Martina Binnig, Gastautorin / 27.05.2024 / 06:00 / Foto: Pixabay / 50 / Seite ausdrucken

Planwirtschafts-Exzesse: Deutschland als “Netto-Null Valley”

Die EU-Kommission will die Dekarbonisierung der europäischen Industrie beschleunigen und bedient die Interessen von Investoren, nicht jedoch ihrer Bürger, die im Zweifel frieren sollen. 

Zum Glück steht der Sommer vor der Tür und die Heizperiode vor ihrem vorläufigen Ende. Denn die EU-Kommission hat soeben Maßnahmen zur Beschleunigung des Ausbaus von erneuerbaren Energien angekündigt, durch die es im Winter durchaus ungemütlich werden könnte. Zunächst ist allerdings die Industrie betroffen – und deren weitere Dekarbonisierung. Zu den Maßnahmen zählen zum Beispiel schnellere Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien sowie die  Ausweisung von „Beschleunigungsgebieten“. 

Maroš Šefčovič, Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission für den europäischen Grünen Deal, erklärte dazu:

Erneuerbare Energien sind für die Verwirklichung der Dekarbonisierung der europäischen Industrie von entscheidender Bedeutung. Sie stellen auch eine wirtschaftliche Chance für Europa dar und bauen auf unserer bestehenden weltweiten Führungsrolle bei einer Reihe von Schlüsseltechnologien auf. Mit der heutigen Initiative helfen wir europäischen Unternehmen, ihre Investitionen in erneuerbare Energien zu beschleunigen und ihren Ausbau in ganz Europa zu steigern.“

Außerdem begeht die Kommission ein Jubiläum, nämlich den zweiten Jahrestag des „RePowerEU“-Plans. Die Älteren unter uns erinnern sich sicher: Im Mai 2022 veröffentlichte die EU-Kommission „RePowerEU“ als „Reaktion auf die Schwierigkeiten und Störungen des globalen Energiemarktes, die durch die Invasion Russlands in die Ukraine verursacht wurden“. Ziel war, die russischen Importe fossiler Brennstoffe auslaufen zu lassen.

Allerdings hatte die EU-Kommission bereits im Oktober 2021 von einer „Ausnahmesituation“ in Bezug auf die Energiepreise gesprochen (achgut berichtete). Die Energiekrise begann also bereits längst vor der Invasion Russlands in die Ukraine, doch der Krieg diente der EU-Kommission als Argumentationshilfe, um die Bevölkerung auf Energieeinsparungen einzuschwören.

Ein Punkt des „RePowerEU“-Plans lautete nämlich: „Alle Bürger/innen, Unternehmen und Organisationen können Energie sparen. Kleine Verhaltensänderungen können eine große Wirkung haben, wenn alle mitmachen. Außerdem werden wir Notfallmaßnahmen für den Fall von Versorgungsunterbrechungen vorsehen müssen.“ Energieeinsparung sei der billigste, sicherste und sauberste Weg, um die Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe aus Russland zu reduzieren.

Es geht verstärkt der Industrie an den Kragen

Zahlreiche Bürger nahmen sich diese Appelle zu Herzen, duschten fortan kalt und senkten ihre Wohnungstemperatur, um es Putin so richtig zu zeigen. Im Juli 2022 folgte der „europäische Plan zur Verringerung der Gasnachfrage“ und im November 2022 der Kommissionsvorschlag eines „Marktkorrekturmechanismus“: Durch eine Umstellung von Gas auf alternative Kraftstoffe, durch Anreize für einen geringeren Verbrauch sowie durch Senkung des Heiz- und Klimatisierungsbedarfs sollte der Gasverbrauch in Europa bis zum 31. März 2023 um 15 Prozent verringert werden.

