Stephan Kloss, Gastautor / 18.06.2024 / 12:00 / Foto: Pixabay / 101 / Seite ausdrucken

Unerklärbares Urteil: 32 Monate Haft wegen Impf-Attesten

Ein langer Corona-Prozess endet vorerst: Die sächsische Ärztin Dr. Bianca Witzschel wurde zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt und anschließend aus der Haft entlassen.

Gestern Mittag kam die 67-jährige Ärztin nun auf freien Fuß. Das Gericht hatte sie u.a. wegen Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Außerdem verliert sie ihre Approbation für drei Jahre. Die Staatsanwaltschaft hatte vier Jahre und zehn Monate gefordert. Der Vollzug der Strafe wurde überraschend – vorerst – ausgesetzt. 15 Monate lang saß die Ärztin in Untersuchungshaft. Achgut.com hatte mehrfach über den Prozess in einem Hochsicherheits-Gerichtssaal gegen die Moritzburger Ärztin Dr. Bianca Witzschel berichtet. Nachzulesen sind die Berichte hier und hier.

Gut gelaunt schritt Dr. Bianca Witzschel gestern um die Mittagszeit durch den Hintereingang der JVA Dresden (am Hammerweg) in die Freiheit. Im Gebäude befindet sich der Hochsicherheits-Saal, in dem gegen sie seit November 2023 an insgesamt 27 Tagen verhandelt wurde, und in dem sonst nur Schwerkriminelle und Terroristen angeklagt bzw. verurteilt werden. Augenzeugen berichteten, dass es im Gerichtssaal während der Verlesung des Urteils zu tumultartigen Szenen gekommen sein soll, so dass der Vorsitzende Richter durch Polizeikräfte zeitweise räumen ließ.

Dass dieser Prozess nicht mit einem Freispruch enden würde, wundert den Autor nicht. Wer sich mit rechtspsychologischer Brille im Gerichtssaal umsah, konnte sie sehen (aber auch hören und spüren), die Verurteilungsbereitschaft des Vorsitzenden Richters Jürgen Scheuring. Zu suggestiv waren nach meinem Geschmack die Zeugenbefragungen, zu einseitig die Beweisaufnahme.

Die RKI-Files beispielsweise, die im Verlaufe des Prozesses erst geschwärzt und dann ungeschwärzt veröffentlicht wurden, spielten so gut wie gar keine Rolle. Spätestens dann hätte der Prozess abgebrochen und die Angeklagte freigesprochen werden müssen.

Parallelwelten in der sächsischen Justiz?

Vor Gericht vernommene Zeugen gaben an, dass die Moritzburger Ärztin sich bei ihnen Zeit für Anamnese-Gespräche genommen hatte, bevor sie Masken- bzw. Impfunfähigkeits-Bescheinigungen ausstellte. Die Staatsanwaltschaft dagegen behauptete, Dr. Witzschel hätte alle Bescheinigungen blanko ausgestellt. Der Vernehmung mehrerer Zeugen hat der Autor beigewohnt. Siehe Bericht.

Kurisoserweise bestätigte auch ein Personenschützer des Landeskriminalamtes Sachsen die Version der Ärztin. Auch er hatte sich von ihr ein Maskenattest ausstellen lassen und war in einem anderen Verfahren vor dem Amtsgericht Dresden angeklagt worden. Nur: Er wurde freigesprochen. Zur Begründung hieß es in diesem Fall von der  Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte ja 20 Minuten untersucht worden wäre und es dem Angeklagten nicht nachzuweisen wäre, ein Attest eingereicht zu haben, das nicht seinem Zustand entspreche. 

Das ist nun wirklich komisch. Der Personenschützer kommt frei, die Zeugen im Witzschel-Prozess sagen inhaltlich in etwa das Gleiche und der Prozess gegen die Ärztin wird aber nicht eingestellt. Wie nennt man so etwas? Zweierlei juristisches Maß?

Stand das Urteil gegen Dr. Bianca Witzschel bereits fest? Diese rhetorische Frage darf erlaubt sein. Denn in dem Mammutprozess, der die sächsischen Steuerzahler zweifellos noch teuer zu stehen kommt, gab es einige, ich nenne es mal, Merkwürdigkeiten. Zum Beispiel die Haftbeschwerde der Verteidigung, die ihre Mandantin aus der – nach ihrer Meinung – unverhältnismäßig langen Untersuchungshaft (sie begann am 28. Februar 2023) herausbekommen wollte. Der Antrag wurde vom Landgericht Dresden per Beschluss vom 6. März 2024 abgelehnt. Die vier Seiten lange Begründung liegt dem Autor vor. Obwohl das Verfahren noch lief, machte das Gericht keinen Hehl daraus, wie es urteilen würde. 

Die gerichtliche Begründung liest sich für den Autor wie eine Erweiterung der Anklage. Auf Seite 2, Punkt III steht: „Die bisherige Hauptverhandlung … deutet auf die Bestätigung der Vorwürfe hin“. Und Seite 3, Punkt IV: „Die Angeklagte hat im Falle ihrer Verurteilung angesichts der Vielzahl der ihr zur Last gelegten Taten mit einer Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, zu rechnen“.  Man rufe sich noch einmal den gestrigen Tag in Erinnerung: Das Gericht setzte den Vollzug der Freiheitsstrafe aus. So gefährlich scheint Dr. Bianca Witzschel plötzlich nicht mehr zu sein. Und auch die angebliche Fluchtgefahr, die im o.g. Beschluss vom Gericht als Argument vorgebracht wurde, weshalb die Untersuchungshaft nicht aufgehoben werden könne (Seite 3 und 4, Punkt IV), spielte plötzlich keine Rolle mehr. Versteht diese Kehrtwende jemand?

