024

Bei aller Zustimmung zur Hauptsache möchte ich einwenden, dass die Trump-Administration den Fall Assange keineswegs ” verpennt, ignoriert oder unterschätzt ” hat . Assange wurde während der Trump-Administration aus der ecuadorianischen Botschaft gezerrt, wozu Washington im Hintergrund sicher die Fäden gezogen hat. Auch wenn die Meinungen der amerikanischen Konservativen zum Deal der Freilassung gemischt sind, Mike Pence nennt die Freilassung eine miscarriage-of-justice. In der US-Elite dominiert der grundsätzliche Rechtsanspruch, dass amerikanisches Recht nicht nur auf amerikanische Bürger, oder für Taten auf amerikanischem Boden gültig ist - der nicht immer benevolente Hegemon.

Arndt Rossbach / 27.06.2024

Das sehe ich anders. Gewonnen hat nicht nur die US-Regierung unter Joe Biden. Lediglich hat der Westen gezeigt, dass es sich leisten kann, seine innenpolitischen Feinde besser zu behandeln als die Kommunisten im Osten. Gewonnen hat auch Russland, das damals bei uns die Linken, Rechten und Libertären mit der jeweiligen Propaganda ausstattete und das heute Assanges Freikommen ebenso ausschlachten wird.  Es ist klar, dass sich seinerzeit Russland bereits einmischte hinter den Kulissen und die Vermutung erhärtet sich, dass Moskau Interesse daran hatte, aus Wikileaks eine Sensation zu machen. Wikileaks weigerte sich, interessante Daten über Russland zu veröffentlichen und Assange bekam eine eigene Sendung auf Russia Today.

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