Von Björn Peters.
In Berlin glaubt kein Fachpolitiker mehr an den Erfolg der Energiewende. Wen man auch immer befragt, jeder sagt dies nur hinter vorgehaltener Hand und meint, würde er damit an die Presse gehen, könne er gegen den „grünen“ Medien-Mainstream nur verlieren. Das Problem sei, dass es kein Gegenmodell gäbe. In diesem Dreiteiler deshalb ein Vorschlag für eine Energiestrategie, die alle Energieformen einschließt und die sagt, warum wir sie benötigen und wie mit Rohstoffen umzugehen ist.
Chemische Energie aus Kohle, Öl und Gas liefert weltweit und auch in Deutschland etwa vier Fünftel der Primärenergie und stellt damit die Gegenwart der Energieversorgung dar. Irgendwann werden die Vorräte aufgebraucht sein, Öl voraussichtlich zum Ende dieses Jahrhunderts, Kohle und Gas bis zur Mitte des angebrochenen Jahrtausends. Daher ist es seit langem politischer Konsens, sich um Alternativen zu bemühen. Chemische Energieträger sind einstweilen noch unersetzbar und werden es noch einige Jahrzehnte bleiben. Zu groß sind deren Vorteile. Bei Kohle sind es die kostengünstige, massenhafte Verfügbarkeit und die relativ saubere Verbrennung, zumindest in modernen Kraftwerken. Dennoch ist die Kohleverbrennung die für den Menschen „tödlichste“ Energieerzeugungsform.
Gas ist demgegenüber viel sauberer in der Verbrennung, und es zeichnet sich ab, dass es überwiegend nicht fossilen Ursprungs ist, sondern in sehr großer Tiefe im Erdinneren erzeugt wird und dann langsam nach oben steigt und sich in günstigen Fällen in Blasen unter dichterem Deckgestein sammelt (Daher sprechen wir hier auch nicht von ‚fossilen‘, sondern von ‚chemischen‘ Energieträgern. Solange Erdgas viel schneller abgepumpt wird als aus der Tiefe nachströmt, hilft uns diese Erkenntnis aber nicht weiter. Ein sparsamer Umgang mit dem Rohstoff ist geboten). Erdgas trägt seinen Namen also zu recht und eignet sich noch für viele Jahrzehnte als Übergangstechnologie.
CO2: Pflanzen-Segen oder Klima-Alptraum?
Kraftstoffe auf Erdölbasis haben den unschätzbaren Vorteil hoher Energiedichte. Mit über 10 kWh/kg – hundertmal höher als die von Batterien – sind sie die einzigen Energieträger, die Autos auf Überlandfahrten, LKW und Schiffe zuverlässig mit Energie versorgen können (Wasserstoff wird auch langfristig ein Nischendasein als Energieträger fristen). Auch würde kein Flugzeug mit Nutzlast abheben können ohne Kraftstoffe, so dass im Luftverkehr Kraftstoffe noch viele Jahrzehnte lang unersetzbar sein werden. Dass man verflüssigtes Erdgas auch tanken kann, hilft übrigens der Reichweite der chemischen Energieträger, da die Gasvorräte voraussichtlich noch länger reichen werden als die Ölvorräte.
Wären da nicht die Emissionen an Kohlendioxid. Wir haben es in den letzten hundert Jahren bereits geschafft, den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre um die Hälfte zu erhöhen. Dies beunruhigt viele Menschen, und viele Wissenschaftler stehen auf dem Standpunkt, dass der Anstieg an Kohlendioxid bereits zur Erderwärmung beigetragen hat. Andere Wissenschaftler bleiben hierzu skeptisch, aber die Diskussion hierüber ist müßig. Was festzuhalten bleibt, ist die Tatsache, dass der Mensch im Begriff ist, den Gehalt der Atmosphäre an Kohlendioxid zu verdoppeln, was eine Art Terraforming-Experiment ist an der derzeit einzigen Erde, die wir haben, und dass wir noch nicht wissen, ob die positiven Auswirkungen höherer Kohlendioxidkonzentrationen auf das Pflanzenwachstum etwaige negative Auswirkungen auf das Wettergeschehen überwiegen. Außerdem bleiben die chemischen Energierohstoffe endlich und kosten zu vielen Menschen Leben und Gesundheit. Mindestens eines der beiden Argumente sollte uns genug sein, dass wir uns auf die Suche nach weiteren potenziellen Energieträgern machen.
Dass die Umgebungsenergien gerade aus Sonne, Wind und Biomasse hierfür nicht geeignet sind, habe ich in der Artikelserie der „Energiefrage“ (zum Beispiel hier oder hier) mehrfach dargelegt. Eine sichere und kostengünstige Energieversorgung ist aber ein Friedensprojekt, humanistisch geboten und eine ökologische Notwendigkeit. Wenn nun die chemischen Energieträger zu viele Schädigungen an Mensch und Natur bewirken und in absehbarer Zeit zur Neige gehen werden und die Umgebungsenergien eine flächendeckende Energieversorgung nicht leisten können, bleiben nur nukleare Energieträger übrig. Andere Energiequellen lässt die Physik nicht zu. Von diesen haben wir zeigen können, dass sie das Potenzial haben, für immer saubere und hochkonzentrierte Energie zu liefern. Besonders von Bedeutung ist, dass nukleare Energien für alle Anwendungen, die die menschliche Zivilisation benötigt, Energie zur Verfügung stellen können, also neben der elektrischen Energie auch die für Heizung, Transport und industrielle Prozessenergie.