Und wie es sich für die ambitionierte EU gehört, wurde dieses Ziel nicht nur erreicht, sondern die Planvorgabe wurde sogar übererfüllt! So weiß die Kommission jetzt zu berichten: „Dank der Maßnahmen von Bürgern, Unternehmen und EU-Ländern hat die EU ihr freiwilliges Ziel, die Gasnachfrage um 15 Prozent zu senken, übertroffen. Die Erdgasnachfrage ging zwischen August 2022 und März 2024 um 18 Prozent zurück. Dies half der EU, 125 Milliarden Kubikmeter Gas zu sparen.“

Betrug der Anteil der EU-Gasimporte aus Russland im Jahr 2021 noch 45 Prozent, lag er 2023 bei nur noch 15 Prozent. Jedenfalls offiziell. Als Flüssigerdgaslieferant hat Russland nämlich eher an Bedeutung gewonnen, wobei europäische Gashändler einen nicht unbeträchtlichen Anteil des russischen LNG sogar an Nicht-EU-Länder wie etwa China weiterverkaufen.

Derzeit profitiert allerdings vor allem Norwegen von den Sanktionen gegen Russland und ist zum wichtigsten Gaslieferanten Europas geworden: Im März 2024 stammten 34 Prozent der EU-Gasimporte aus Norwegen und immerhin 20 Prozent aus den USA. Nun will die EU-Kommission ihre Maxime von der Planübererfüllung weiterhin realisieren.

Weil die größten Gas-Einsparungen laut „REPowerEU-Plan“ bei der Herstellung von nichtmetallischen Mineralien, Zement, Glas, Keramik und Chemikalien sowie bei den Raffinerien zu erzielen sind, geht es verstärkt der Industrie an den Kragen. Zur weiteren Reduzierung der Importe von russischem Gas und zur Förderung der industriellen Dekarbonisierung sollen erneuerbare Energien „schneller ausgerollt“, in die Energieinfrastruktur und Verbundnetze investiert und die Energieeffizienz verbessert werden.

Dafür hat die Kommission u.a. eine aktualisierte Empfehlung zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und dazugehörige Leitlinien erlassen. Darin stehen „Produktionsanlagen zur Erzeugung von erneuerbarer Energie, auch in Form von erneuerbarem Wasserstoff, und die für den Netzanschluss und die Speicherung der erzeugten Energie erforderlichen Anlagen“ im Mittelpunkt. 

Höchstmögliche nationale Bedeutung

Die EU-Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass für die Planung, den Bau und den Betrieb von Projekten für erneuerbare Energien und die damit zusammenhängenden Infrastrukturprojekte das bestmögliche Verfahren gilt, das im Rahmen ihrer Planungs- und Genehmigungsverfahren zur Verfügung steht. Insbesondere in Bezug auf Netzentwicklungsprojekte sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass diese Projekte den Status der höchstmöglichen nationalen Bedeutung genießen – mit den sich daraus ergebenden Vorteilen in allen administrativen oder rechtlichen Angelegenheiten.

Die Länder sollen möglichst kurze Fristen für alle Schritte festlegen, die für die Erteilung von Genehmigungen für den Bau und den Betrieb von Projekten für erneuerbare Energien und die damit verbundenen Infrastrukturprojekte erforderlich sind. Sie sollen die Beteiligung von Bürgern – auch von Haushalten mit niedrigem und mittlerem Einkommen – und von Energiegemeinschaften an der Planung, der Entwicklung, dem Einsatz und dem Betrieb von Projekten für erneuerbare Energien fördern.

Dafür sollen die einzelnen Länder spätestens bis zum 21. November 2025 ein vollständig digitales Genehmigungsverfahren und eine elektronische Kommunikation einführen. Sie sollen digitale Instrumente nutzen, um die gesetzten Fristen zu überwachen und durchzusetzen und um die Antragsteller über den Stand ihres Antrags zu informieren.

Darüber hinaus ist in der Empfehlung wörtlich zu lesen: „Die Mitgliedstaaten sollten auch prüfen, wie neue Technologien wie künstliche Intelligenz und Geodaten besser genutzt werden können, um zu ermitteln, wo die Verarbeitung von Informationen beschleunigt und automatisiert werden kann und wo die Berichterstattung durch die Projektträger durch Daten ersetzt werden kann, die mit anderen Mitteln gewonnen wurden, um so die Belastung der Projektträger zu verringern und das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.“