Ein Richter, zwei Urteile

Es lohnt sich ein Blick auf das Verhalten des Vorsitzenden Richters Jürgen Scheuring in zwei verschiedenen Strafverfahren. In einem Fall verurteilte er einen Dreifach-Vergewaltiger auf Bewährung. Wie die Kollegen von BILD berichten, war das Opfer nicht verhandlungsfähig, traumatisiert und psychisch schwerst belastet.

Im anderen Fall verurteilt der Richter die Ärztin Dr. Bianca Witzschel zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis, obwohl es hier keine Geschädigten gibt. Kein einziger Patient, der von der Moritzburgerin ein Attest erhielt, hatte danach gesundheitliche Einschränkungen oder wollte sein Geld zurück. 

Der Autor hatte heute ausführlichen Kontakt mit der Verteidungung von Dr. Bianca Witzschel. Ihre Anwälte werden gegen das Urteil Revision beim Bundesgerichtshof einlegen.

 

Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt bei Leipzig und studiert Psychologie.

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dina weis / 18.06.2024

Unfassbar, ein Skandal, ein Rechtsstaat für die Tonne und gleichzeitig eine Offenbarung, wie die Lüge zur Wahrheit umgedeutet wird. Ausgerechnet diejenigen, die größtmöglichen Schaden am Volk verursacht haben, psychisch und physisch,  klagen eine Person an, die genau davor Menschen schützen wollte. Das ist alles so verkommen und widerlich.

Andreas Mertens / 18.06.2024

Nun, im Mittelalter sprachen die Minnesänger: “Wes Brot ich ess, des Lied ich sing”. Allerdings bin ich weder Minnesänger noch Richter und erlaube mir daher kein Urteil. Allerdings denke ich mir meinen Teil. Denn wie lautet es da im Liedgut: . Beleget den Fuß .. Mit Banden und mit Ketten .. Daß von Verdruß .. Er sich kann nicht retten, .. So wirken die Sinnen, .. Die dennoch durchdringen. .. Es bleibet dabei: ... Die Gedanken sind frei. (Version um 1800)

Wolfgang Schönfeldt / 18.06.2024

Die “Geschädigte” ist im Falle der Ärztin die Staatsgewalt, im Falle des Vergewaltigers aber nur eine (kleine) Untertanin. Das ist der Unterschied. Warum nur werden die Leute zunehmend staatsverdrossen? Frage für einen Freund.

Martin Michael Kunkies / 18.06.2024

Satanische Umkehr Der komplette Bundestag der Einheitspartei gehört eigentlich Inden Knast. Sie sollen sich schämen,l. Beide meiner Eltern waren im Gulag für 13 Jahre. Sozialisten werden ihren Machtanspruch immer mit Willkür durchsetzen. Falls der Staatsschutz mitliest schämt euch ein Verbrecher System zu unterstützen.

Heiko Stadler / 18.06.2024

Die Ärztin hat den Befehl von ganz oben verweigert. Ihr Vergehen ist, dass sie nach ihrem eigenen Gewissen gehandelt hat. Das ist wie ein KZ-Wächter, der die unschuldigen Insassen frei lässt und dann verurteilt wird, weil er den Befehl verweigert hat.

Lutz Herzer / 18.06.2024

Die Tatsache, dass den RKI-Files vom Gericht keine Bedeutung beigemessen wird, ist eine klare Verletzung des grundrechtsgleichen Anspruches auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Wurde das im Prozess bereits gerügt? Selbst wenn nicht, kann der Weg zum Bundesverfassungsgericht direkt beschritten werden. Dazu § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG: “Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.” - Hier dürfte auch der Grund für die Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu vermuten sein. Das Gericht scheint aus Eigeninteresse darum bemüht zu sein, den schweren und unabwendbaren Nachteil zu entkräften, um eine Anhörungsrüge in Karlsruhe zu erschweren.

A. Quesseleit / 18.06.2024

Ihr Verbrechen war es, gegen Vater Staat und seine Mutti aufzubegehren. Ich hoffe, daß Fr. Dr. Witzschel sich bereits außerhalb des Landes befindet.

Peter Thomas / 18.06.2024

Mit Michael Klonovsky sage ich: “Ich komme aus der DDR. Ich komme aus der Zukunft.” 1990 wurde der Unrechtsstaat DDR aufgelöst. Aber wann war die Transformation des Rechtsstaates BRD in den Unrechtsstaat BRD vollzogen? Das war ja nicht der gestrige Montag. Richter Sch. ist ja bereits ein Produkt des Unrechtsstaates. Es war auch nicht die “Ministerpräsidentenkonferenz”, mit der die Große Verderberin unter dem Vorwand einer Pandemie die Gewaltenteilung und die Bürgerrechte abgeschafft hat. War es vielleicht der NSU-Prozeß, in dem die Terrorbande (Uwe und Uwe) ihre Verbrechen so geheim hielten, daß sie erst nach ihrem Tode bekannt wurden? Oder war es am Ende die Wiedervereinigung selbst, die den langsamen Gifttod des Rechtsstaates BRD verursachte? //  Meine größte Hochachtung gilt aufrechten Menschen wie Dr. Bianca Witzschel! In einem Staat des Anstandes hätte man ihr vielleicht den Sophie-Scholl-Preis verliehen.

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