Neuer Reaktor: Weniger als 1 Cent pro kWh
Es gibt einige Kandidaten für eine moderne Energieversorgung mittels Kernenergie. In meinen Augen der vielversprechendste ist der Dual-Fluid-Reaktor (Daher engagiere ich mich dort als CFO, zuständig für Projektfinanzierung). Er hat einige Eigenschaften, die ihn zu einem wertvollen Kandidaten für die weitere kerntechnische Entwicklung machen. Wie einige seiner Brüder ist er inhärent sicher, da physikalische Prozesse verhindern, dass er außer Kontrolle geraten kann. Er arbeitet emissionsfrei. Er kann als Transmutationsanlage für abgebrannte Brennstäbe und waffenfähiges Material eingesetzt werden. Er verwendet als Träger für die Brennstoffe flüssiges Metall, das extrem robust über Jahrzehnte eingesetzt werden kann. Er verbrennt die Brennstoffe vollständig, rückstandsfrei und reduziert so die Notwendigkeit der Lagerung des „Atommülls“ – der damit keiner ist – von mehreren hunderttausend Jahren auf ein Jahrhundert. Er erzeugt Hochtemperatur von über 1.000°C, die für die Stromproduktion oder chemische Prozesse verwendet werden kann.
Er reguliert seine Leistungsabgabe selbst, ohne Eingriff von außen, und ist daher einfach zu bedienen, auch in weniger privilegierten Regionen der Erde könnte er also für preisgünstige Energie und wirtschaftliche Entwicklung sorgen. Er ist extrem kompakt, in der „kleinen“, 300 MWth-Variante hat der Reaktorkern einen Durchmesser von gerade mal 80 Zentimetern. Einmal mit Brennstoff gefüllt, reicht dessen Füllung für etwa 20 Jahre in der kleinen Variante und könnte dann en bloc gegen einen neuen ausgetauscht werden. Er ist mit geringem Aufwand skalierbar für 3.000 MWth beziehungsweise 1.500 MWel für Großkraftwerke und sogar bis 30.000 MWth für Kraftstoff-Synthese-Einrichtungen in der Größenordnung heutiger Raffinerien. Er arbeitet drucklos und kommt daher ohne teure Sicherungseinrichtungen aus. Er kann gut standardisiert werden und die gewonnene Energie kostet in heutiger Währung weniger als einen Cent je Kilowattstunde thermischer Energie. Kein Wunder, dass er zunehmend Beachtung in der Presse findet.
Dennoch fokussiert sich die heutige Energiepolitik in Deutschland und der EU darauf, wenige Technologien der Stromgewinnung zu fördern, umfassendere Konzepte zur Energieversorgung dagegen einseitig anzugehen oder gar zu ignorieren. Die Politik kann sich nicht gänzlich aus Technologie-Entscheidungen heraushalten. Solange aber viele offene Fragen für eine Energiestrategie auf Basis von Umgebungsenergien noch nicht im Ansatz beantwortet sind, gebietet sich ein technologieoffenerer Politikansatz. Ein gleichzeitiger Ausstieg aus Kohle und Kernenergie, ein zu einseitiger Fokus auf den Stromsektor, die Nichtbeachtung der naturwissenschaftlichen, technischen, volkswirtschaftlichen, verfassungsrechtlichen und energiewirtschaftlichen Gegebenheiten, all dies sind Merkmale der heutigen Energiepolitik. Es ist gelegentlich möglich, gegen viele Gesetze ungestraft zu verstoßen, wer dies aber bei Naturgesetzen versucht, muss scheitern.
Ich bin mir dessen bewusst, dass viele bei der Empfehlung, für die Energieversorgung auch kerntechnische Lösungen zu erforschen, zunächst nicht folgen werden. Aber am Ende wird auch die deutsche Öffentlichkeit an der banalen physikalischen Realität nicht herumkommen: Ohne nukleare Energieträger wird wegen der Tücken bei den Umgebungsenergien ein Ausstieg aus den chemischen Energieträgern nicht gelingen. Daher ist ein Neustart in der Energiepolitik dringend geboten. War die „Energiewende“ bislang die Leitidee der Energiepolitik, so sollte nun der Ökologische Realismus an deren Stelle treten.
Davon handelt der zweite Teil dieses Beitrages morgen auf Achgut.com
Dr. Björn Peters beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Energiesektor in Zeiten der Energiewende unter wissenschaftlichen, volks- und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Er ist Inhaber der Unternehmens- und Politikberatung Peters Coll.
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Website des Deutschen Arbeitgeber Verbandes.