Wenn der Text kryptisch wird, geht's ans Eingemachte

Ans Eingemachte geht es besonders dann, wenn der Text kryptisch wird: „Für die Zwecke der Kartierungsverpflichtungen gemäß Artikel 15b und 15c der Richtlinie (EU) 2018/2001 sollten die Mitgliedstaaten rasch regulatorische Hindernisse beseitigen, Datenlücken ermitteln und die frühzeitige Einbeziehung der einschlägigen Interessenträger sicherstellen, um die Erhebung von Umweltdaten zu erleichtern und die öffentliche Unterstützung zu verbessern. Zu diesem Zweck werden die Mitgliedstaaten ermutigt, die im Energy and Industry Geography Lab (EIGL) und im Photovoltaic Geographical Information System (PVGIS) verfügbaren aktualisierten Datensätze zu nutzen und sie durch auf nationaler oder regionaler Ebene verfügbare Datensätze zu ergänzen.“

Dröseln wie diese beiden Sätze mal auf: In der Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen vom 21.12.2018 wurde als „verbindliches Gesamtziel der Union für 2030“ angeführt, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam sicherstellen müssen, dass der Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Bruttoendenergieverbrauch der Union im Jahr 2030 mindestens 32 Prozent beträgt. Die Richtlinie wurde jedoch überarbeitet, und die Richtlinie (EU) 2023/2413 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Oktober 2023 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2018/2001 sieht nun vor, dass die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen auf mindestens 42,5 Prozent bis zum Jahr 2030 gesteigert werden muss.

Beschleunigungsgebiete für erneuerbare Energie

Um dieses Ziel zu erreichen, sollen laut dem geänderten Artikel 15b der überarbeiteten Richtlinie Gebiete erfasst werden, die „für die nationalen Beiträge zum Gesamtziel der Union für Energie auserneuerbaren Quellen für 2030 notwendig sind“. Bis zum 21. Mai 2025 müssen die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet eine koordinierte Kartierung im Hinblick auf den Einsatz erneuerbarer Energie durchführen, bei der sie die verfügbaren Landflächen, unterirdischen Flächen, Meere oder Binnengewässer ermitteln, die für die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen und die damit zusammenhängende Infrastruktur wie Netz- und Speicheranlagen einschließlich Wärmespeichern benötigt werden, um mindestens ihren nationalen Beitrag zum Gesamtziel der Union zu erreichen. Die Mitgliedstaaten können zu diesem Zweck ihre bestehenden Raumordnungsdokumente oder -pläne nutzen oder auf ihnen aufbauen.

Zudem müssen die Länder laut dem überarbeiteten Artikel 15c Beschleunigungsgebiete für erneuerbare Energie ausweisen: Bis zum 21. Februar 2026 müssen sie dafür sorgen, dass die zuständigen Behörden einen oder mehrere Pläne verabschieden, mit denen sie entsprechende Land-, Binnengewässer- und Meeresgebiete bestimmen. Dabei müssen sie darauf achten, dass die Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen haben, wobei sie vorrangig künstliche und versiegelte Flächen wie Dächer und Fassaden von Gebäuden, Parkplätze, landwirtschaftliche Betriebe, Abfalldeponien, Industriestandorte, Bergwerke, künstliche Binnengewässer und unter Umständen kommunale Abwasserbehandlungsanlagen sowie vorbelastete Flächen, die nicht für die Landwirtschaft genutzt werden können, auswählen können.

Das in dem verklausulierten Satz genannte Energy and Industry Geography Lab (EIGL) ist ein digitales Tool, das interaktive Karten zur Darstellung von Energie-, Industrie- und Infrastrukturdaten bietet und dadurch Analysen und Bewertungen ermöglichen soll, die den Übergang Europas zur Klimaneutralität unterstützen. Und das Photovoltaic Geographical Information System (PVGIS) liefert Informationen über die Sonneneinstrahlung und die Leistung von Photovoltaikanlagen für jeden Ort der Welt – mit Ausnahme des Nord- und Südpols. Übersetzt bedeuten die beiden Sätze also nichts weniger, als dass die gesamten Land-, Binnengewässer- und Meeresgebiete der EU digital erfasst und mögliche Standorte für Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen ermittelt werden sollen. Wofür diese erhobenen Daten sonst noch einmal verwendet werden könnten, bleibt der Fantasie der EU-Bürger überlassen.

Belohnung von Projekten mit „höherem Mehrwert“

In der EU-Empfehlung heißt es weiter, dass die Mitgliedstaaten die Gebiete, in denen erneuerbare Energien nicht ausgebaut werden dürfen („Ausschlussgebiete“), auf das notwendige Minimum beschränken sollen. Sie sollen klare, transparente und begründete Informationen über Beschränkungen in Bezug auf die Entfernung zu Wohngebieten und militärischen oder zivilen Fluggebieten bereitstellen und die Verfügbarkeit von Flächen für die Entwicklung von Projekten für erneuerbare Energien maximieren. Die EU-Kommission will unter Berücksichtigung der von den Mitgliedstaaten vorgelegten Informationen die Umsetzung der Empfehlung überprüfen, indem sie bis zum 21. November 2025 gemäß der Richtlinie (EU) 2018/2001 bewertet, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind, um die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der in der genannten Richtlinie vorgesehenen Genehmigungsverfahren zu unterstützen 

In ihrem Leitfaden zur Ausweisung von Beschleunigungsgebieten für erneuerbare Energien fordert die EU-Kommission außerdem eine angemessene Personalausstattung der Genehmigungsbehörden und spricht sich für die Installation von Wind- oder Solaranlagen in der Nähe von Industriestandorten oder entlang von Verkehrskorridoren aus. So wurde auch in Deutschland das Bauverbot für Solaranlagen im Umkreis von 40 Metern um Autobahnen aufgehoben und stattdessen ein 200 Meter breiter Korridor neben Autobahnen oder mehrgleisigen Schienenstrecken als privilegierter Bereich für solche Anlagen ausgewiesen. Solaranlagen auf Dächern (z.B. auch Parkplatzdächern) könnten „Schätzungen zufolge“ das Potenzial haben, bis zu einem Viertel des derzeitigen Stromverbrauchs der EU zu erzeugen. Fragt sich nur, ob das auch im Winter gilt.

Auffällig ist, dass neue Atomkraftwerkstypen wie etwa Small Modular Reactors keinerlei Erwähnung finden. Attraktiv für Investoren ist zudem, dass Erneuerbare-Beschleunigungs-Gebiete (renewable acceleration areas, kurz: RAA) von einer Umweltprüfung auf Projektebene befreit sind – mit wenigen Einschränkungen.

Auch zu den sogenannten Auktionen hat die EU-Kommission am 13. Mai Empfehlungen und eine Leitlinie erlassen. Damit sind im Grunde Ausschreibungen gemeint. In Deutschland wird beispielsweise mehrmals jährlich von der Bundesnetzagentur ein gesetzlich bestimmtes Volumen an neu zu installierender Leistung ausgeschrieben (Ausschreibungsmenge in Megawatt). Private Windenergie-Projekthalter können daraufhin Gebote abgeben, zu welcher staatlich garantierten Stromvergütung sie bereit wären, neue Windenergieanlagen zu errichten. Die Projekte erhalten dann – beginnend mit dem günstigsten Gebot – einen Zuschlag, bis die Ausschreibungsmenge insgesamt erreicht ist.

Es sollen nun jedoch auch nichtpreisliche Kriterien eine Rolle spielen und die Mitgliedstaaten darin unterstützt werden, Auktionen zu konzipieren, bei denen Ziele wie ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Dadurch sollen Projekte mit „höherem Mehrwert“ belohnt werden. Dazu hat die Kommission die Unionsplattform für den Ausbau erneuerbarer Energien aktualisiert, ein Online-System, in dem die Mitgliedstaaten grundlegende Informationen über ihre Auktionspläne veröffentlichen sollen. Ende April startete die EU-Kommission außerdem eine Europäische Koalition zur Finanzierung der Energieeffizienz, um private Investitionen zu beschleunigen. Die Initiative bringe „die EU-Länder, Finanzinstitutionen und die Kommission auf höchster Ebene zusammen, um einen langfristigen und tragfähigen Finanzierungsrahmen für Investitionen in Energieeffizienz zu schaffen“. Involviert ist auch die Europäische Investitionsbank (EIB).

Instrumentalisierung des Krieges

Damit nicht genug: Die emsige EU hat auch noch eine überarbeitete TEN-E-Verordnung verabschiedet, mit der die Umsetzung grenzüberschreitender Projekte für saubere Energie unterstützt wird, sowie einen Europäischen Windkraft-Aktionsplan, die EU-Windkraftcharta und die Europäische Solarcharta. Der Wahnsinn hat also durchaus System. Zudem hat die Kommission eine neue Website zu REPowerEU und länderspezifische Factsheets erstellt. So hat Deutschland seinen Gasverbrauch zwischen August 2022 und Januar 2024 um 16 Prozent gesenkt. Und die Wachstumsrate installierter Leistung von Erneuerbare-Energien-Anlagen in Deutschland stieg im Jahr 2023 auf 11,9 Prozent (im Vergleich zu 5,6 Prozent im Jahr 2021). Lobend erwähnt wird auch das 2023 verabschiedeten Gebäudeenergiegesetz (GEG) der Bundesregierung, durch das spätestens ab Mitte 2028 alle neuen Heizungen mit 65 Prozent Erneuerbarer Energie betrieben werden müssen. Als erstes „Netto-Null Valley“ in Deutschland wurde übrigens die Lausitz gewählt, die „zu einer der führenden europäischen Regionen für Technologien zur CO2-freien Energieerzeugung“ werden soll.

Nachdem im Oktober letzten Jahres das Legislativpaket „Fit für 55“ vervollständigt wurde, sind die Klimaziele endlich rechtsverbindlich und gelten für alle Schlüsselsektoren der Wirtschaft. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dazu: „Der europäische Grüne Deal führt die Veränderungen herbei, die wir brauchen, um die CO2-Emissionen zu senken. Dabei werden die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt und Chancen für unsere europäische Industrie geschaffen. Die Rechtsvorschriften zur Verringerung unserer Treibhausgasemissionen um mindestens 55% bis 2030 sind nun in Kraft, und ich freue mich sehr, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dieses Ziel sogar zu übertreffen. Dies ist ein wichtiges Zeichen für Europa und unsere Partner weltweit, dass der ökologische Wandel möglich ist und dass Europa seine Versprechen hält.“ Die gesamte Politik der Kommission von der Leyen ist also auf den Green Deal, durch den Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden soll, ausgerichtet.

Dennoch wird gern der Ukraine-Krieg vorgeschoben. So heißt es aktuell in einer gemeinsamen Erklärung von Präsidentin von der Leyen, Exekutiv-Vizepräsident Šefčovič und Kommissarin Simson vom 17. Mai: „Als Russland in die Ukraine einmarschierte und seine Energieressourcen in eine wirtschaftliche Waffe gegen Europa verwandelte, haben wir schnell und robust reagiert. Wir haben den REPowerEU-Plan angenommen, um die Abhängigkeit Europas von fossilen Brennstoffen aus Russland zu beenden. Zwei Jahre später sind die Ergebnisse unserer gemeinsamen Bemühungen für alle offensichtlich. Wir haben die Energieimporte aus Russland deutlich zurückgefahren und so die Kriegswirtschaft des Kremls unter Druck gesetzt und unseren ukrainischen Freunden solidarisch zur Seite gestanden. [...] Diese Bemühungen haben zu einem beispiellosen Ausbau der erneuerbaren Energien und zu einer historischen Neuausrichtung unserer Energieversorgung geführt.“ Auch auf der offiziellen EU-Website ist zu lesen: „Putins Versuch, Europa durch die Bewaffnung der Energieversorgung zu spalten, ist gescheitert. Unsere gemeinsamen Anstrengungen werden fortgesetzt, und Europa ist jetzt besser vorbereitet und geeinter als je zuvor.“ Diese Instrumentalisierung des Krieges für die Umsetzung des Green Deals der EU-Kommission wirft ein bezeichnendes Licht auf deren moralische Ansprüche.

Zentrale Planwirtschaft

Die Durchhalteparolen des ehemaligen EU-Vizepräsidenten Frans Timmermans, die er zur Einführung des REPowerEU vor zwei Jahren abgab, dröhnen noch in den Ohren: „Die nächsten Winter werden hart werden, aber das heutige Paket trägt dazu bei, dass die europäischen Familien im Warmen bleiben und die Industrie in Gang bleibt. Wenn wir jetzt Maßnahmen ergreifen und die Instrumente entwickeln, um gemeinsam Gas zu kaufen, anstatt uns gegenseitig zu überbieten, können wir in die nächste Heizperiode wieder mit genügend Gas in den Speichern gehen. Als Reaktion auf die extrem schwankenden Preise, die durch Putins Energiewaffe verursacht wurden, arbeitet die Kommission auch daran, die Stabilität des Energiemarktes wiederherzustellen. Aber billige fossile Brennstoffe werden nicht zurückkehren, und wir müssen den Übergang zu erneuerbaren Energien beschleunigen. Deshalb müssen wir überlegen, wie wir über REPowerEU zusätzliche Investitionen in die grüne Energiewende Europas finanzieren können“

Doch ein Ende ist nicht in Sicht. So wurde im März 2024 eine Empfehlung des Rates zu kontinuierlichen Maßnahmen zur Verringerung der Nachfrage nach Gas angenommen, in der die EU-Länder aufgefordert werden, ihren Gasverbrauch bis zum 31. März 2025 weiter zu senken. Dabei wird immer mehr auf Zentralisierung – böse Zungen würden von zentraler Planwirtschaft sprechen – gesetzt, wie sie sich etwa in der EU-Energieplattform niederschlägt, einem „freiwilligen Koordinierungsmechanismus, der eine Schlüsselrolle bei der Bündelung der Nachfrage, der Koordinierung der Infrastrukturnutzung, der Verhandlung mit internationalen Partnern und der Vorbereitung gemeinsamer Gas- und Wasserstoffkäufe spielt.“

Der europäische Plan zur Verringerung der Gasnachfrage sieht außerdem die Möglichkeit vor, einen EU-Alarm auszulösen, der allen Mitgliedstaaten eine verbindliche Senkung des Gasverbrauchs auferlegt. So reitet sich die derzeitige Kommission immer weiter in ihren Green Deal hinein und bedient die Interessen von Investoren, nicht jedoch diejenigen ihrer Bürger, von denen sie im Gegenteil stetig wachsende Opferbereitschaft erwartet. Und das alles nur wegen der Ideologie der Klimakrise. Doch was ist, wenn in Wahrheit eher eine Kälteperiode drohen und die durch den Green Deal getroffenen Maßnahmen geradezu fatal sein sollten? Um mit dem ahnungsvollen Großvater aus dem Musikmärchen „Peter und der Wolf“ von Sergei Prokofjew zu fragen: Was dann?

Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.

Foto: Pixabay

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Wolfgang Richter / 27.05.2024

“Die EU-Kommission will die Dekarbonisierung der europäischen Industrie beschleunigen und bedient die Interessen von Investoren, nicht jedoch ihrer Bürger, die im Zweifel frieren sollen.”—Die Bürgen und Wähler sollten sich daran erinnern, welchen Wohlstand sie der Kombination aus preiswertigen russischen Rohstoffen und Deutscher Industrieproduktion zu verdanken hatten, abgewürgt von einer Brüsseler Green-Deal-Ideologie und Berliner “Polit-HAmplern”. Als ersatz versucht “man” sich in “Kriegswirtschaft”, was am ende nur Pleite bedeuten kann, denn das Zeug, das dort produziert wird, ist nicht nachhaltig, außer für die “Friedhofsbetreiber”.

Sam Lowry / 27.05.2024

Sie wandern einfach ab (siehe BASF), nehmen Arbeitsplätze und Steuern mit nach China oder sonstwohin, und dann…

W. Renner / 27.05.2024

„ … sollten die Mitgliedstaaten rasch regulatorische Hindernisse beseitigen, Datenlücken ermitteln und die frühzeitige Einbeziehung der einschlägigen Interessenträger sicherstellen“ Da sollten die Mitgliedstaaten doch schleunigst mal bei den verloren Daten der UvdL und dem verlorenen Gedächtnis von Olaf beginnen.

L. Schwarzschild / 27.05.2024

Eine ausgezeichnete Analyse der neuesten Brüsselberliner Umtriebe, vielen Dank. Zu befürchten steht allerdings, dass es bei diesem Grünhandel um eine marktschneiderische Zwangsreglementierung der Energiewirtschaft ungekannten Ausmasses geht, erst in der Euro-Zone, dann global, nicht um die „Ideologie der Klimakrise“. Man träumt offenbar davon, mit zuvor staatlich „hochgefahrenen“ und behördlich breit „ausgerollten“ Energieprodukten der Minimaleffizienz-Klasse vom Kaliber „grüner Wasserstoff“ als Energieweltmeister reüssieren zu können - wenn man nur erstmal wieder die ganze Welt auf Linie gebracht hat. Mit den bewährten Methoden Katastrophen-Theater, Sanktionen, Krieg oder einer beliebigen Kombination dieser Elemente. Eine regressive Monsterarchitektur im alten Junker-Geschmack, „ewigsichere“ staatsbewehrte Geldflüsse aus Magerböden.

Michael Hinz / 27.05.2024

@Dietmar Hermann - #Stattdessen kriegt man die Pläne des Abu Graichen -Clans vor den Latz geknallt und kann in der Konsequenz möglicherweise sein Haus natürlich zum Spottpreis verkaufen, da man im anstehenden Rentenalter nicht mehr in der Lage ist, energieneutrale Umbauten in Höhe hunderttausender Euronen zu stemmen.# Die Regierung benötigt dringend Wohnraum. Raten sie mal für wen?

sybille eden / 27.05.2024

Lutz LIEBEZEIT, - ... in D. gibt es 237 Milliardärsvermögen. ” Und ??? -  Selbst wenn man denen ihr Vermögen ” vergesell - schaftet “, was sollte das am Links-Grünen Faschismus ändern ?

sybille eden / 27.05.2024

Ein ” Barbarossa - Plan ” der Green Deal - Faschisten. Er wird genauso scheitern wie der alte, nämlich am ” russischem “ Winter.

L. Luhmann / 27.05.2024

@“A. Ostrovsky / 27.05.2024 - @L. Luhmann : >>Sabotage ist keine Einbahnstraße!———><< Doch, leider. Sie beweisen damit, dass Sie niemals unter einer Diktatur leben (und arbeiten) mussten. Sabotage hat niemals den Machthabern geschadet, immer nur denen, über die die Macht ausgeübt wird. Aber besonders dann, wenn die Machthaber völlig unfähig und dilettantisch sind, ist die Sabotage die willkommene Begründung dafür dass nichts klappt und dafür, dass die Repression weiter gesteigert werden muss. Und niemand hat den Mut zu widersprechen. Sabotage verdeckt die Auswirkungen der Unfähigkeit der Herrschenden. Und selbst wenn das Volk zu Hunderttausenden verhungert wird die Sabotage nur den Zusammenhalt gegen die Feinde stärken. Es gibt seltene Situationen, wo Sabotage erfolgreich sein kann, nur dort, wo die unmittelbaren Herrschafts-Instrumente sabotiert werden. (....)” - Herr Ostrovsky, Ihr Kommentar ist vorzüglich! Ich stimme Ihnen im Großen und Ganzen sehr zu. Vielleicht ist aber meine Sicht auf das momentane Zersetzungssystem gerade noch so positiv, dass ich mir kleine Hoffnungen backe. Aber ... im Grunde haben Sie totzdem recht. - Wenn aber Sabotage die Zerstörung beschleunigt, dann könnte das einen positiven Impuls geben, denn irgendwann könnte es doch passieren, dass den Leuten der Unterschied zwischen vor 2020 und nach 2020 doch noch auffällt ... viel Hoffnung habe ich jedenfalls nicht. Sabotage kann auch eine persönliche Befriedigung sein. Ich kannte mal einen Polen, der vor Jahrzehnten irgendwelche Pumpen für uns Deutsche zusammengebaut hat. Diese Pumpen hat er an seinem Fließband so zusammengebaut, dass die Pumpen schneller kaputt gingen als normal. Er hat sich darüber gefreut, als er mir das erzählte. ... (Man muss den Leuten die Augen öffnen!)

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